Otto Rüger

Unter den Dresdner Süßwarenherstellern des ausgehenden 19. Jahrhunderts nimmt R. eine herausragende Position ein. Über 16 Jahre leitete er die Geschäfte des Verbands deutscher Schokoladenfabrikanten und gab der Süßwarenindustrie in der sächsischen Residenzstadt ein Gesicht. Seine Maßnahmen zur betrieblichen Vorsorge für die Belegschaft des Unternehmens nahmen einige gesetzliche Regelungen der Sozialpolitik auf Reichsebene vorweg. – R. kam im Juli 1831 in der Dresdner Neustadt als Sohn eines Hauptmanns und Veterans des Russlandfeldzugs von 1812 auf die Welt. Der Tod des Vaters machte ihn im Alter von sieben Jahren zur Halbwaise. Sein Onkel, der Gerichtsdirektor Ernst Rüger, wurde zum Vormund ernannt und nahm die älteren Geschwister bei sich auf. Der junge R. kehrte jedoch bald zur Mutter zurück und zog mit ihr in die Pirnaische Vorstadt. – R. absolvierte ab 1845 in Dresden und Bautzen eine kaufmännische Ausbildung und arbeitete von April 1853 bis Juni 1858 als Gehilfe für die Firma Uhlich & Co. mit Sitz in der Zahngasse in Dresden. Hier befasste er sich mit dem Import von Kolonialwaren wie Kaffee und Rosinen. R. besichtigte erstmals im Herbst 1857 die Schokoladenmühle von Ferdinand Lobeck im Lockwitzgrund bei Dresden. Im darauffolgenden Jahr stieg er als Teilhaber in die Firma ein und führte die Geschäfte zunächst gemeinsam mit dem noch unmündigen Paul Lobeck, bevor R. 1860 zum alleinigen Firmeninhaber aufstieg und den Namen des Geschäfts in „Otto Rüger“ änderte. Am 9.7.1859 heiratete R. die Tochter seines ehemaligen Arbeitgebers, Amalie Louise Uhlich, in der Dresdner Kreuzkirche. – Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es R., sein Unternehmen zu etablieren. Dazu erweiterte er die manuelle Produktion um Zuckerwaren, englische Biskuits und Pfefferkuchen. Die Zahl der anfänglich fünf Mitarbeiter wuchs bis 1888 auf 200 an. Am 20.10.1876 wurde der Unternehmer wegen Verwendung falscher Gewichte in seiner Verkaufsstelle Seestraße 9 in Dresden zu einer geringen Geldstrafe verurteilt. – Unter dem Eindruck der Zollpolitik in Europa und der Zunahme von minderwertigen Kakaoerzeugnissen auf dem Markt bemühte sich R. gemeinsam mit anderen Schokoladenfabrikanten um eine gesetzliche Regelung, die den Vertrieb von verunreinigter Schokolade unterbinden sollte. Nachdem sich bereits im Januar 1877 eine große Anzahl von Interessenvertretern in Frankfurt/Main zusammengefunden hatte, kam es am 25.8. in Leipzig zur Gründung des Verbands deutscher Schokoladenfabrikanten. Als Gründungsmitglied rückte R. bereits 1878 in den Zentralausschuss auf. – Nach dem Tod des Berliner Industriellen Julius Hildebrand wurde R. am 10.9.1881 Vorsitzender des Verbands deutscher Schokoladenfabrikanten. In seiner 16-jährigen Amtszeit - der längsten eines Vorsitzenden bis zur Auflösung des Verbands - holte er die Geschäftsstelle nach Dresden. Die Jahrestagung des Verbands fand unter R.s Vorsitz zweimal in Leipzig (1887, 1893) sowie einmal in Dresden (1891) statt. Zu den weiteren Mitgliedern gehörten u.a. die Schokoladenfabrikanten Hartwig & Vogel, Petzold & Aulhorn, Jordan & Timaeus sowie Richard Selbmann. Am 19.6.1883 besuchte König Albert die Werke der Firma „Otto Rüger“ im Lockwitzgrund. Wenige Tage später beging R. gemeinsam mit der Belegschaft das 25-jährige Firmenjubiläum und verkündete die Gründung einer Betriebskrankenkasse. 1883 bis 1896 traten R.s Söhne nacheinander zunächst als Prokuristen, dann als Teilhaber in die Familienfirma ein. Über seinen jüngeren Bruder, den Juristen und späteren Minister Wilhelm Rüger verfügte der Fabrikant zudem über einen direkten Kontakt in die sächsische Justiz und Politik. 1885 kaufte R. eine Mühle in Lockwitz, die zur „Unteren Fabrik“ ausgebaut wurde. Im selben Jahr regte der Verband deutscher Schokoladenfabrikanten die Gründung der Nahrungsmittel-Industrie-Berufsgenossenschaft zur Einrichtung einer branchenübergreifenden Unfallversicherung für Arbeiternehmer an. Zu ihrem ersten Präsidenten wurde R. gewählt. Das 30-jährige Firmenjubiläum 1888 nahm R. zum Anlass, eine Invaliditäts- und Altersversorgungskasse für seinen Betrieb einzurichten. 1892 wurde eine Exportfabrik im böhmischen Bodenbach (tschech. Podmokly) gegründet. Etwa drei Jahre später entstand schließlich die äußerst populäre Werbefigur „Hansi“ des Unternehmens, die der Kunstmaler Otto Zieger nach dem Vorbild seines eigenen Sohns Paul Zieger entwarf. Innerhalb kurzer Zeit wurde der wanderlustige „Hansi“, der auf den Produkten abgebildet war, zum markanten Wiedererkennungszeichen der Firma „Otto Rüger“ und zur wohl bekanntesten Ikone der Dresdner Schokolade. – Nachdem R. bereits am 14.4.1890 den Titel eines Kommerzienrats erhalten hatte, wurde er am 12.9.1897 zum Ehrenmitglied des Verbands deutscher Schokoladenfabrikanten ernannt und war damit erst der zweite Unternehmer, dem diese Auszeichnung verliehen wurde. Etwa zur selben Zeit zog sich R. von den Familiengeschäften zurück. Als Ausdruck höchster Ehrung wurde er 1899 mit dem sächsischen Albrechtsorden Erster Klasse ausgezeichnet. In seinen letzten Lebensjahren setzte sich R. für einen Verkehrsanschluss zwischen Kreischa und Niedersedlitz per Straßenbahn ein, der im März 1906, wenige Monate nach seinem Tod, durch die Einweihung der Lockwitztalbahn realisiert wurde. R. war Mitglied der Freimaurerloge „Zu den drei Schwertern“.

Quellen Stadtarchiv Dresden, 2.3.9 Gewerbeamt A (1800-1930), R.6052 R., Conrad Otto, 1861-1905, 6.4.25 Standesamt/Urkundenstelle, Nr. 1.4.2-56.

Werke Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Verbandes deutscher Chokolade-Fabrikanten, Dresden 1901 (P).

Literatur Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild, Bd. 2, Leipzig 1893, S. 325 f.; Staatshandbuch für das Königreich Sachsen 1900, S. 84; Dresdner Neueste Nachrichten 22.8.1905, S. 4; Dresdner Journal 24.8.1905, S. 1563; Deutschlands Kommerzienräte, Bremen 1909, S. 295; Carl Greiert, Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Verbandes Deutscher Schokolade-Fabrikanten e. V. 1876-1926, Dresden 1926; Conrad Alfred Rüger, Otto R. Ein Leben für die Schokoladenindustrie, Waiblingen 21975; ders., Otto R. Ein Pionier der deutschen Schokoladenindustrie. Zu seinem 150. Geburtstag am 9.7.1981, 1981 [Ms.]; Maike Fabian/Sirko Möge/Katja Wünsche, Lever mit Schokolade. Wie sich der Dresdner Geschmackssinn entwickelte, in: Rolf Lindner/Johannes Moser (Hg.), Dresden. Ethnografische Erkundungen einer Residenzstadt, Leipzig 2006, S. 177-205; Erika Eschebach (Hg.), Schokoladenstadt Dresden. Süßigkeiten aus Elbflorenz, Dresden 2013. – DBA II.

Porträt Otto R., 1901, Fotografie, in: Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Verbandes deutscher Chokolade-Fabrikanten, Dresden 1901, S. 1, EconBiz, ZBW Leibniz-Infomationszentrum Wirtschaft Kiel/Hamburg (Bildquelle).

Lennart Kranz
4.3.2021


Empfohlene Zitierweise:
Lennart Kranz, Artikel: Otto Rüger,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/19456 [Zugriff 17.5.2024].

Otto Rüger



Quellen Stadtarchiv Dresden, 2.3.9 Gewerbeamt A (1800-1930), R.6052 R., Conrad Otto, 1861-1905, 6.4.25 Standesamt/Urkundenstelle, Nr. 1.4.2-56.

Werke Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Verbandes deutscher Chokolade-Fabrikanten, Dresden 1901 (P).

Literatur Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild, Bd. 2, Leipzig 1893, S. 325 f.; Staatshandbuch für das Königreich Sachsen 1900, S. 84; Dresdner Neueste Nachrichten 22.8.1905, S. 4; Dresdner Journal 24.8.1905, S. 1563; Deutschlands Kommerzienräte, Bremen 1909, S. 295; Carl Greiert, Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Verbandes Deutscher Schokolade-Fabrikanten e. V. 1876-1926, Dresden 1926; Conrad Alfred Rüger, Otto R. Ein Leben für die Schokoladenindustrie, Waiblingen 21975; ders., Otto R. Ein Pionier der deutschen Schokoladenindustrie. Zu seinem 150. Geburtstag am 9.7.1981, 1981 [Ms.]; Maike Fabian/Sirko Möge/Katja Wünsche, Lever mit Schokolade. Wie sich der Dresdner Geschmackssinn entwickelte, in: Rolf Lindner/Johannes Moser (Hg.), Dresden. Ethnografische Erkundungen einer Residenzstadt, Leipzig 2006, S. 177-205; Erika Eschebach (Hg.), Schokoladenstadt Dresden. Süßigkeiten aus Elbflorenz, Dresden 2013. – DBA II.

Porträt Otto R., 1901, Fotografie, in: Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Verbandes deutscher Chokolade-Fabrikanten, Dresden 1901, S. 1, EconBiz, ZBW Leibniz-Infomationszentrum Wirtschaft Kiel/Hamburg (Bildquelle).

Lennart Kranz
4.3.2021


Empfohlene Zitierweise:
Lennart Kranz, Artikel: Otto Rüger,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/19456 [Zugriff 17.5.2024].