Livius Fürst

Livius Fürst machte sich als bedeutender Frauen- und Kinderarzt einen Namen. Darüber hinaus war er auch als Schriftsteller und in der wissenschaftlichen Lehre tätig. – Geboren wurde Fürst als Sohn des jüdischen Orientalisten Julius Fürst und dessen Ehefrau Therese Fürst in Leipzig, wo er 1848 in die Nikolaischule eintrat. An der Universität Jena nahm er 1858 ein Medizinstudium auf, das er - nach Zwischenstationen in Prag und Wien - mit der Promotion zum Dr. med. abschloss. 1868 wurde Fürst Leiter der Pädiatrischen Poliklinik in Leipzig und gründete später eine Privatklinik, deren Leitung er auch übernahm. Als Arzt nahm er sowohl am Deutsch-Deutschen Krieg 1866 als auch am Deutsch-Französischen Krieg 1870/1871 teil. Ab 1877 trug Fürst den Titel königlich sächsischer Sanitätsrat. – Neben seiner leitenden Funktion als Arzt wirkte Fürst ab Sommer 1871 über 42 Semester lang als Privatdozent für Frauen- und Kinderheilkunde an der Universität Leipzig. Nach eigenen Angaben legte Fürst in seiner wissenschaftlichen Laufbahn rund 30.000 Abhandlungen vor und behandelte etwa 28.000 Kinder armer Herkunft kostenlos. Auch beteiligte sich Fürst offenbar an der Gewinnung und Lieferung von Impfstoffen. Im Frühjahr 1892 kam es jedoch zu Zerwürfnissen, die zu seinem Ausschluss aus der Leipziger Medizinischen Gesellschaft und dem ärztlichen Bezirksverein Leipzig führten. Er selbst legte per Schreiben an das Königliche Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts vom 26.3.1892 seine Tätigkeit als Privatdozent nieder. Hintergrund war offenbar der durch einen Brief publik gewordene Verdacht, Fürst habe gegen Honorarzahlung Produktbesprechung vorgenommen und damit die Standesehre der Ärzteschaft verletzt. Gegen diesen Vorwurf setzte er sich zur Wehr und brachte zugleich seine Enttäuschung zum Ausdruck, dass er sich trotz seines jahrelangen Einsatzes als Arzt und Wissenschaftler zurückgesetzt, unbeachtet und zu wenig unterstützt fühle. Dieser Konflikt dürfte entscheidend dafür gewesen sein, dass Fürst 1893 von Leipzig nach Berlin übersiedelte. Seine Einnahmequelle verlagerte sich dort zunehmend auf das Schreiben von Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen, diversen Werbetexten sowie Vortragstätigkeiten, ohne dass Fürst zu einem nachhaltig stabilen Einkommen fand. Im Frühjahr 1904 strengte die Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung und Ermittlungen wegen Betrugs gegen ihn an, da Fürst laut ihren Vorwürfen ein unrechtmäßiges System des Verkaufs von Kommerzienrats- und weiteren Ehrentiteln in ganz Deutschland etabliert hatte. Demnach hatte der Verdächtigte über Mittelsmänner die Titel Interessenten angeboten und im Gegenzug hohe Geldsummen kassiert, die wiederum in Depots aufgeteilt worden seien, um sie gemeinnützigen Stiftungen und Organisationen zuzuführen. Fürst bestritt gegenüber den Behörden jede eigennützige Absicht und betonte den idealistischen Charakter seiner Taten. Obwohl die Strafverfolger an dieser Angabe zweifelten, wurden die Ermittlungen gegen Fürst im Sommer 1904 offenbar eingestellt, da der klare Nachweis eines Betrugs nicht zu erbringen war. Auch dass womöglich hochrangige Personenkreise als vermeintliche Spendenempfänger involviert gewesen sein sollen, mag hierzu beigetragen haben. – 1907 starb Fürst im Alter von 67 Jahren in Berlin. Er hinterließ neben einer Vielzahl wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Werke auch diverse Märchen, die er als Autor unter dem Pseudonym Friedrich Lindenstedt publiziert hatte. Zu seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten gehört darüber hinaus seine Beteiligung am 1842 gegründeten und der Verehrung Friedrich Schillers gewidmeten Leipziger Schillerverein, dem auch sein Vater Julius Fürst angehörte. Fürst war bereits in jungen Jahren in diesem Verein aktiv. So steuerte der erst 19-Jährige anlässlich des 100. Todestags von Friedrich Schiller im November 1859 eine eigens komponierte Festhymne bei, die zu den Feierlichkeiten auf dem Marktplatz in Leipzig erklang und auf einer Komposition von Felix Mendelssohn Bartholdy basierte. Außerdem verfasste er für den Verein ein Tafellied. Ab September 1887 engagierte sich Fürst über mehrere Jahre hinweg im Vereinsvorstand des Schillervereins. Laut eigenen Angaben war er in Berlin zudem Meister einer Freimaurerloge. – Fürst war zweimal verheiratet. Seine erste Ehefrau Fanni Sidonie Bondi aus der Dresdner Bankiersfamilie verstarb wenige Monate nach der am 23.5.1869 geschlossenen Ehe mit nur 23 Jahren durch Erhängen, weil sie den Tod eines Neugeborenen nicht verkraftet haben soll. Aus seiner zweiten Ehe mit Henriette Scheikevitch gingen zwei Töchter hervor. Beide waren künstlerisch aktiv und wurden durch die Nationalsozialisten in Konzentrationslagern ermordet.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 10046; Stadtarchiv Leipzig, 0006 Leichenschreiberei, Ratsleichenbücher, Reg.-Nr. 203 (1869-1870), S. 424, 0008 Ratsstube, Tit. LI Nr. 235, 0370 Schillerverein zu Leipzig, Nr. 37, 40, 79; Stadtarchiv Dresden, 2.1.3.-C.XXI.20.153 Kirchliche Wochenzettel; Landesarchiv Berlin, Standesamt Berlin III, Personenstandsregister, Urkunde Nr. 897; Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin, I HA Rep 84 a Nr. 49812.

Werke Ueber Bildungshemmungen des Utero-Vaginal-Kanales, Berlin 1868; Das Märchen von den sieben Raben und der treuen Schwester. Eine Dichtung nach Moritz von Schwindʼs gleichnamigem Bilde, Leipzig 1875; Das Kind und seine Pflege, Leipzig 1876, 51897; Neuere vergleichende Untersuchungen über Kindermehle, in: Deutsche Medicinische Wochenschrift 18/1892, Nr. 13, S. 292 f., Nr. 14, S. 319; Die Hygiene der Menstruation im normalen und krankhaften Zustande, Leipzig 1894, 21914; Die Pathologie der Schutzpocken-Impfung, Berlin 1896.

Literatur Katharina Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805-1873). Wissenschaftler, Publizist und engagierter Bürger, in: Stephan Wendehorst (Hg.), Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig, Leipzig 2006, S. 41-60; Katrin Löffler, Gründung der jüdischen Gemeinde, in: Susanne Schötz (Hg.), Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 3: Vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg, Leipzig 2018, S. 354-358; Susanne Schötz, Zwischen Repression und nationalpolitischem Aufbruch 1849-1871, in: ebd., S. 192-211; Daniel Ristau, Die Familie Bondi und das „Jüdische.“ Beziehungsgeschichte unter dem bürgerlichen Wertehimmel 1790-1870, Göttingen 2023. – DBA I, II, III; DBE II 3, S. 619.

Porträt Porträt von Dr. med. Livius Fürst (Sohn von Julius Fürst), Robert Krausse, 1873, Ölgemälde auf Leinwand, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inventar-Nr. XXVII/42 (Bildquelle) [CC BY-NC-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International License].

Lucas Böhme
7.8.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Livius Fürst,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1589 [Zugriff 23.8.2025].

Livius Fürst



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts, Nr. 10046; Stadtarchiv Leipzig, 0006 Leichenschreiberei, Ratsleichenbücher, Reg.-Nr. 203 (1869-1870), S. 424, 0008 Ratsstube, Tit. LI Nr. 235, 0370 Schillerverein zu Leipzig, Nr. 37, 40, 79; Stadtarchiv Dresden, 2.1.3.-C.XXI.20.153 Kirchliche Wochenzettel; Landesarchiv Berlin, Standesamt Berlin III, Personenstandsregister, Urkunde Nr. 897; Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin, I HA Rep 84 a Nr. 49812.

Werke Ueber Bildungshemmungen des Utero-Vaginal-Kanales, Berlin 1868; Das Märchen von den sieben Raben und der treuen Schwester. Eine Dichtung nach Moritz von Schwindʼs gleichnamigem Bilde, Leipzig 1875; Das Kind und seine Pflege, Leipzig 1876, 51897; Neuere vergleichende Untersuchungen über Kindermehle, in: Deutsche Medicinische Wochenschrift 18/1892, Nr. 13, S. 292 f., Nr. 14, S. 319; Die Hygiene der Menstruation im normalen und krankhaften Zustande, Leipzig 1894, 21914; Die Pathologie der Schutzpocken-Impfung, Berlin 1896.

Literatur Katharina Vogel, Der Orientalist Julius Fürst (1805-1873). Wissenschaftler, Publizist und engagierter Bürger, in: Stephan Wendehorst (Hg.), Bausteine einer jüdischen Geschichte der Universität Leipzig, Leipzig 2006, S. 41-60; Katrin Löffler, Gründung der jüdischen Gemeinde, in: Susanne Schötz (Hg.), Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 3: Vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg, Leipzig 2018, S. 354-358; Susanne Schötz, Zwischen Repression und nationalpolitischem Aufbruch 1849-1871, in: ebd., S. 192-211; Daniel Ristau, Die Familie Bondi und das „Jüdische.“ Beziehungsgeschichte unter dem bürgerlichen Wertehimmel 1790-1870, Göttingen 2023. – DBA I, II, III; DBE II 3, S. 619.

Porträt Porträt von Dr. med. Livius Fürst (Sohn von Julius Fürst), Robert Krausse, 1873, Ölgemälde auf Leinwand, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inventar-Nr. XXVII/42 (Bildquelle) [CC BY-NC-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International License].

Lucas Böhme
7.8.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Livius Fürst,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1589 [Zugriff 23.8.2025].