Roland Bocquet

Nach seiner Kindheit in Indien besuchte B. Schulen in London und Bedford und wurde schließlich an der Royal Military Academy in Woolwich zum Ingenieur ausgebildet. Als Second Lieutenant legte er sein Amt aber im März 1898 nieder, versuchte sich noch kurz als Mathematiker und ging 1900 nach Dresden, wo er bald als Komponist tätig war. Zumeist wurde in zeitgenössischen Artikeln angegeben, er sei Autodidakt gewesen. Vermutungen hinsichtlich einer Ausbildung an der Royal Academy of Music sind nicht zu belegen, allerdings ist auch von einer Ausbildung bei dem Dresdner Komponisten Felix Draeseke die Rede. – Die frühesten überlieferten Lieder von B. stammen von ca. 1902 und stehen in der Tradition Hugo Wolfs. Um 1906/07 wendete sich B. stärker impressionistischen Strömungen zu. Seine kongenialen Vertonungen von Texten zeitgenössischer Dichter wie Otto Erich Hartleben, Otto Julius Bierbaum oder Max Dauthendey sind durch eine nuancenreiche Farbigkeit und eine lebensbejahende, elegante Schwüle gekennzeichnet. In aller Dezenz und Zurückhaltung sind ihnen eine nervöse Überempfindlichkeit und eine starke sinnlich-erotische Ebene eigen, die antibürgerlich ausgerichtet war. – Seinen Lebensunterhalt verdiente B. in der Saison 1902/03 als Korrepetitor und zweiter Kapellmeister des Städtischen Theaters in Plauen, wo die Sängerin Sanna van Rhyn 1904/05 auch seine Lieder aufführte. Später war er Lehrer für Musik und Mathematik in Dresden. Gelegentliche Aufführungen seiner Werke, auch durch renommierte Dresdner Künstler, sind verbürgt. Ansonsten bewegte sich B. im Kreis der Dresdner Boheme, zu der u.a. auch die Dichter Friedrich Kurt Benndorf und Iwar von Lücken gehörten, mit denen er näher bekannt war. Um 1910 setzte ein pathetischer, monumentaler Stil ein, der zwar immer noch auf chromatischen Strukturen aufbaute, aber nicht mehr der schwebenden, süßen Stimmungsmalerei der vergangenen Jahre angehörte. Die Ballade in c-Moll (Op. 22) - genannt „Eroica“ -, die zu B.s am häufigsten gespielten Stücken gehörte, ist ein Zeugnis dieser Schaffensphase. – Mit dem Dresdner Bassisten Leon Rains, dessen Liedgesang B. als Pianist bereits 1911 in Dresden, Berlin und Prag mit Erfolg begleitet hatte, trat er 1913 eine Amerikatournee an, die von der New Yorker Konzertdirektion M. H. Hanson organsiert worden war und auf der neben klassischem Liedgut auch seine eigenen Lieder zu hören waren. B. begleitete den Sänger am Steinway-Flügel. – Bis 1914 hatte sich B. in Dresden eine Bekanntheit in einem bestimmten Kreis, der sich sehr um sein Werk bemühte, geschaffen. Auch sind Aufführungen in Berlin und München verbürgt. Am 22.3.1914 konstituierte sich in Dresden die Roland-Bocquet-Gesellschaft, die sich der Förderung des Komponisten und der Drucklegung seiner Werke verschrieben hatte. Besaß die Gesellschaft 1914 70 Mitglieder, so wurde 1916 bereits von über 100 Personen gesprochen. Darunter befanden sich viele Musikpädagogen und Musiker, Journalisten, einige Industrielle und Großkaufleute, so z.B. Ida Bienert und der Hofopernintendant Nikolaus Graf von Seebach. Die Gesellschaft wurde erst 1946 als nicht mehr existent aus dem Vereinsregister gelöscht. – Ende 1914/Anfang 1915 wurde B. - wie viele andere Briten auch, die sich in Deutschland aufhielten - festgenommen. Für Personen mit britischer Staatsangehörigkeit, unter denen sich sehr viele Musiker befanden, war auf der Trabrennbahn in Ruhleben bei Berlin ein Internierungslager eingerichtet worden. Dort komponierte B. weiter. In der Kunstzeitschrift Zeit-Echo publizierte er sein „Lied an einen gefallenen Freund“, sodass er neben Arnold Schönberg der einzige Komponist war, der in diesem Organ veröffentlichen konnte. Auch im Lager wurden seine Stücke von Inhaftierten gespielt. Der Dirigent Frederic Charles Adler setzte seine Ballade in c-Moll für großes Orchester. B. verblieb, trotz Austauschverträgen mit anderen Nationen und seiner körperlichen Gebrechen, in Ruhleben und kam erst nach Kriegsende frei. Er soll anschließend zunächst in England als Stummfilmpianist tätig geworden sein. Für den 7.2.1919 ist ein Auftritt zusammen mit einem Dutzend professioneller Musiker im Rahmen einer Ausstellung zum Ruhleben-Camp in London erwähnt. 1921 wurde eines seiner Klavierstücke in der revolutionär und international ausgerichteten expressionistischen Zeitschrift „Menschen. Zweites Sonderheft, Junge Tonkunst“, die in Dresden erschien, zusammen mit Werken von Alban Berg, Paul Dessau, Ferruccio Busoni und Erwin Schulhoff veröffentlicht. In Thessaloniki - während eines Aufenthalts am dortigen, 1914 gegründeten Konservatorium, an dem er 1922/23 eine Professur wahrnahm - komponierte er 1922 die Sonate Nr. 4. Nach seiner Rückkehr aus Griechenland muss B. in Diensten des Rechtsanwalts Franz Benndorf - des Bruders des Dichters Friedrich Kurt Benndorf - gestanden haben, was ihm ein festes Einkommen sicherte. – In den 1920er-Jahren wurden seine Werke in Dresden, Berlin, Zürich, Paris, Mailand und Kairo gespielt; in Paris nachweislich im Beisein des Komponisten. Insbesondere nahmen sich seiner die Pianisten Walter Schaufuß-Bonini, ab 1927 auch Vorsitzender der Roland-Bocquet-Gesellschaft, und Gerhart Münch an. Auch in Großbritannien wurde er zusehends häufiger gespielt. Radioübertragungen seiner Werke in Deutschland und England sind belegt. – Am 1.10.1936 wurde B. Hochschullehrer für Musiktheorie am Konservatorium für Musik und Theater Dresden. Vermutlich handelte es sich um eine Honorarprofessur. Bis zu jener Zeit hatte sich eine gewisse Nähe zu den nationalsozialistischen Machthabern entwickelt, auch wenn er nie Mitglied der NSDAP wurde. Von einer avantgardistischen Vertonung von Eichendorff-Liedern ist in den späten 1930er-Jahren die Rede. – Mit seiner Adresse in der Wiener Straße ist B. noch im letzten Dresdner Adressbuch vor Kriegsende (1943/44) verzeichnet und scheint Musikunterricht erteilt zu haben. Nach dem Krieg war er am Markt in Meißen ansässig und wird im dortigen Adressbuch von 1950 als Komponist geführt. 1954 verzog er nach Zürich. Dort ist er zwei Jahre später an einem Herzinfarkt verstorben.

Quellen Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftensammlung; Städtische Bibliotheken Dresden; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Amtsgericht Dresden; Hessisches Hauptstaatsarchiv, Weltkriegssammlung (Abt. 3037); Deutsches Literaturarchiv Marbach; Bibliothèque et Archives Canada; Bundesarchiv Bern, Nachlassakte B.

Werke Klaviermusik: Ballade I in C, op. 22 (1910); Deux Préludes, op. 23 (1911/12); Zwei Klavierstücke, op. 26 (1911); Ballade IV in H-Dur, op. 30 (1910); Klavierstück, op. 44 Nr. 4 (1921); Sonate IV, op. 49 (1922).

Literatur Todesanzeige B., in: Neue Zürcher Zeitung 19.10.1956, S. c7; R. Pons, Archivalische Klänge. Konzert mit Werken von Roland B. (1878-1945) im Hessischen Hauptstaatsarchiv, in: Archivnachrichten aus Hessen 14/2014, H. 2, S. 18-20; ders., Esoteriker des Klangs. Das Leben des Dresdner Komponisten Roland B. (1878-1945?), in: NASG 86/2015, S. 145-176. – DBA II; E. H. Müller von Asow (Hg.), Deutsches Musiker-Lexikon, Dresden 1929, Sp. 121; P. Frank/W. Altmann, Kurzgefasstes Tonkünstler-Lexikon für Musiker und Freunde der Musik, Regensburg 141936, S. 63; P. A. Scholes, The Oxford companion to music, London u.a. 1955, S. 113.

Porträt Fotografie, H. Erfurth, Dresden, Musikhistorisk Museum og Carl Claudius' Samling København (Bildquelle); Lithografie, M. Reinitz, Österreichische Nationalbibliothek Wien.

Rouven Pons
30.3.2016


Empfohlene Zitierweise:
Rouven Pons, Artikel: Roland Bocquet,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/619 [Zugriff 24.11.2024].

Roland Bocquet



Quellen Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftensammlung; Städtische Bibliotheken Dresden; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Amtsgericht Dresden; Hessisches Hauptstaatsarchiv, Weltkriegssammlung (Abt. 3037); Deutsches Literaturarchiv Marbach; Bibliothèque et Archives Canada; Bundesarchiv Bern, Nachlassakte B.

Werke Klaviermusik: Ballade I in C, op. 22 (1910); Deux Préludes, op. 23 (1911/12); Zwei Klavierstücke, op. 26 (1911); Ballade IV in H-Dur, op. 30 (1910); Klavierstück, op. 44 Nr. 4 (1921); Sonate IV, op. 49 (1922).

Literatur Todesanzeige B., in: Neue Zürcher Zeitung 19.10.1956, S. c7; R. Pons, Archivalische Klänge. Konzert mit Werken von Roland B. (1878-1945) im Hessischen Hauptstaatsarchiv, in: Archivnachrichten aus Hessen 14/2014, H. 2, S. 18-20; ders., Esoteriker des Klangs. Das Leben des Dresdner Komponisten Roland B. (1878-1945?), in: NASG 86/2015, S. 145-176. – DBA II; E. H. Müller von Asow (Hg.), Deutsches Musiker-Lexikon, Dresden 1929, Sp. 121; P. Frank/W. Altmann, Kurzgefasstes Tonkünstler-Lexikon für Musiker und Freunde der Musik, Regensburg 141936, S. 63; P. A. Scholes, The Oxford companion to music, London u.a. 1955, S. 113.

Porträt Fotografie, H. Erfurth, Dresden, Musikhistorisk Museum og Carl Claudius' Samling København (Bildquelle); Lithografie, M. Reinitz, Österreichische Nationalbibliothek Wien.

Rouven Pons
30.3.2016


Empfohlene Zitierweise:
Rouven Pons, Artikel: Roland Bocquet,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/619 [Zugriff 24.11.2024].