Konrad Thus von Nieheim

T. entstammte einer ratsfähigen Bürgerfamilie aus Nieheim, östlich von Paderborn. Aus seiner späteren Zugehörigkeit zur bayerischen Nation der Universität Leipzig wurde früher auf eine Herkunft aus Bayern geschlossen. Die bayerische Nation war in Leipzig aber sehr ausgedehnt und umfasste auch T.s tatsächliche Herkunftsregion, so dass Heimatort und Nationszugehörigkeit ohne Weiteres miteinander vereinbar sind. Auf eine Geburt in den Jahren um 1360 weist die Tatsache hin, dass T. 1377 in Prag den niedrigsten akademischen Grad des baccalaureus artium erwarb. Seit 1391 studierte er an der Prager Juristenuniversität, die seit 1372 eine selbstständige Universität darstellte. Von 1399 an ist er für einige Jahre als bischöflicher Generalvikar und Offizial in seiner Paderborner Heimat nachweisbar. Im Wintersemester 1402/03 kam er als zweifellos in Prag promovierter doctor decretorum (Doktor des Kirchenrechts) nach Erfurt, wo er im Jahr darauf Rektor der Universität war und spätestens 1405 Ordinarius der dortigen Juristenfakultät wurde, der neben Köln zu dieser Zeit bedeutendsten im Reich. 1410 wird er erstmals als doctor utriusque iuris (Doktor beider Rechte) bezeichnet. Ihm muss also zwischen 1405 und 1410 zu seinem kirchenrechtlichen Doktortitel auch noch der im Römischen Recht verliehen worden sein. Diesen akademischen Grad hat T. wahrscheinlich in Italien erworben, denn eine legistische Promotion wäre zu dieser Zeit in Erfurt wohl noch nicht möglich und im Reich nördlich der Alpen höchstens in Köln zu erlangen gewesen, wo T. nicht nachweisbar ist. – Als 1409 die Universität Leipzig gegründet wurde, gelang es sehr schnell, auch eine funktionierende Juristenfakultät aufzubauen. Dies ist deswegen bemerkenswert, weil die eine eigene Universität bildenden Prager Juristen beim Auszug der Deutschen Nationen an der Moldau geblieben waren. Die erforderlichen Rechtslehrer mussten also erst gewonnen und in Leipzig versammelt werden. Der frühe Erfolg des Leipziger Rechtsstudiums wurde dabei personell in starkem Maße von einem Zustrom von Erfurter Juristen getragen. Der bedeutendste dieser frühen Leipziger Juristen war der Erfurter Professor T., der im Wintersemester 1411/12 nach Leipzig kam und hier der erste Ordinarius der Juristenfakultät wurde. Er war damit nicht nur Inhaber der ordentlichen Lektur des Kirchenrechts, sondern fungierte auch als Dekan dieser Fakultät. Unter seiner Leitung erreichte sie schon bald beachtliches Ansehen und verhältnismäßig hohe Besucherzahlen. In einem Brief eines schwedischen Studenten von 1424 ist die Rede von über 80 Scholaren. Viele von T.s Schülern dürften - wie allgemein üblich - gegen ein Entgelt in T.s Leipziger Haus gelebt und gelernt haben, das T. also nicht nur als Wohnung, sondern auch als Burse nutzte. Auffällig ist, dass sich unter den frühen Leipziger Rechtsstudenten, d.h. unter T.s Schülern, außergewöhnlich viele später sehr erfolgreiche Juristen befanden, so mehrere Bischöfe und hochrangige gelehrte Räte verschiedener Reichsfürsten. Von T.s Lehrtätigkeit in Leipzig und Erfurt zeugen einige studentische Nachschriften seiner Vorlesungen und Repetitionen, die sich in verschiedenen Codices erhalten haben, aber noch nicht näher untersucht worden sind. – Im Sommersemester 1422 immatrikulierte sich T. an der Universität Rostock, wahrscheinlich nur, um dort seinen Erfurter Schüler und Kollegen Johannes Voss von Soest zum doctor utriusque iuris zu promovieren. Bald darauf kehrte er nach Leipzig zurück, um dort seine Lehrtätigkeit fortzusetzen, vielleicht bereits im Wintersemester 1422/23. Ungefähr zu dieser Zeit dürfte die Leitung der Juristenfakultät an T.s Erfurter Schüler Jakob Rodewitz von Jena, den zweiten Leipziger Ordinarius, übergegangen sein. Im Winter 1428/29 ging T. wieder nach Erfurt. Im Februar 1429 wird er noch einmal als abwesendes Mitglied der Universität Leipzig erwähnt. T. verstarb Anfang 1435, wie es sich - gegen die ältere Forschung - aus Suppliken um die durch seinen Tod frei werdenen Pfründen ergibt. – T.s Lebenslauf ist in vielerlei Hinsicht charakteristisch für den hochrangigen Juristen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die zunehmende Verschriftlichung und Verrechtlichung des gesellschaftlichen Lebens erzeugten einen wachsenden Bedarf an Juristen und hoben das Ansehen des Berufsstands. Der gelehrte und juristisch versierte Ratgeber wurde zu einer festen Größe in der politischen Praxis von Städten und Fürsten. Und auch in der weltlichen Gerichtsbarkeit gewann seine Expertise an Gewicht, wenngleich sich hier die Figur des gelehrten Richters - anders als im geistlichen Gericht - noch nicht dauerhaft etabliert hatte. Die zunehmende Kenntnis und Anwendung des spätantiken römischen Rechts sicherten gerade einem Juristen wie T., der einen Grad sowohl im Kirchenrecht als auch im römischem Zivilrecht hatte, Auskommen und Prestige. – T.s hohes Ansehen wird auch illustriert durch Zahl und Rang seiner Pfründen, aus denen er einen großen Teil seines Lebensunterhalts bezogen haben dürfte. Wie fast alle seine Standesgenossen war T. Kleriker. Als solcher hatte er im Laufe seines Lebens nicht weniger als 17 Pfründen inne, darunter Domkanonikate in Meißen, Naumburg, Magdeburg, Lübeck, Minden und Hildesheim sowie Stiftspfründen in St. Severi und St. Marien in Erfurt. Schon diese „Pfründenkarriere“ verdeutlicht auch T.s weit gestreute Kontakte und seine hohe Mobilität, was typisch für die Elite der Rechtsgelehrten des Spätmittelalters war, der man T. zweifellos zurechnen kann.

Werke Vorlesungen über das erste und das vierte Buch des Liber Extra; Repetitionen zu einzelnen Kapiteln des Liber Extra.

Literatur T. Muther, Zur Quellengeschichte des deutschen Rechts, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte 4/1864, S. 380-445; E. Friedberg, Die Leipziger Juristenfakultät, ihre Doktoren und ihr Heim, Leipzig 1909; E. Kleineidam, Universitas studii Erffordensis, Bd. 1: Spätmittelalter 1392-1460, Leipzig 21985, S. 47 (WV); R. Gramsch, Erfurter Juristen im Spätmittelalter, Leiden 2003. – ADB 38, S. 233; DBA I.

Marek Wejwoda
26.10.2009


Empfohlene Zitierweise:
Marek Wejwoda, Artikel: Konrad Thus von Nieheim,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3912 [Zugriff 22.12.2024].

Konrad Thus von Nieheim



Werke Vorlesungen über das erste und das vierte Buch des Liber Extra; Repetitionen zu einzelnen Kapiteln des Liber Extra.

Literatur T. Muther, Zur Quellengeschichte des deutschen Rechts, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte 4/1864, S. 380-445; E. Friedberg, Die Leipziger Juristenfakultät, ihre Doktoren und ihr Heim, Leipzig 1909; E. Kleineidam, Universitas studii Erffordensis, Bd. 1: Spätmittelalter 1392-1460, Leipzig 21985, S. 47 (WV); R. Gramsch, Erfurter Juristen im Spätmittelalter, Leiden 2003. – ADB 38, S. 233; DBA I.

Marek Wejwoda
26.10.2009


Empfohlene Zitierweise:
Marek Wejwoda, Artikel: Konrad Thus von Nieheim,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3912 [Zugriff 22.12.2024].