Richard Schmincke
Nach dem Abitur im hessischen Korbach studierte S. in Marburg, Halle/Saale und Leipzig Medizin und erwarb 1902 die Approbation. Nach einigen Jahren als Schiffsarzt ließ er sich als Badearzt und Herzspezialist in Bad Elster und später auch in Rapallo (Italien) nieder. Im Ersten Weltkrieg war S. ab 1915 an der Westfront als Vertragsarzt tätig, zuerst in Brüssel in der Hygienekontrolle, später als Leiter eines Lazarettzugs. Bereits während des Kriegs SPD-Mitglied, gehörte S. dann zu dem Teil der USPD, der sich 1919 der KPD anschloss. Er stieg zu einem der kommunistischen Führer im Vogtland auf und unterstützte 1923 als Arzt die Proletarischen Hundertschaften beim Einmarsch der Reichswehr, wofür er verhaftet und schließlich des Regierungsbezirks Zwickau verwiesen wurde. – Durch seine Praxis in Rapallo hatte S. 1922 während der Verhandlungen zum Vertrag von Rapallo auch Kontakt zum russischen Außenminister
Georgi Wassiljewitsch Tschitscherin und dessen Stellvertreter
Maxim Litwinow, die ihn beide als Arzt und politischen Freund konsultierten. Bis 1931 wurde S. mehrmals in die junge Sowjetunion eingeladen. 1924/25 unternahm S. eine längere Reise für die Komintern nach China. In engem Kontakt zur russischen Vertretung und ihrer Unterstützung der chinesischen bürgerlichen Revolution unter
Sun Yat-sen wurde er Anfang Januar 1925 als Arzt zur Untersuchung von Sun Yat-sens Erkrankung als „politischer Freund“ hinzugezogen. – Im August 1924 als praktischer Arzt nach Dresden übergesiedelt, war S. 1925 bis 1927 in der Nachfolge von Ernst Schneller kommunistischer Landtagsabgeordneter des Sächsischen Landtags. 1927 wurde er mit den Stimmen der KPD und der bürgerlichen Parteien als medizinischer Fachmann zum Stadtrat für Gesundheitswesen in Berlin-Neukölln berufen. Seit 1929 lebte er mit seiner Lebensgefährtin
Änne Tischendorf zusammen, die zeitweilig als seine Sekretärin und Sprechstundenhilfe arbeitete. – Im Zuge des Reichstagsbrands wurde S. am Morgen des 28.2.1933 verhaftet und zehn Monate lang in Berlin-Spandau im Gefängnis inhaftiert. Unter strengen Auflagen und einer Meldepflicht kam er im Herbst 1933, nach dem Reichstagsbrandprozess, frei. Ohne Pensionsanspruch aus dem Beamtenstand entlassen, zermürbte ihn die erzwungene Arbeitslosigkeit. 1935 erwog er, in die Sowjetunion zu emigrieren, blieb aber in Deutschland. Seine ständigen Bemühungen, in Italien - das zwischenzeitlich den Antikominternpakt unterzeichnet hatte - seine alte Praxis in Rapallo wieder eröffnen zu können, blieben erfolglos. Als er in Berlin 1937 eine Privatpraxis eröffnete, wurde ihm angedroht, ihm wegen fehlender nationalsozialistischer Gesinnung die Approbation zu entziehen. Nachdem er über viele Monate mit allen Mitteln vergeblich gegen den Entzug der Approbation gekämpft hatte, wurde ihm die Praxiserlaubnis Anfang August 1939 vom Berliner Polizeipräsidenten endgültig entzogen. S. besaß noch einige illegale Kontakte, die ihm auch den geplanten
Hitler-
Stalin-Pakt und die drohende Kriegsgefahr deutlich machten. In eine tiefe Depression gefallen, schied S. am 19.8.1939 freiwillig aus dem Leben. – S. war Mitbegründer des „Klubs der Geistesarbeiter“ der Internationalen Arbeiterhilfe und veröffentlichte u.a. in den Zeitungen „Der Kämpfer“ und der „Roten Fahne“ Artikel. In Bad Elster erinnert an S. eine nach ihm benannte Straße.
Quellen Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin, Deutsche Ärzte in China, 1912/1925; Landesarchiv Ölsnitz/Vogtland, Material zu Dr. Richard S.; Sächsisches Landesarchiv Dresden, Landtagsreden 1925-1927; Archiv der Universität Marburg; Bundesarchiv Berlin Lichterfelde West, KPD- Archiv; Museum Neukölln; Archiv im Rathaus Berlin-Neukölln; Privatarchiv R. Bethke, Briefe und Dokumente aus dem Nachlass von Änne Tischendorf.
Literatur E. Schumacher, Poem des Nichtvergessens, Programmheft 1976; R. Bethke, Die Flucht vor der Flucht, 1997; D. Amelung, Die Vorfahren von Sigrid und Hiltrud Rätzer [Ms. im Selbstverlag]. – DBA III; H. Weber/A. Herbst, Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918-1945, Berlin 2008.
Ricarda Bethke
5.9.2016
Empfohlene Zitierweise:
Ricarda Bethke, Artikel: Richard Schmincke,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3524 [Zugriff 19.11.2024].
Richard Schmincke
Quellen Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin, Deutsche Ärzte in China, 1912/1925; Landesarchiv Ölsnitz/Vogtland, Material zu Dr. Richard S.; Sächsisches Landesarchiv Dresden, Landtagsreden 1925-1927; Archiv der Universität Marburg; Bundesarchiv Berlin Lichterfelde West, KPD- Archiv; Museum Neukölln; Archiv im Rathaus Berlin-Neukölln; Privatarchiv R. Bethke, Briefe und Dokumente aus dem Nachlass von Änne Tischendorf.
Literatur E. Schumacher, Poem des Nichtvergessens, Programmheft 1976; R. Bethke, Die Flucht vor der Flucht, 1997; D. Amelung, Die Vorfahren von Sigrid und Hiltrud Rätzer [Ms. im Selbstverlag]. – DBA III; H. Weber/A. Herbst, Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918-1945, Berlin 2008.
Ricarda Bethke
5.9.2016
Empfohlene Zitierweise:
Ricarda Bethke, Artikel: Richard Schmincke,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3524 [Zugriff 19.11.2024].