Jeanne Berta Semmig
S.s Vater war 1849 am Dresdner Maiaufstand beteiligt und musste anschließend nach Frankreich fliehen. Während des Deutsch-Französischen Kriegs wurde die Familie 1870 aus Frankreich ausgewiesen und kehrte nach Deutschland zurück. – Nach dem Schulbesuch in Leipzig absolvierte S. 1883 bis 1886 das Lehrerinnenseminar in Callnberg (heute Lichtenstein/Sachsen). Danach arbeitete sie zunächst als Hauslehrerin in der Familie des Oberhofmeisters
von Minckwitz in Altenburg, ehe sie 1891 eine Anstellung an der 6. Bezirksschule in Dresden fand, an der sie fast 40 Jahre, bis 1930, tätig war. Berufungsangebote an Bürgerschulen lehnte sie stets ab, um die Kinder des „einfachen“ Volks erziehen zu können. – S.s erste schriftstellerische Versuche fielen in die Anfangszeit als Lehrerin in Dresden, darunter befanden sich in Zeitschriften veröffentlichte Gedichte, Erzählungen und Novellen. 1897 erschien ihr erster Gedichtband. „Enzio“, eine lyrische Dichtung, folgte 1901. Von den zahlreichen späteren Werken sind v.a. „Die Wege eines Deutschen“, ein Zeit- und Lebensbild ihres Vaters (1921), sowie ihre Biografie über Louise Otto-Peters (1957) hervorzuheben. – S.s pflegte eine Freundschaft mit
Hermann Hesse, die in persönlichen Begegnungen in Gaienhofen am Bodensee (1907) und in Montagnola (Schweiz) (1930) sowie in einem regen Briefwechsel Ausdruck fand. Ihre Ansprache zum 80. Geburtstag Hesses 1957 blieb weithin unbekannt. – Im 1863 gegründeten „Literarischen Verein Dresden“ pflegte S. überdies Bekanntschaften zu bedeutenden Dresdner Literaten jener Zeit, u.a. zu Ottomar Enking, Kurt Martens, Monica von Miltitz, Gertrud Busch, Kurt Arnold Findeisen sowie
Karl Zuchardt. Auch im „
Wilhelm-Raabe-Kreis“, der 1901 anlässlich des 70. Geburtstags des Erzählers in Dresden gegründet worden war und seinen Treffpunkt im Trompeterschlösschen hatte, war S. aktiv. Im „Literarischen Bund Deutscher Frauen“, dessen Präsidentin S. seit 1943 war, leistete sie zwischen 1933 und 1944 wichtige Arbeit im Sinne der Völkerverständigung, insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich. 1944 wurde der Bund durch die Gestapo aufgelöst. Am 13.2.1945 wurde S.s Wohnung in Dresden während der Bombardierung der Stadt zerstört. Sie verlor unschätzbare literarische Dokumente, Bücher, Briefe (z.B. von Hesse) sowie Gemälde. Im Altersheim „Altfriedstein“ in Radebeul fand S. 1946 ein neues Zuhause und verbrachte hier ihren Lebensabend. Diese Zeit war erfüllt von Ehrungen wie die Clara-Zetkin-Medaille 1958 und zahlreichen Begegnungen. Als herausragendes Ereignis schilderte sie selbst den Empfang für den dänischen Dichter Martin Andersen-Nexö, der von August 1951 bis Februar 1952 in Radebeul lebte. Zu ihren Freunden und Bekannten dieser Jahre gehörte auch die Lyrikerin Maria Marschall-Solbrig, die Übersetzerin der Werke Andersen-Nexös, Ellen Schou, der
Gerhart-Hauptmann-Forscher Alexander Münch sowie die Maler Paul Wilhelm und Heinz Drache, die sie porträtierten. Die Literaturwissenschaft hat von den kontinuierlich veröffentlichten Büchern der Autorin kaum Notiz genommen. Lange Zeit wurde sie für eine Französin gehalten, deren Stil zu nachdenklich und deren Geschichten zu wenig sensationell waren. Zu allen Zeiten ging S. völlig unspektakulär ihren humanistischen Zielen nach. Im individuellen Bereich und in persönlichen Freundschaften entfaltete sich ihr den großen Traditionen bürgerlichen Geists verpflichtetes Wirken. Eine Gedenktafel am Geburtshaus ihres Vaters in Döbeln würdigt ihr literarisches Schaffen.
Quellen Stadtarchiv Döbeln, Nachlass S.
Werke Gedichte, Leipzig 1897; Enzio, Dresden 1901; Die Stadt der Erinnerung, München 1905; Silhouetten, Altenburg 1906; Stark wie der Tod, München 1908; Aber ging es leuchtend nieder, Leipzig 1910; Die Geschichte von der armen Isolde Weißhand und Herrn Tristan, Dresden 1919, ²1924; Die Wege eines Deutschen, München 1921; Reinhard Galanders Heimkehr und Vermächtnis, Dresden 1922; Renate im Roten Hause, Dresden 1923; Ich träum als Kind mich zurücke, Dresden 1927; Hermann Hesse. Ansprache zum 80. Geburtstage am 2. Juli 1957, Radebeul 1957; Louise Otto-Peters, Berlin 1957; Aus acht Jahrzehnten, Berlin 1975 (Bildquelle).
Literatur B. Weinkauf, Der Weg ging aufwärts durch des Abgrunds Nacht, in: Erwägungen 11/1990, S. 79-85; A. Krause, Zur Erinnerung an Jeanne Berta S., in: Vorschau & Rückblick 1998, H. 7, S. 20-22; M. Altner, Im Zeichen der Freundschaft, in: Hellerau-Almanach 8/2002, S. 9-34. – DBA I, II, III; DBE 9, S. 284; S. Pataky (Hg.), Lexikon deutscher Frauen der Feder, Bd. 2, Berlin 1898, S. 298; M. Geißler, Führer durch die deutsche Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, Weimar 1913, S. 575; H. A. L. Degener (Hg.), Wer ist’s?, Leipzig 81922, S. 1455; Kürschners Deutscher Literaturkalender, Nekrolog 1936-1970, Berlin 1973 (ND München 1998); M. Altner, Sächsische Lebensbilder, Radebeul 2001, S. 88-91 (P).
Porträt P. Wilhelm, Jeanne Berta S., Ölgemälde, nach 1946.
Manfred Altner
23.4.2012
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Altner, Artikel: Jeanne Berta Semmig,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17848 [Zugriff 19.11.2024].
Jeanne Berta Semmig
Quellen Stadtarchiv Döbeln, Nachlass S.
Werke Gedichte, Leipzig 1897; Enzio, Dresden 1901; Die Stadt der Erinnerung, München 1905; Silhouetten, Altenburg 1906; Stark wie der Tod, München 1908; Aber ging es leuchtend nieder, Leipzig 1910; Die Geschichte von der armen Isolde Weißhand und Herrn Tristan, Dresden 1919, ²1924; Die Wege eines Deutschen, München 1921; Reinhard Galanders Heimkehr und Vermächtnis, Dresden 1922; Renate im Roten Hause, Dresden 1923; Ich träum als Kind mich zurücke, Dresden 1927; Hermann Hesse. Ansprache zum 80. Geburtstage am 2. Juli 1957, Radebeul 1957; Louise Otto-Peters, Berlin 1957; Aus acht Jahrzehnten, Berlin 1975 (Bildquelle).
Literatur B. Weinkauf, Der Weg ging aufwärts durch des Abgrunds Nacht, in: Erwägungen 11/1990, S. 79-85; A. Krause, Zur Erinnerung an Jeanne Berta S., in: Vorschau & Rückblick 1998, H. 7, S. 20-22; M. Altner, Im Zeichen der Freundschaft, in: Hellerau-Almanach 8/2002, S. 9-34. – DBA I, II, III; DBE 9, S. 284; S. Pataky (Hg.), Lexikon deutscher Frauen der Feder, Bd. 2, Berlin 1898, S. 298; M. Geißler, Führer durch die deutsche Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, Weimar 1913, S. 575; H. A. L. Degener (Hg.), Wer ist’s?, Leipzig 81922, S. 1455; Kürschners Deutscher Literaturkalender, Nekrolog 1936-1970, Berlin 1973 (ND München 1998); M. Altner, Sächsische Lebensbilder, Radebeul 2001, S. 88-91 (P).
Porträt P. Wilhelm, Jeanne Berta S., Ölgemälde, nach 1946.
Manfred Altner
23.4.2012
Empfohlene Zitierweise:
Manfred Altner, Artikel: Jeanne Berta Semmig,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17848 [Zugriff 19.11.2024].