Margarete Wallmann

W.s Bedeutung für Sachsen und gleichwohl innerhalb der Tanzgeschichte besteht in der Verbreitung der Lehren von Mary Wigman, Gret Palucca und Émile Jaques-Dalcroze in Europa und Amerika. Ihre auf der eigenen Ausbildung bei Mary Wigman fußende Ästhetik des ausdrucksstarken Darstellers wurde von Dirigenten wie Herbert von Karajan oder Sängerinnen wie Maria Callas hoch geschätzt. Dabei vermied W. den experimentellen Tanz und konzentrierte sich auf harmonische Raum-Klang-Bewegungskompositionen - diese Handschrift führte sie hin zur Oper. W. zählt zu den ersten Frauen im Fach ‚Opernregie‘ und hinterließ ein opulentes dramaturgisches Œuvre. Ihre 1958 an der Wiener Staatsoper inszenierte Oper „Tosca“ wurde im Januar 2018 mit einer 600. Aufführung gewürdigt. – W.s frühe Kindheit liegt im Dunkeln, da sie in ihrer Autobiografie sowie verschiedenen Dokumenten ihre Herkunft verschleierte. Neuere Recherchen von Ulrike Messer-Krol ergaben, dass W. einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Berlin entstammte. Als junges Mädchen studierte sie Klassisches Ballett bei Eugenie Platonowna Eduardowa, Heinrich Kröller (Berlin) und Anna Ornelli ( München). 1921 gab sie ihr Debüt in den Kammerspielen des Berliner Deutschen Theaters mit einem Soloprogramm. – 1923 ging W. nach Dresden zu Wigman. Mit deren Tanztruppe reiste sie durch Deutschland, Holland und Italien. Nach ihrem in Dresden absolvierten Examen für ein Lehrerdiplom dozierte sie an der 1927 gegründeten Berliner Zweigschule von Wigman und übernahm in den Jahren 1929-1932/1933 deren Vorsitz. In dieser Funktion baute W. das Fach ‚Tanzregie‘ auf, wobei sie Stilelemente von Palucca ebenso einbezog wie die Raumtheorie des Wigman-Mentors Rudolf von Laban oder die Rhythmik von Jaques-Dalcroze. Maßstab ihrer Arbeit als Tanzregisseurin bildete die Inszenierung von Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“ im Festspielhaus Hellerau 1913. – W.s Choreografien gewannen ab 1930 zunehmend den Respekt der Fachwelt. Ihr Tanzstück „Orpheus Dionysos“ (Musik: Gluck), das sie gemeinsam mit Ted Shawn, Gasttänzer der Berliner Schule, 1930 beim Münchener Tänzer-Kongress aufführte, erhielt den ersten Preis. Darauf reiste W. auf Bestreben von Wigman und offizieller Einladung von Shawn in die USA, um an der New Yorker Zweigstelle der Denishawn School of Dancing and Related Arts die Wigman-Technik zu unterrichten und Vorträge über den German Modern Dance zu halten. Nach ihrer Rückkehr choreografierte sie 1931 im Auftrag von Bruno Walter die Tänze in Glucks „Orfeo ed Euridice“ von Jaques-Dalcroze und Adolphe François Appia für die Festspiele in Salzburg (Österreich) und präsentierte ein Bewegungsdrama von Felix Emmel mit Musik von Georg Friedrich Händel („Das Jüngste Gericht“), in dem sie verschiedene Richtungen vereinte (Delsarte-Naturalismus, Dalcrozes Rhythmik und Labans Raumaufteilung). Der Erfolg dieses Werks brachte ihr die Position einer Tanzberaterin der Festspiele ein. In diesem Kontext arbeitete sie mit Walter, Max Reinhardt und Arturo Toscanini zusammen und lernte Richard Strauss, Franz Werfel, Carl Zuckmayer sowie Stefan Zweig kennen. Reinhardt engagierte sie ferner für seine Inszenierung „Das Große Welttheater“. – Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erhielt W. von Erwin Kerber einen Ruf als Ballettmeisterin an die Wiener Staatsoper. In Wien hatte sie überwiegend volkstümliche Themen zu choreografieren. – 1934 wurde W. an das Londoner Royal Opera House in Covent Garden eingeladen. Im Jahr darauf heiratete sie in der britischen Hauptstadt den Wiener Fagottisten Hugo Burghauser. Ebenfalls 1935 ging W. einen Vertrag mit Metro-Goldwyn-Mayer in Hollywood ein und schuf die Choreografien des Films „Anna Karenina“. Danach beschloss sie, in Amerika zu bleiben, wo sie am Teatro Colón in Buenos Aires arbeitete. Nach Kriegsende gastierte sie zunächst in Europa, produzierte 1946 für die Caracalla-Thermen in Rom Ottorino Respighis „Pini di Roma“, bis sie sich 1948/1949 als Leiterin des Corps de ballet am Teatro alla Scala in Mailand (Italien) niederließ. Da der Moderne Tanz der 1920er-Jahre als veraltet galt, bemühte sich W. um dessen Renaissance, etwa indem sie eine Choreografie gemeinsam mit einem Komponisten erarbeitete (z.B. Francis Poulenc‘ „Dialoghi Delle Carmelitane“, Arthur Honeggers „La Danse des Morts“, Frank Martins „Mysterium von der Geburt des Herrn“). Bis ins hohe Alter inszenierte W. in Salzburg, Mailand, Rom, Verona (Italien), Athen, Berlin, New York, Paris, Nancy (Frankreich) und Monte Carlo ( Monaco), wo sie sich Ende der 1980er-Jahre zur Ruhe setzte. Für ihre Leistungen erhielt sie das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Mailand. – W. schöpfte Ideen für choreografische Bilder oder musiktheatralische Szenen aus ihrem kunstgeschichtlichen Wissen. Malerei, Architektur, Schauspiel und Kompositionen der Alten und Neuen Meister waren wichtige Quellen ihrer Fantasie. Dabei erfasste sie die Musik intuitiv aus dem Klang im Raum heraus und entwickelte daran Bewegungen, Figuren und Chöre. An dieser Stelle blieb W. Wigman, die den Tanz als Dialog mit dem Raum betrachtete, treu. Gunhild Oberzaucher-Schüller bezeichnete W. 2017 als „Bewegungs-Regisseurin“ (Oberzaucher-Schüller, Glamouröse Bewegung), ein Begriff, der in seiner Seltenheit die Einzigartigkeit der Künstlerin adäquat widerspiegelt.

Werke Choreografien: Orpheus Dionysos (Musik: Christoph Willibald Gluck), 1930; Das Jüngste Gericht (Musik: Georg Friedrich Händel), 1931-1933; Das Große Welttheater (Regie: Max Reinhardt), 1933; Österreichische Bauernhochzeit (Musik: Franz Salmhofer), 1933/1934; Fanny Elßler (Musik: Michael Nádor), 1934; Der liebe Augustin (Musik: Alexander Steinbrecher), 1936; Iphigenie auf Tauris (Musik: Christoph Willibald Gluck), 1937; Gli Uccelli (Musik: Ottorino Respighi), 1937; Salzburger Divertissement (Musik: Bernhard Paumgartner), 1954; Persephone (Musik: Igor Stravinsky), 1955. – Operninszenierungen: Ottorino Respighi, Pini di Roma, Rom 1946; Arthur Honegger, Jeanne dʼArc au bûcher, Buenos Aires 1947; Richard Strauss, Die Liebe der Danae, Mailand 1952; Luigi Cherubini, Medea, Mailand 1953; Claudio Monteverdi, Lʼincoronazione di Poppea, Mailand 1953/Verona 1954; Christoph Willibald Gluck, Alceste, Mailand 1954; Vincenzo Bellini, Norma, Mailand, 1955; Darius Milhaud, David, Mailand 1955; Giacomo Puccini, Tosca, Wien 1958; Giuseppe Verdi, Un Ballo in Maschera, Paris 1958-1961; Francis Poulenc, Les Dialogues des Carmélites, London 1958, 1977/1978, 1980-1983; Frank Martin, Mysterium von der Geburt des Herrn, Salzburg 1960; Hector Berlioz, Les Troyens, Paris 1961; Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor, New York 1964; Giacomo Puccini, Turandot, Berlin 1965; Giuseppe Verdi, Don Carlos, Paris 1966-75; Giacomo Puccini, Turandot, Paris 1968-1972; Amilcare Ponchielli, La Gioconda, New York 1966; Giuseppe Verdi, La forza del destino, Berlin 1970; Richard Strauss, Der Rosenkavalier, Monte Carlo 1987; Giacomo Puccini, Madama Butterfly, Monte Carlo1988. – Filmchoreografien: Anna Karenina, 1935; Aida, 1953; La donna piu bella del mondo, 1955. – Tänze in Opern: Christian Willibald Gluck, Orfeo ed Euridice, Salzburg 1931; Jaromír Weinberger, Schwanda, der Dudelsackpfeifer, London 1934; Gustave Charpentier, Louise, Buenos Aires 1938; Giuseppe Verdi, Aida, Buenos Aires 1938; Alfredo Luis Schiuma, Las Virgenes del Sol, Buenos Aires 1939; Giuseppe Verdi, La Traviata, Buenos Aires 1939; ders., Macbeth, Buenos Aires 1939; Camille Saint-Saens, Samson et Dalila, Buenos Aires 1940. – Schriften: Les balcons du ciel, Paris 1976.

Literatur Marguerite Bartholomew, Margarete W. Speaks At The Club, in: The Foreword 18/1930, Nr. 2, S. 12-14; Friderica Derra de Moroda, Margarete W. and the Vienna State Opera. Interview, in: Dancing Times 24/1934, H. 6, S. 254-255; Sinah Kessler, Der große Opernmann ist eine Frau. Die Regisseurin Margherita W., in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 9.12.1967, S. 6; Gunhild Oberzaucher-Schüller (Hg.), Ausdruckstanz. Eine mitteleuropäische Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wilhelmshaven 1992; Bernard Gavoty/Jean-Jacques Lafaye (Hg.), Margherita W. Sous le ciel de l‘opéra. Mémoires, Paris 2004; Gunhild Oberzaucher-Schüller, Margarete W. Glamouröse Bewegungsmoderne, in: Tanz.at, 2017; Ulrike Messer-Krol, Margarete W. Tänzerin, Choreografin, Regisseurin. Eine Würdigung zum 25. Todestag am 2. Mai, in: Online Merkur, 2017; Renate Wagner, Tosca. 600. Aufführung der „Wallmann-Tosca“ (Rezension), in: ebd., 2018. – DBE 10, S. 313; Alice Shalvi/Paula E. Hyman (Hg.), Jewish Women: A Comprehensive Historical Encyclopedia, 2009; Beatrix Borchard/Nina Noeske (Hg.), Musik und Gender im Internet, 2014 (WV).

Porträt Die österreichische Choreographin Margarethe W., um 1925, Fotografie, IMAGNO/Austrian Archives (S), Medien-Nr. 00623947.

Uta Dorothea Sauer
9.3.2022


Empfohlene Zitierweise:
Uta Dorothea Sauer, Artikel: Margarete Wallmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28856 [Zugriff 3.12.2024].

Margarete Wallmann



Werke Choreografien: Orpheus Dionysos (Musik: Christoph Willibald Gluck), 1930; Das Jüngste Gericht (Musik: Georg Friedrich Händel), 1931-1933; Das Große Welttheater (Regie: Max Reinhardt), 1933; Österreichische Bauernhochzeit (Musik: Franz Salmhofer), 1933/1934; Fanny Elßler (Musik: Michael Nádor), 1934; Der liebe Augustin (Musik: Alexander Steinbrecher), 1936; Iphigenie auf Tauris (Musik: Christoph Willibald Gluck), 1937; Gli Uccelli (Musik: Ottorino Respighi), 1937; Salzburger Divertissement (Musik: Bernhard Paumgartner), 1954; Persephone (Musik: Igor Stravinsky), 1955. – Operninszenierungen: Ottorino Respighi, Pini di Roma, Rom 1946; Arthur Honegger, Jeanne dʼArc au bûcher, Buenos Aires 1947; Richard Strauss, Die Liebe der Danae, Mailand 1952; Luigi Cherubini, Medea, Mailand 1953; Claudio Monteverdi, Lʼincoronazione di Poppea, Mailand 1953/Verona 1954; Christoph Willibald Gluck, Alceste, Mailand 1954; Vincenzo Bellini, Norma, Mailand, 1955; Darius Milhaud, David, Mailand 1955; Giacomo Puccini, Tosca, Wien 1958; Giuseppe Verdi, Un Ballo in Maschera, Paris 1958-1961; Francis Poulenc, Les Dialogues des Carmélites, London 1958, 1977/1978, 1980-1983; Frank Martin, Mysterium von der Geburt des Herrn, Salzburg 1960; Hector Berlioz, Les Troyens, Paris 1961; Gaetano Donizetti, Lucia di Lammermoor, New York 1964; Giacomo Puccini, Turandot, Berlin 1965; Giuseppe Verdi, Don Carlos, Paris 1966-75; Giacomo Puccini, Turandot, Paris 1968-1972; Amilcare Ponchielli, La Gioconda, New York 1966; Giuseppe Verdi, La forza del destino, Berlin 1970; Richard Strauss, Der Rosenkavalier, Monte Carlo 1987; Giacomo Puccini, Madama Butterfly, Monte Carlo1988. – Filmchoreografien: Anna Karenina, 1935; Aida, 1953; La donna piu bella del mondo, 1955. – Tänze in Opern: Christian Willibald Gluck, Orfeo ed Euridice, Salzburg 1931; Jaromír Weinberger, Schwanda, der Dudelsackpfeifer, London 1934; Gustave Charpentier, Louise, Buenos Aires 1938; Giuseppe Verdi, Aida, Buenos Aires 1938; Alfredo Luis Schiuma, Las Virgenes del Sol, Buenos Aires 1939; Giuseppe Verdi, La Traviata, Buenos Aires 1939; ders., Macbeth, Buenos Aires 1939; Camille Saint-Saens, Samson et Dalila, Buenos Aires 1940. – Schriften: Les balcons du ciel, Paris 1976.

Literatur Marguerite Bartholomew, Margarete W. Speaks At The Club, in: The Foreword 18/1930, Nr. 2, S. 12-14; Friderica Derra de Moroda, Margarete W. and the Vienna State Opera. Interview, in: Dancing Times 24/1934, H. 6, S. 254-255; Sinah Kessler, Der große Opernmann ist eine Frau. Die Regisseurin Margherita W., in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 9.12.1967, S. 6; Gunhild Oberzaucher-Schüller (Hg.), Ausdruckstanz. Eine mitteleuropäische Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Wilhelmshaven 1992; Bernard Gavoty/Jean-Jacques Lafaye (Hg.), Margherita W. Sous le ciel de l‘opéra. Mémoires, Paris 2004; Gunhild Oberzaucher-Schüller, Margarete W. Glamouröse Bewegungsmoderne, in: Tanz.at, 2017; Ulrike Messer-Krol, Margarete W. Tänzerin, Choreografin, Regisseurin. Eine Würdigung zum 25. Todestag am 2. Mai, in: Online Merkur, 2017; Renate Wagner, Tosca. 600. Aufführung der „Wallmann-Tosca“ (Rezension), in: ebd., 2018. – DBE 10, S. 313; Alice Shalvi/Paula E. Hyman (Hg.), Jewish Women: A Comprehensive Historical Encyclopedia, 2009; Beatrix Borchard/Nina Noeske (Hg.), Musik und Gender im Internet, 2014 (WV).

Porträt Die österreichische Choreographin Margarethe W., um 1925, Fotografie, IMAGNO/Austrian Archives (S), Medien-Nr. 00623947.

Uta Dorothea Sauer
9.3.2022


Empfohlene Zitierweise:
Uta Dorothea Sauer, Artikel: Margarete Wallmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28856 [Zugriff 3.12.2024].