Kurt Heinrich

H. hat sich mit frühen Kurzwellen-Versuchen zur drahtlosen Kommunikation wie auch zu medizinischen Anwendungen in Lehre und Forschung verdient gemacht und sich erfolgreich mit qualitätsfördernden Aspekten eines praxisorientierten Studiums für Elektroingenieure an Höheren Technischen Lehranstalten auseinandergesetzt. – Als Sohn eines Eisenbahnoberingenieurs schloss H. den Besuch des Gymnasiums in Freiberg mit dem Abitur ab. Mit Kriegsbeginn folgte 1914 im Elektrizitätswerk Lichtenberg/Erzgebirge eine einjährige berufliche Ausbildung, bevor H. ein Studium an der Technischen Hochschule Dresden aufnahm. Die Diplomvorprüfung absolvierte er im April 1916 an der Mechanischen Abteilung für Maschinen- und Elektroingenieure. Als „candidatus electronic“ arbeitete H. im Konstruktionsbüro Marktredwitz und bei der AEG Bayreuth, bevor er im November 1917 mit 24 Jahren die Diplomprüfung als Elektroingenieur abschloss. Im Kriegsdienst des Ersten Weltkriegs war H. zunächst als Hilfsreferent im Kriegsamt Berlin in der Sektion Elektrotechnik tätig, bevor er ab Februar 1918 in die Kriegsindustrie wechselte - in die Chemnitzer „Elektricitäts-Aktiengesellschaft vormals Hermann Pöge“ (Pöge AG), dem ersten elektrotechnischen Betrieb Sachsens. In einer neu errichteten Abteilung zur Herstellung von Kleinst(elektro)motoren wurde H. mit dem Aufbau und der Leitung der Prüf- und Versuchsfelder beauftragt. In dieser Funktion war H. gleichzeitig der Verbindungsingenieur zu Berliner Funktechnik-Produzenten, was bei ihm zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der drahtlosen Telegrafie und Telefonie führte. In einem ca. 1920 von ihm in Chemnitz privat gegründeten Elektrotechnischen Institut widmete er sich dieser Thematik auch praktisch. Aus Freude an der Wissensvermittlung dozierte H. im Nebenamt am Technikum Hainichen. Schwerpunkte waren dabei die Theorie und die Anwendungen elektrischer Motoren und Generatoren wie auch elektrische Bahnen. Spezielle Sonderkurse der Elektrotechnik zur drahtlosen Telegrafie und dazugehörige Praktika vervollkommneten sein Lehrangebot. H. sah es als Erfordernis der Zeit, besonders Ingenieure und Techniker praxisorientiert auszubilden. Dazu gewann er mit seinem Arbeitgeber, der Pöge AG, einen wichtigen Hochschulpartner für studentische Exkursionen wie auch zur Absolventenübernahme. Das Technikum Hainichen beschrieb H. als einen ausgezeichneten Fachmann und eine äußerst tüchtige Lehrkraft mit ausgezeichneter Methodik. Diese Dozententätigkeit endete zum 1.1.1922 mit dem Arbeitswechsel in die Elektromaschinenfabrik Neumarkt/Oberpfalz als Oberingenieur und Vertreter der technischen Direktion mit Handelsvollmacht. Doch seine Liebe zur Lehre sollte die Oberhand behalten. So bewarb er sich im Sommer 1922 auf eine Anzeige der Ingenieur-Akademie Wismar und übernahm als städtischer Baurat und Dozent die Abteilung und das Labor der Elektrotechnik. Mit viel Elan begann H. seine sächsischen Erfahrungen aus der Industrie und der Lehrtätigkeit nun an der Akademie in Wismar umzusetzen. Die mäßige Laborausrüstung veranlasste ihn, die gerätetechnische Ausstattung seines privaten Chemnitzer Instituts der Akademie zur kostenlosen studentischen Ausbildung anzubieten. Er etablierte so im Gegenzug das erste An-Institut an der Wismarer Akademie. – Die Sommerferien verbrachte H. nach wie vor in seiner Heimat Sachsen und das nicht nur, weil er an der Technischen Hochschule Dresden noch bis Januar 1925 an seiner Promotion schrieb. H. hatte sich im Kriegsdienst und erst recht in seiner beruflichen Tätigkeit in der Pöge AG verstärkt der Funktechnik zugewandt sowie mit dem praktischen Kurzwellenempfang beschäftigt. In diesem neuen Fachgebiet wirkte H. in speziellen Gremien des Verbands Deutscher Elektrotechnik und dem Deutschen Funktechnischen Verband und pflegte frühere Industriekontakte wie zu Siemens & Halske. So war es nur folgerichtig, dass H. 1924 zu den allerersten Genehmigungsinhabern einer Versuchssenderlizenz in Deutschland gehörte - vertreten mit dem Erstrufzeichen „Q1“ für die Wismarer Akademie. – In dem Physiker und Fernmeldetechniker Carl Wilhelm Bangert von der Gewerbeakademie Chemnitz fand H. einen wichtigen Partner zum Kurzwellenfunk. Die Ferienzeit bis zum Beginn des Wintersemesters blieb H. meist in Chemnitz, forschte gemeinsam mit Bangert zum Einsatz der Hochfrequenz für medizinische Anwendungen und organisierte einen gemeinsamen studentischen Funklehrbetrieb zwischen Wismar und Chemnitz. Wie auch Bangert veröffentlichte H. seine wissenschaftlichen Ergebnisse, engagierte sich lokal mit Vorträgen in Radio-Funkvereinen und bereitete für Wismar den Eintritt in den Deutschen Amateur-Sende- und Empfangsdienst vor. – Dank H.s Engagement und seinen Vorstellungen von qualitätsgerechter Ausbildung hatten die Absolventen seiner Abteilung Elektrotechnik der Ingenieur-Akademie Wismar einen guten Ruf. In einem von Hochschulen und Industrie stark beachteten Artikel in der Elektrotechnischen Zeitschrift von 1927 postulierte H. aus seinen Erfahrungen in Sachsen und Wismar Qualitätsstandards zur „Laboratoriumstechnischen Ausbildung von Elektroingenieuren“. Die hier u.a. benannten Anforderungskriterien für dazu geeignete Dozenten riefen, im Gegensatz zur Industrie, bei seinen Hochschulkollegen nicht nur Beifall hervor. Es war H.s Verdienst, dass die Akademie über viele Jahre Berliner Unternehmen Absolventen in der von ihnen gewünschten Qualität anbieten konnte, sodass in den Großbetrieben wie den Siemens-Schuckertwerken - aber auch dem AEG/Kabelwerk Oberspree, Siemens & Halske, der Telefunken Gesellschaft für drahtlose Telegrafie m.b.H. und der Osram GmbH - Wismarer Bewerbungen bevorzugt Berücksichtigung fanden. – Die engagierte umtriebige Art H.s, weit über das Maß vieler anderer Wismarer Dozenten hinaus, gefiel nicht allen an der Akademie. Auch seine manchmal laxe Art und unbedachte Äußerungen riefen Spannungen hervor. H. nahm seine Widersacher und deren Vorwürfe fataler Weise lange nicht ernst. So sah er sich Ende 1931 plötzlich einer fristlosen Kündigung gegenüber, gegen die H. zunächst erfolgreich prozessierte. Doch die Stadt als Arbeitgeber setzte einen beispiellosen Prozess-Marathon über alle Instanzen in Gang, der nach über zwei Jahren letztlich mit einem Vergleich und einer auf ein Jahr befristeten Wiedereinstellung hinauslief. H.s juristischer Erfolg hinterließ einen mittlerweile mittellosen, kranken und gebrochenen Mann, dessen Zeit an der Hochschule Wismar am 31.3.1935 endgültig endete. Diverse Bewerbungsversuche H.s scheiterten, auch weil er als für die NSDAP ungeeignet eingestuft worden war, nicht zuletzt wegen seiner Zugehörigkeit zur Wismarer Freimaurerloge „Athanasia zu den drei Löwen“, die wie auch alle anderen Logen im August 1935 verboten wurde. Nach Aktenlage verließ H. mit seiner Familie in der Zeit zwischen Mai 1935 und spätestens Mai 1937 Wismar. Ein letzter indirekter Lebensbeweis H.s stammt von 1941, als das Oberkommando der Kriegsmarine Berlin von der Akademie seine Personalakte anforderte. H. war als Kriegsbeamter eingezogen worden und sollte als Lehrer für Marinenachrichtentechnik beschäftigt werden. H.s Akte kam am 11.3.1941 aus Berlin mit einem „bestem Dank“ versehen unkommentiert zurück. Dann verliert sich bislang jegliche Spur von H. und seiner Familie.

Quellen Hansestadt Wismar, Stadtarchiv, Ratsakten 502/7, 6331, 6332, 6333; Wien, Dokumentationsarchiv Funk; DL2SWR, Online-Sammlung von ergänzenden Original-Dokumenten und Transkriptionen; Privatarchiv Uwe Hansen.

Werke Über die Ursache des Elektrisierens bei Berührung nicht geerdeter in Betrieb befindlicher Wechselstrommotoren, in: Elektrotechnische Zeitschrift 48/1927, H. 3, S. 75f.; Über die laboratoriumstechnische Ausbildung von Elektroingenieuren an höheren Technischen Lehranstalten, in: ebd., H. 20, S. 689f.; Störungen von Rundfunkempfang durch Quecksilberdampf-Gleichrichter, in: ebd. 49/1928, H. 35, S. 1296 f.; Über die Beeinflussung des menschlichen Organismus beim Arbeiten am Kurzwellensender, in: ebd. 50/1929, H. 30, S. 1088-1090; Über neue Erscheinungen im Kondensatorfelde sehr schnell schwingender Stromkreise, in: ebd., H. 46, S. 1656f.; Die theoretischen Grundlagen der Wechselstrommaschinen, Leipzig 1930; Über eine Möglichkeit, Rundfunkstörungen zu unterdrücken, die durch elektrische Schaltwerke entstehen, in: Elektrotechnische Zeitschrift 52/1931, H. 44, S. 1358f.

Literatur Uwe Hansen, Versuchsfunkstelle Wismar ruft Paris! Amateurfunk vor 90 Jahren in Wismar oder ein Tag im Leben des Dr.-Ing. Kurt H., in: Wismarer Beiträge 24/2018, S. 96-113; Wismars Elektrotechnik-Absolventen begehrt in Berliner Großbetrieben, in: ebd. 25/2019, S. 246-267; Dokumentationsarchiv Funk, Die ersten Sendegenehmigungen für Kurzwelle. – DBA II.

Uwe Hansen
20.05.2020


Empfohlene Zitierweise:
Uwe Hansen, Artikel: Kurt Heinrich,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29140 [Zugriff 26.11.2024].

Kurt Heinrich



Quellen Hansestadt Wismar, Stadtarchiv, Ratsakten 502/7, 6331, 6332, 6333; Wien, Dokumentationsarchiv Funk; DL2SWR, Online-Sammlung von ergänzenden Original-Dokumenten und Transkriptionen; Privatarchiv Uwe Hansen.

Werke Über die Ursache des Elektrisierens bei Berührung nicht geerdeter in Betrieb befindlicher Wechselstrommotoren, in: Elektrotechnische Zeitschrift 48/1927, H. 3, S. 75f.; Über die laboratoriumstechnische Ausbildung von Elektroingenieuren an höheren Technischen Lehranstalten, in: ebd., H. 20, S. 689f.; Störungen von Rundfunkempfang durch Quecksilberdampf-Gleichrichter, in: ebd. 49/1928, H. 35, S. 1296 f.; Über die Beeinflussung des menschlichen Organismus beim Arbeiten am Kurzwellensender, in: ebd. 50/1929, H. 30, S. 1088-1090; Über neue Erscheinungen im Kondensatorfelde sehr schnell schwingender Stromkreise, in: ebd., H. 46, S. 1656f.; Die theoretischen Grundlagen der Wechselstrommaschinen, Leipzig 1930; Über eine Möglichkeit, Rundfunkstörungen zu unterdrücken, die durch elektrische Schaltwerke entstehen, in: Elektrotechnische Zeitschrift 52/1931, H. 44, S. 1358f.

Literatur Uwe Hansen, Versuchsfunkstelle Wismar ruft Paris! Amateurfunk vor 90 Jahren in Wismar oder ein Tag im Leben des Dr.-Ing. Kurt H., in: Wismarer Beiträge 24/2018, S. 96-113; Wismars Elektrotechnik-Absolventen begehrt in Berliner Großbetrieben, in: ebd. 25/2019, S. 246-267; Dokumentationsarchiv Funk, Die ersten Sendegenehmigungen für Kurzwelle. – DBA II.

Uwe Hansen
20.05.2020


Empfohlene Zitierweise:
Uwe Hansen, Artikel: Kurt Heinrich,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29140 [Zugriff 26.11.2024].