Ragna Enking
Die in der Fachwelt geschätzte Etruskologin E. war zwei Jahrzehnte in der Skulpturensammlung in Dresden tätig, primär als Wissenschaftliche Hilfsarbeiterin, ab 1945 als Kommissarische Leiterin bzw. Direktorin. Außerdem war sie von April bis Juli 1946 die erste Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. 1942 wurde sie aufgrund ihrer Forschung zur Nachwirkung der ägyptischen und römischen Kunst in der Renaissance und im Klassizismus zum korrespondierenden Mitglied des Archäologischen Instituts des Deutschen Reichs ernannt. – E. entstammte einer ursprünglich in
Kiel ansässigen bildungsbürgerlichen Familie. Ihre Reifeprüfung legte sie am Mädchengymnasium in Dresden ab und studierte anschließend an den Universitäten in
München und
Jena Archäologie und Kunstgeschichte. Als Schülerin von Herbert Koch wurde E. 1921 in Jena mit der Dissertation „Beiträge zur Darstellung des Engels in der altchristlichen Kunst“ promoviert. Erste Berufserfahrungen sammelte sie danach als unbezahlte Freiwillige Wissenschaftliche Hilfsarbeiterin an der Ägyptischen Abteilung sowie in der Vorderasiatischen Abteilung des Museums für Völkerkunde in
Berlin. Dazwischen leitete sie Januar bis Juli 1923 die Grafische Abteilung des Verlags Bruno Cassirer. Ab Dezember 1926 war E. zunächst als Freiwillige Wissenschaftliche Hilfsarbeiterin in der Skulpturensammlung in Dresden tätig, im Juli 1929 wurde sie als Wissenschaftliche Hilfsarbeiterin eingestellt. Sie führte Inventarisations- und Katalogarbeiten aus und wirkte an der Neuaufstellung mit. Nach Kriegsbeginn zählten auch die Bergungs- und Auslagerungsarbeiten zu ihren Aufgaben. Nach der Schließung der Skulpturensammlung arbeitete sie dort nur noch tageweise und wurde 1942 vorübergehend an die Sächsische Landesbibliothek und bis November 1943 zum „Heimatwerk Sachsen“ abgeordnet. Parallel dazu übernahm sie 1942 bis 1944 in Vertretung von Walter Böckelmann die Übungen zur Kunstbetrachtung an der Abteilung für Kunsterziehung der Kunstgewerbeakademie. Durch die Bombardierung der Stadt am 13./14.2.1945 verlor E. ihre Wohnung. Zunächst fand sie eine Notunterkunft, doch im April 1945 zog sie in ihr Dienstzimmer ins Albertinum, um die Bestände kontinuierlich beaufsichtigen zu können, denn sie hatte im Februar 1945 die kommissarische Leitung der Skulpturensammlung übernommen und war damit nach Kriegsende für deren Rückführung von den Auslagerungsorten nach Dresden verantwortlich. Im November 1945 wurde E. zur Direktorin der Skulpturensammlung ernannt, nachdem sie im Vormonat bereits mit der Stellvertretung für den Leiter der neu eingerichteten Zentralkanzlei der Sammlungen, Walther Fischer, beauftragt worden war. In dieser Funktion setzte sie sich für den Verbleib der Fachkräfte in den Museen ein. Nicht zuletzt dadurch sah sich E. Denunziationen ausgesetzt. So wurde ihr die Mitgliedschaft in der NS-Frauenschaft vorgeworfen, der sie 1937 beigetreten war. NSDAP-Mitglied war sie allerdings nie gewesen. Nach der Trennung der naturwissenschaftlichen von den kunst- und kulturhistorischen Museen wurde E. im April 1946 zur Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden ernannt. Allerdings wirkte sie nur kurz in diesem Amt. Wenige Tage nachdem sie im Juli 1946 das neu eingerichtete „Zentralmuseum“ im Schloss Pillnitz eröffnet hatte, wurde sie zum Monatsende mit zahlreichen anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fristlos entlassen. Ihr Protest beim Präsidenten der Landesverwaltung Sachsen, Rudolf Friedrichs, blieb ohne Erfolg. Nachdem E. Dresden verlassen hatte, lebte sie in den 1950er-Jahren in Berlin, später in
Rom, wo sie freiberuflich arbeitete und weiterhin rege publizierte.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 18991, Bd. 2/3; Landesarchiv Berlin, P Rep. 570 Standesamt Berlin Deutsch-Wilmersdorf (Wilmersdorf), Heiratsregister 1924, Nr. 353 (ancestry.de).
Werke Beiträge zur Darstellung des Engels in der altchristlichen Kunst, Diss. Jena 1921; Der Apis-Altar Johann Melchior Dinglingers. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung des Abendlandes mit dem alten Ägypten, Glücksstadt/Hamburg/New York 1939; Andrea Riccio und seine Quellen, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 62/1941, S. 7-107; Lasa, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung 57/1942, S. 7-107; Culsú und Vanth, in: ebd. 58/1943, S. 48-69; Etruskische Geistigkeit, Berlin 1947; S. Andrea Cata Barbara e S. Antonio Abbate sull'Esquilino (in via Carlo Alberto), Rom 1964; Cenni storici sull'Abbazia benedettina di S. Giovanni in Argentella presso Palombara Sabina, Argentella 1974; Dresden im Mai 1945. Ein Bericht, in: Dresdner Hefte Sonderausgabe/2004, S. 84-92 (posthum); Die Dresdner Kunstsammlungen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, in: Karin Kolb (Hg.), Zukunft seit 1560. Von der Kunstkammer zu den Staatlichen Kunststammlungen Dresden, Bd. 3: Die Anthologie, Berlin/München 2010, S. 206-214 (posthum).
Literatur Thomas Rudert, Museale Praxis zwischen Besatzungsmacht und kulturellem Anspruch. Die Eröffnung des Pillnitzer Zentralmuseums des Landes Sachsen am 6. Juli 1946, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 36/2010, Dresden 2012, S. 192-203 (P); Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2020, S. 300-303 (P). – Werner Schuder (Hg.), Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, Berlin 1976, S. 650.
Porträt Ragna E., um 1935, Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 18991, Bd. 2, o. Pag. (Bildquelle).
Karin Müller-Kelwing
17.2.2023
Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Ragna Enking,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26262 [Zugriff 21.11.2024].
Ragna Enking
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 18991, Bd. 2/3; Landesarchiv Berlin, P Rep. 570 Standesamt Berlin Deutsch-Wilmersdorf (Wilmersdorf), Heiratsregister 1924, Nr. 353 (ancestry.de).
Werke Beiträge zur Darstellung des Engels in der altchristlichen Kunst, Diss. Jena 1921; Der Apis-Altar Johann Melchior Dinglingers. Ein Beitrag zur Auseinandersetzung des Abendlandes mit dem alten Ägypten, Glücksstadt/Hamburg/New York 1939; Andrea Riccio und seine Quellen, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 62/1941, S. 7-107; Lasa, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Römische Abteilung 57/1942, S. 7-107; Culsú und Vanth, in: ebd. 58/1943, S. 48-69; Etruskische Geistigkeit, Berlin 1947; S. Andrea Cata Barbara e S. Antonio Abbate sull'Esquilino (in via Carlo Alberto), Rom 1964; Cenni storici sull'Abbazia benedettina di S. Giovanni in Argentella presso Palombara Sabina, Argentella 1974; Dresden im Mai 1945. Ein Bericht, in: Dresdner Hefte Sonderausgabe/2004, S. 84-92 (posthum); Die Dresdner Kunstsammlungen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, in: Karin Kolb (Hg.), Zukunft seit 1560. Von der Kunstkammer zu den Staatlichen Kunststammlungen Dresden, Bd. 3: Die Anthologie, Berlin/München 2010, S. 206-214 (posthum).
Literatur Thomas Rudert, Museale Praxis zwischen Besatzungsmacht und kulturellem Anspruch. Die Eröffnung des Pillnitzer Zentralmuseums des Landes Sachsen am 6. Juli 1946, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden 36/2010, Dresden 2012, S. 192-203 (P); Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2020, S. 300-303 (P). – Werner Schuder (Hg.), Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, Berlin 1976, S. 650.
Porträt Ragna E., um 1935, Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 18991, Bd. 2, o. Pag. (Bildquelle).
Karin Müller-Kelwing
17.2.2023
Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Ragna Enking,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26262 [Zugriff 21.11.2024].