Karl Hermann Trinkaus
Karl Hermann T. gehörte einer Generation von Künstlern an, die im frühen 20. Jahrhundert ohne herkunftsbedingte Privilegien und ohne höhere schulische oder künstlerische Vorbildung aufgrund von individuellem Talent und Geschick an einer Kunstgewerbeschule wie dem Bauhaus studieren durften. Danach war T. als Bühnenbildner und Grafiker Teil der politisch linksgerichteten Kunst- und Kulturszene der Weimarer Republik, bevor er sich seit 1933 in künstlerischer Hinsicht in ein zunehmend unpolitisches inneres Exil zurückzog. – T. kam 1904 in Stötteritz bei Leipzig zur Welt und wuchs dort auf. 1910-1912 besuchte er die Mittlere Volksschule in Zwenkau und danach bis 1918 die 17. Bürgerschule in Stötteritz. 1918-1920 durchlief er an der Städtischen Gewerbeschule in Leipzig eine Ausbildung in Elektrotechnik und absolvierte anschließend bis 1922 eine Lehre zum Elektroinstallateur bei der Leipziger Firma Brüggemann und Lewus. – T.s nachweisbares künstlerisches Schaffen begann 1923 als Autodidakt. Damals gestaltete er die Festschrift zum 1. Stiftungsfest der Technischen Vereinigung Städtischer Gewerbeschüler zu Leipzig. 1924 entstanden weitere grafisch-gestalterische Arbeiten an der Städtischen Gewerbeschule. Dort lernte er den späteren Bauhaus-Schüler und -Künstler Heinz Löw kennen. T. erscheint in Leipzig, auch zusammen mit Loew, in dieser Zeit mehrfach als Bühnengestalter, so für die Stücke „Knock oder der Triumph der Medizin“ von Jules Romains und „Candida: Ein Mysterium in drei Akten“ von George Bernard Shaw. 1926 und 1927/1928 hielten sich Loew und T. gemeinsam am Bauhaus in
Dessau auf und standen in dieser Zeit in engem Kontakt zueinander. Im Wintersemester 1927/1928 unterstützte der Künstler Wassily Kandinsky mit einem Empfehlungsschreiben die Aufnahme des mittellosen T. an der Bauhaus-Schule. T.s Arbeiten, so Kandinsky, entsprängen einer reichen Phantasie, für die T. in seinem Werk die geeignete künstlerische Form finde. Dies sei umso höher einzuschätzen, da T. zwar eine mechanische, aber keine künstlerische Ausbildung genossen habe. Der letzte Eintrag im Studentenausweis T.s stammt aus dem Sommersemester 1928. Er belegte in der Bauhaus-Schule Kurse bei Kandinsky, Joost Schmidt, Herbert Bayer und Paul Klee, besuchte aber vorrangig die Grundlehrewerkstatt von Josef Albers. – Ende der 1920er-Jahre fasste T. im Künstler-Milieu
Berlins und Leipzigs Fuß und gehörte zu den Gebrauchsgrafikern in der Weimarer Republik, die ausschließlich für linkspolitische Verlage tätig waren. So zeichnete er u.a. für die Gestaltung von Titelblättern des Magazins „Der Kulturwille“ verantwortlich. Er entwarf 1927/1928 mehrere Collagen für die „Reiseblätter“, „Kunst und Volk“, „Querschnitt“, „Kunststelle“ und „Rundfunk“ und schuf auch für das „Fachblatt der Maler“ einige Beiträge. – Anfang der 1930er-Jahre war T. eigenen Angaben in seiner Personalakte des Leipziger Dimitroff-Museums zu Folge längere Zeit arbeitslos. Er war damals in
Wolfen als KPD-Funktionär tätig und betätigte sich 1932 als Agitprop-Leiter der KPD Ortsgruppe „Die rote Kommune“. Im Mai 1933 schloss er sich, weiterhin seinen Angaben in der Personalakte zufolge, einer Untergrundgruppe der inzwischen verbotenen KPD an. Genossen aus der Dessauer KPD-Ortsgruppe hätten ihm 1936 eine Stelle in den Junkers Flugzeug- und Motorenwerken in Dessau vermittelt. Später war er im Junkers-Werk „Belei II“ in
Langensalza beschäftigt. T. arbeitete zunächst als Flugzeugelektriker, später als Diplomingenieur. Ts. Tätigkeiten umfassten Aufgaben in der Schaltplanentwicklung, in Feinmessungen und in der Teilekonstruktion. Wo und wann er sich die hierfür notwendigen Kenntnisse angeeignet hatte, ist unbekannt. Kurz vor Kriegsende wurde T. für die Reichsmarine dienstverpflichtet, bei
Schwerin kampflos gefangen genommen und zunächst durch die US-amerikanischen, dann durch die englischen Alliierten inhaftiert, aber noch 1945 als „unbelastet“ entlassen. Für 1945-1950 ist die Quellenlage widersprüchlich. T. selbst behauptete angeblich, bei der Firma Leichtflugzeugbau Klemm in
Böblingen tätig gewesen zu sein. In T.s Leipziger Personalakte wird hingegen für denselben Zeitraum eine Beschäftigung als Dispatcher im Gaskraftwerk Böhlen angegeben. Nach vorübergehender Tätigkeit am Messeamt in Leipzig ging T. nach Berlin, wo er 1953 Magda Sendhoff heiratete, die nach Verfolgung als Kommunistin durch das Nazi-Regime in Frauenorganisationen der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR politisch aktiv war und beruflich als Kaufmännische Angestellte und Chefredakteurin für den Berliner Verband deutscher Konsumgenossenschaften arbeitete. T. war ab 1954 als Referent am Museum für Deutsche Geschichte in Berlin beschäftigt. Nach dem Tod seiner Frau 1964 nach Leipzig zurückgekehrt, bewohnte T. ein Haus im Stadtteil Dölitz-Dösen. Als Umzugsgrund gab T. an, er müsse dort seine Eltern pflegen. 1960 war T. allerdings bereits mit Förderung des Direktors Hans-Joachim Bernhard Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Gedenkmuseum für Georgi Dimitroff in Leipzig geworden, dessen Konzept durch das Berliner Museum für Deutsche Geschichte entwickelt worden war. 1965 nahm sich T. nach einem Zerwürfnis mit Bernhard sowie einem SED-Parteisekretär das Leben. – Aus dem Testament T.s geht hervor, dass sein Nachlass nicht dem Georgi Dimitroff-Museum in Leipzig überlassen werden durfte, solange Bernhard dort Direktor war. Vielmehr vermachte T. seinen kompletten Nachlass aus künstlerischen Arbeiten, Bibliothek, Dokumenten und Gegenständen dem Deutschen Museum in Berlin. Ab 1965 bis zu dessen Tod 1980 blieb der Nachlass aus 234 Collagen, Zeichnungen und Aquarellen jedoch im Privatbesitz von T.s Vater und weist damit eine lückenlose Provenienz auf. 32 Werke und Dokumente aus der Privatsammlung wurden 2017/2018 als Schenkung dem Bauhaus-Archiv in Dessau überlassen. 2019/2020 veranstaltete das Museum der Bildenden Künste Leipzig anlässlich des Bauhaus-Jubiläums eine umfangreiche Ausstellung von T.s Arbeiten aus dem Familiennachlass. – Die meisten der Werke T.s entstanden im Zeitraum 1923-1935, doch war T. auch seit den 1940er-Jahren künstlerisch weiter tätig. Seine 1933 entstandene Collage „Das große Spiel“ könnte zentral für sein Schaffen stehen, sie lässt tief in seine Seele blicken. T.s Oeuvre ist vielfältig, verspielt und es besitzt Anspruch. Auch wenn seine Werke der Dessauer Zeit stark durch seine Lehrer beeinflusst waren, so erscheint T. doch seitdem frei von Konventionen und von Zwängen. Die ironische Finesse, mit der er auf die sich verändernden politischen Verhältnisse reagierte und wie er dabei mit verschiedenen Materialien umging, erinnert an die Arbeiten von Raoul Hausmann und John Heartfield. Seine Arbeit blickt zurück in die Bauhaus-Zeit, als politische Kunst nicht nur Mühe kosten, sondern auch Spaß bedeuten sollte. Auch als er sich in den 1930er- und 1940er- bis in die 1960er-Jahre hinein in ein lang dauerndes inneres Exil zurückzog und mit seiner Kunst zusehends unpolitischer wurde, stehen vor allem die Prinzipien Ordnung und Harmonie für die Qualität seiner Arbeiten. Dass der Künstler mit den politischen Doktrinen und dem eng gestrickten Kunstverständnis in der DDR seine Schwierigkeiten hatte, wird durch Äußerungen in seinem Letzten Willen gestützt und erklärt mit seine seelische Erosion und die zutiefst empfundene Enttäuschung über das in der DDR vielfach beschworene Ideal des Sozialismus, das sich unter den realen Umständen als hohl erwies. Auch dies dürfte, neben der Trauer über den Verlust seiner Frau und seiner Mutter binnen kurzer Zeit, zu seinem frühen Tod geführt haben.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20290 Georgi-Dimitroff-Museum Leipzig, Nr. 864 Personalakte T. 1960-1964, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, PP-M 1353, PP-M 1364; Landesarchiv Sachsen-Anhalt, I 410 Junkers-Werke Dessau, Flugzeug- und Motorenbau (1912-1958).
Werke Das große Spiel, 1933 [Collage], Privatbesitz.
Literatur Irina Hundt/Ilse Kischlat (Hg.), Topographie und Mobilität in der Deutschen Frauenbewegung. Ergebnisse des wissenschaftlichen Kolloquiums des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes e.V. am 2. November 2002, Berlin 2003; Heiko Schmidt/Christian Bartsch (Hg.), Buchgestaltung linker Verlage in der Weimarer Republik, Berlin 2004; Sendhoff, Magda, in: Deutsche Kommunisten. Biografisches Handbuch 1918 bis 1945, 2008, Biographische Datenbanken der Bundesstiftung Aufarbeitung; Barry Bergdoll, Bauhaus 1919-1933. Workshops for Modernity, New York 2009; Frank Baranowski, Rüstungsproduktion in Deutschlands Mitte von 1923 bis 1945, Langensalza 2013; Brita Sachs, Eine schöne Bescherung in München, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.12.2013, S. 40; Swantje Karich, Selig die sehen und nicht glauben, in: Die Welt 28.8.2015, S. 21; F. Kaderabek, Karl Hermann T., Leipzig 2017 (WV); Volker Rodekamp, Das Dimitroff-Museum - die Stilisierung Dimitroffs in der DDR und deren Auswirkungen auf die Sammlung, in: Bettina Limperg/Klaus Rennert (Hg.), Symposion 120 Jahre Reichsgerichtsgebäude. Veranstaltung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts am 29.-30. Oktober 2015 in Leipzig, München 2016, S. 259-267; Julia Blume, Der Leipziger Kulturwille und das Bauhaus, in: Olaf Thormann (Hg.), Bauhaus Sachsen, Leipzig 2019, S. 322-338; Magdalena Droste, Bauhaus 1919-1933, Köln 2019; Alfred Weidinger/Marcus Andrew Hurttig/Fabian Müller (Hg.), Karl Hermann T. Bauhaus - Der neue Mensch, Wien 2019, S. 322-325. – AKL, Bd. 110 (in Druck).
Porträt Karl Hermann Trinkaus, 1950/1960er-Jahre, Fotografie, aus dem Privatnachlass des Künstlers (Bildquelle).
Daniel Thalheim
09.07.2020
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Thalheim, Artikel: Karl Hermann Trinkaus,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28616 [Zugriff 2.11.2024].
Karl Hermann Trinkaus
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20290 Georgi-Dimitroff-Museum Leipzig, Nr. 864 Personalakte T. 1960-1964, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, PP-M 1353, PP-M 1364; Landesarchiv Sachsen-Anhalt, I 410 Junkers-Werke Dessau, Flugzeug- und Motorenbau (1912-1958).
Werke Das große Spiel, 1933 [Collage], Privatbesitz.
Literatur Irina Hundt/Ilse Kischlat (Hg.), Topographie und Mobilität in der Deutschen Frauenbewegung. Ergebnisse des wissenschaftlichen Kolloquiums des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes e.V. am 2. November 2002, Berlin 2003; Heiko Schmidt/Christian Bartsch (Hg.), Buchgestaltung linker Verlage in der Weimarer Republik, Berlin 2004; Sendhoff, Magda, in: Deutsche Kommunisten. Biografisches Handbuch 1918 bis 1945, 2008, Biographische Datenbanken der Bundesstiftung Aufarbeitung; Barry Bergdoll, Bauhaus 1919-1933. Workshops for Modernity, New York 2009; Frank Baranowski, Rüstungsproduktion in Deutschlands Mitte von 1923 bis 1945, Langensalza 2013; Brita Sachs, Eine schöne Bescherung in München, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.12.2013, S. 40; Swantje Karich, Selig die sehen und nicht glauben, in: Die Welt 28.8.2015, S. 21; F. Kaderabek, Karl Hermann T., Leipzig 2017 (WV); Volker Rodekamp, Das Dimitroff-Museum - die Stilisierung Dimitroffs in der DDR und deren Auswirkungen auf die Sammlung, in: Bettina Limperg/Klaus Rennert (Hg.), Symposion 120 Jahre Reichsgerichtsgebäude. Veranstaltung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts am 29.-30. Oktober 2015 in Leipzig, München 2016, S. 259-267; Julia Blume, Der Leipziger Kulturwille und das Bauhaus, in: Olaf Thormann (Hg.), Bauhaus Sachsen, Leipzig 2019, S. 322-338; Magdalena Droste, Bauhaus 1919-1933, Köln 2019; Alfred Weidinger/Marcus Andrew Hurttig/Fabian Müller (Hg.), Karl Hermann T. Bauhaus - Der neue Mensch, Wien 2019, S. 322-325. – AKL, Bd. 110 (in Druck).
Porträt Karl Hermann Trinkaus, 1950/1960er-Jahre, Fotografie, aus dem Privatnachlass des Künstlers (Bildquelle).
Daniel Thalheim
09.07.2020
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Thalheim, Artikel: Karl Hermann Trinkaus,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28616 [Zugriff 2.11.2024].