Józef Ignacy Kraszewski
K. zählt zu jenen polnischen Schriftstellern, in deren Schaffen in außergewöhnlichem Maße sächsische Geschichte und die sächsisch-polnischen Beziehungen reflektiert werden. Das macht ihn in Deutschland zu einem der bekanntesten polnischen Autoren, dessen Sachsen-Trilogie bis heute immer wieder aufgelegt und gern gelesen wird. – K. stammte aus bescheidenen Adelsverhältnissen, studierte in Wilna, wurde wegen Teilnahme an einem Geheimklub 1830 von den russischen Behörden verhaftet und kam erst 1832 wieder frei. Er versuchte sich als Gutsbesitzer, seine Neigung gehörte aber immer der Literatur. Seit 1853 war die Familie in Schitomir/Żytomierz in Wolhynien ansässig, wo K. rasch zu einer einflussreichen Figur des öffentlichen Lebens wurde und verschiedene Funktionen, u.a. im Bildungswesen, ausübte; 1856 bis 1859 leitete er das dortige Theater. Seit 1831 wandte er sich literarischer und publizistischer Tätigkeit zu, arbeitete 1836 bis 1849 für das „Tygodnik Peterburski“ (Petersburger Wochenblatt) und beschrieb 1840 bis 1846 seine Reisen durch Wolhynien, die Ukraine und Litauen, womit er nationale Anerkennung fand. 1840 begann er auch mit der Veröffentlichung einer mehrbändigen Publikation über die Geschichte Wilnas und Litauens. Ein Jahr später begründete er die Zweimonats-Zeitschrift „Athenäum“ in Wilna und redigierte sie bis 1852. Hinzu kam 1851 bis 1862 die einflussreiche „Gazeta Codzienna“ (Tageszeitung, ab 1861 „Gazeta Polska“, Polnische Zeitung) in Warschau, wo er auch 1860 seinen Wohnsitz nahm. Von Mai 1858 bis November 1864 unternahm K. als Korrespondent wiederholt längere Reisen durch Westeuropa, worüber er Reiseskizzen in der Presse und 1874 zusammenfassend „Kartki z przejażdżki po Europie“ (Blätter von einer Reise durch Europa) publizierte. – In seiner politischen Haltung neigte K. zum Liberalismus und sympathisierte mit den polnischen Revolutionären von 1863, ohne je die Revolution als Weg zu akzeptieren. Dennoch musste er im November 1863 nach Dresden emigrieren, das für 20 Jahre seine Zuflucht wurde. In der Nordstraße (seit 1960 Museum) erwarb K. ein Grundstück, wo er 1873 bis 1879 gelebt hat. Hier wurde er zu einer der wichtigsten Integrationsfiguren der polnischen Emigration in Sachsen, deren Wort unter der polnischen Intelligenz viel galt. In Dresden edierte er 1866 bis 1871 Berichte unter dem Titel „Rachunki“ (1867-1870, 4 Bde., Rechnungen), die das polnische Leben beleuchteten. – Immer wieder nutzte K. die Gelegenheit, nach Polen zurückzukehren. Deshalb erwarb er 1866 nach Verlust der russischen die österreichische Staatsbürgerschaft, ehe er 1869 die sächsische zugesprochen erhielt, die ihm die Einrichtung einer Druckerei erlaubte. Hier erschienen 74 Titel, darunter eine eigene Werkausgabe und ab 1870 die Revue „Tydzień Polityczny, Naukowy, Literacki i Artystyczny“ (Politische, wissenschaftliche, literarische und künstlerische Wochenschrift). Anlässlich seines 50-jährigen Jubiläums als Schriftsteller fand in Krakau eine große patriotische Manifestation für den inzwischen berühmten Autor statt, der auch mit anderen nationalen und internationalen Orden, Titeln und Auszeichnungen geehrt wurde. – In Sachsen stand K. wegen seines Kampfes für die Unabhängigkeit Polens unter Polizeibeobachtung, seine Wohnung wurde 1882 zweimal durchsucht, bis er schließlich im Juni 1883 in Berlin unter dem Verdacht des Hochverrats im Dienst des französischen Geheimdiensts, mit dem er tatsächlich zusammenarbeitete, verhaftet wurde. In dem Prozess vor dem Reichsgericht in Leipzig (Mai 1884) wurde K. auf Intervention des Reichskanzlers
Otto von Bismarck zu dreieinhalb Jahren Festungshaft in Magdeburg verurteilt, dann aus Gesundheitsgründen nach 18 Monaten gegen eine hohe Kaution freigelassen. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in der Schweiz. – K. war sehr produktiv und versuchte sich auf vielen Gebieten: als Literatur-, Kunst- und Musikkritiker, Publizist, Historiker, aber auch als Maler, Illustrator, Kunstsammler und Musiker. Sein literarisches Gesamtwerk umfasst allein 223 Romane und Erzählungen in 500 Bänden (darunter 94 mit historischen Themen) und 15 dramatische Werke, freilich von unterschiedlicher Qualität. Allein in den Jahren 1873 bis 1883 schuf er insgesamt 90 Romane. In seinen frühen Bauernerzählungen, so „Ulana“ (1843), „Ostap Bondarczuk“ (1847; Ostap und Jaryna, dt. 1856) und „Budnik“ (1848, Der Bahnwärter), bekannte er sich zur realistischen Schreibweise in Überwindung der Tradition eines
Walter Scott und schuf Sittenromane mit scharfer sozialer Pointierung. Dem Niedergang des polnischen Adels sind Romane wie „Morituri“ (2 Bde., 1874-1875, dt. 1878) und „Resurrecturi“ (1875, Zukunftsmenschen, dt. 1879) sowie „Szalona“ (1880, Auf Irrwegen, dt. 1884) gewidmet. Seine eigentliche literarische Leistung sind seine historischen Werke, in denen es K.s erklärte Absicht war, ein Panorama der polnischen Geschichte von der Frühzeit (Stara baśń, 1876, Eine alte Mär) bis ins 18. Jahrhundert hinein (Saskie ostatki, 1890 posthum, Das Ende der Sachsenzeit) zu entwerfen, um in der Situation einer nicht mehr existenten polnischen Staatlichkeit den Gedanken der einigen Nation wach zu halten und an die großen Traditionen des Volkes zu erinnern. Auch wenn bei dem Tempo, mit dem ein Werk nach dem anderen gewissermaßen „am Fließband“ entstand, viele Werke ihre künstlerische Bewährungsprobe nicht bestanden haben und oft unausgeglichen wirken, leisten v.a. die Bände der sog. Sachsen-Trilogie mit ihrer oft abenteuerlichen Handlung einen wichtigen Beitrag für das historische Verständnis der polnisch-sächsischen Union: „Hrabina Cosel“ (1873, Die Gräfin Cosel, dt. 1893), „Brühl“ (1874, dt. 1952) und „Z siedmioletniej wojny“ (1875, Aus dem Siebenjährigen Krieg, dt. 1953).
Werke J. Krzyżanowski/W. Danek (Hg.), Cykl powieści historycznych (Ein Zyklus historischer Erzählungen), 29 Bde., Warschau 1958-1963; Ausgewählte Werke, 12 Bde., Wien u.a. 1880-1881.
Literatur J. Kalisch, Nachwort, in: Józef Ignacy K., Reiseblätter, Berlin 1986, S. 373-392; E. Merian, Józef Ignacy K. (1812-1887), Leipzig 1988; – Polski słownik biograficzny, Bd. 15, Wrocław/Warszawa/Kraków 1970, S. 221-229.
Erhard Hexelschneider
15.8.2004
Empfohlene Zitierweise:
Erhard Hexelschneider, Artikel: Józef Ignacy Kraszewski,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2521 [Zugriff 21.11.2024].
Józef Ignacy Kraszewski
Werke J. Krzyżanowski/W. Danek (Hg.), Cykl powieści historycznych (Ein Zyklus historischer Erzählungen), 29 Bde., Warschau 1958-1963; Ausgewählte Werke, 12 Bde., Wien u.a. 1880-1881.
Literatur J. Kalisch, Nachwort, in: Józef Ignacy K., Reiseblätter, Berlin 1986, S. 373-392; E. Merian, Józef Ignacy K. (1812-1887), Leipzig 1988; – Polski słownik biograficzny, Bd. 15, Wrocław/Warszawa/Kraków 1970, S. 221-229.
Erhard Hexelschneider
15.8.2004
Empfohlene Zitierweise:
Erhard Hexelschneider, Artikel: Józef Ignacy Kraszewski,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2521 [Zugriff 21.11.2024].