Jacob Nachod
Der bemerkenswerte Lebensweg von Jacob Nachod, der 1853 in Leipzig zum ersten jüdischen Stadtverordneten gewählt wurde, verkörpert den erfolgreichen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen in ein wohlhabendes Bürgertum, was ihm durch Tatkraft, aber auch familiären Rückhalt und gezielte Förderung glückte. Zugleich machte sich Nachod beispiellos um die Entwicklung der jüdischen Gemeinde in Leipzig und Deutschland verdient. – Aufgewachsen in einer kinderreichen Dresdner Familie, deren Vater frühzeitig verstarb, erhielt Nachod vermutlich eine jüdisch-orthodoxe Erziehung. Trotz wirtschaftlich schwieriger Lage konnte er dank Unterstützung seiner Mutter ab 1826 die Samsonschule in
Wolfenbüttel besuchen. Nach dem exzellenten Abschluss drei Jahre darauf und einer Zwischenstation bei seinem Bruder
Joachim in
Weimar, wo er Fremdsprachenunterricht erhielt, kam Nachod 1830 nach Leipzig. Ausschlaggebend für den Umzug in die Messestadt war u.a. der eigene Wunsch gewesen, sich die für eine Karriere als Kaufmann notwendige Ausbildung anzueignen, wie Nachod in seinem späteren Antrag für die dauerhafte Übersiedlung nach Leipzig bemerkte. Ostern 1830 erfolgte der Eintritt des 16-Jährigen in das Bankgeschäft Meyer & Comp., wo er seine Ausbildung durchlief, sich aber auch weiterhin mit Fremdsprachen beschäftigte. Insgesamt verblieb Nachod auch nach der Lehrzeit neun Jahre bei Meyer & Comp., bis ihn ein Stellenangebot erreichte und er im April 1839 zur Handelsfirma Knauth & Storrow übertrat. Als Buchhalter erwarb Nachod hier über die Jahre das Vertrauen seiner Vorgesetzten, sodass er im August 1844 zum Prokuristen des Unternehmens ernannt wurde und Gewinnanteile zugesichert bekam. Seine gehobene Stellung mit sicherem Einkommen ermöglichte dem zu hoher Reputation gelangten Nachod dann auch ernsthafte Gedanken an die Familiengründung. Nach einem Antrag vom 2.4.1845 erhielt Nachod die am 16.8. schriftlich fixierte Genehmigung durch das Ministerium des Inneren, zur festen Wohnsitznahme von Dresden nach Leipzig überzusiedeln und sich mit der aus
Kaiserslautern stammenden Dresdner Jüdin
Johanna Meyer zu verehelichen. Der Leipziger Stadtrat hatte hier keine Bedenken geäußert, die Hochzeit von Nachod und Johanna Meyer folgte im gleichen Jahr. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, von denen eines bereits mit etwa fünf Jahren und ein weiterer Sohn ungefähr 20-jährig starb. Zudem überlebte Nachod auch seine Gattin, die er bereits seit seiner Jugend gekannt hatte, letzten Endes um etwa zwölf Jahre. Ab 1852 besaß Nachod das Leipziger Bürgerrecht und trat offiziell als Teilhaber der nunmehr in Knauth, Nachod & Kühne umbenannten Firma auf, welche für die Abwicklung von Import- und Exportgeschäften mit den USA verantwortlich zeichnete. Der unbeliebte Dienst in der Leipziger Kommunalgarde blieb Nachod wahrscheinlich erspart, da ihm physische Defizite und Unentbehrlichkeit für die Firma attestiert wurden. Neben ökonomischem Erfolg sowie der Rolle des Familienvaters dürften Wohltätigkeit und vielfältiges Engagement für Vereine und Stiftungen essenzielle Eckpfeiler für Nachods bürgerliches Selbstverständnis gewesen sein. Im Lauf seines Lebens gehörte er acht Vereinen an, darunter dem Leipziger Schillerverein. Besonders der Verein für Familien- und Volkserziehung war ihm wichtig. Bereits 1844 war er innerhalb der zwar faktisch, aber noch nicht rechtlich existenten jüdischen Gemeinde Leipzigs als Begründer der „Gesellschaft der Freunde“ in Erscheinung getreten. Zudem war Nachod Gründungsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig. Nach deren formell abgeschlossener Bildung im Juni 1847 beteiligte er sich über Jahre hinweg in verschiedenen Funktionen im Vorstand, ehe er 1877 bis 1882 persönlich das Vorsteheramt übernahm. – 1853 wurde Nachod als erster Jude in die Leipziger Stadtverordnetenversammlung gewählt, hier war er dann bis 1856 sowie erneut 1859 bis 1861 und 1863 bis 1874 aktiv. 1869 war Nachod zudem gemeinsam mit Moritz Kohner wesentlich in die Gründung des Deutsch-Israelitischen Gemeindebunds (DIGB) in Leipzig involviert. Hier saß er ab 1875 zunächst als Mitglied im Ständigen Ausschuss, erhielt nach Kohners Tod dessen Vorsteheramt, unterstützte die Arbeit des DIGB durch finanzielle Zuwendungen und warb für den Beitritt weiterer Gemeinden. Nachods wiederholte Interventionen, für den DIGB den Status einer juristischen Person zu erreichen, scheiterten am Widerstand des Innenministeriums und dem seit der Gründerkrise 1873 verschärft antisemitischen Grundtenor in Sachsen. Anfang 1882 zog der DIGB daher von Leipzig ins liberalere
Berlin um. – Das wohltätige Engagement Nachods etwa zugunsten von Waisenkindern und Witwen, das von vielen Zeitgenossen betont wurde, deutet darauf hin, dass er sich trotz oder gerade wegen seines Reichtums stets der eigenen sozialen Herkunft bewusst gewesen war. Dabei trug Nachods nicht zuletzt religiös motiviertes Wirken das Merkmal „Hilfe zur Selbsthilfe“ und spielte sich überwiegend im Stillen ab. Nachods Wesen blieb zeitlebens von Ausdauer bei persönlicher Zurückhaltung und Anspruchslosigkeit geprägt, wie Gedenkblätter, darunter auch die für Nachod durch den Rabbiner Abraham Meyer Goldschmidt gehaltene Traueransprache, übereinstimmend hervorheben. Goldschmidt betonte hier insbesondere, dass Nachod jede Überheblichkeit und Angeberei ferngelegen habe. Dieser Umstand dürfte auch erklären, warum Nachod trotz seiner exponierten Rolle für die Entwicklung des regionalen und deutschlandweiten Judentums später in Vergessenheit geriet. Nach kurzer Krankheit verstarb der zuletzt in der Lessingstraße 2 wohnhafte und bis kurz vor seinem Tod aktive Nachod wenige Wochen nach seinem 68. Geburtstag. Die Beisetzung folgte drei Tage darauf unter großer Anteilnahme auf dem Alten Israelitischen Friedhof an der Berliner Straße in Leipzig. Nachods überlebender Sohn Friedrich wurde Firmenteilhaber in der Nachfolge des Vaters, amtierte kurzzeitig als Stadtverordneter und ferner Vizekonsul der USA in Leipzig. Die Enkel Nachods waren dann aber nicht mehr im Bankensektor tätig, sie vollzogen die Taufe zum Christentum und mindestens zwei von ihnen emigrierten in die USA.
Quellen Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem, D/Le1/9-11; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10736 Ministerium des Innern, Nr. 826c; Stadtarchiv Leipzig, 0001 Stadtverordnete 1830-1935, S 133, Bd. 1, Bl. 25ff., 0056 Wahl- und Listenamt, Nr. 7047, 0359 Kommunalgarde Nr. 471; Leo Baeck Institute New York, Archives, Collection Bernhard Hirschel, Meine Lebensgeschichte; Historische Adressbücher Leipzig 1847-1882; Allgemeine Zeitung des Judentums 19.3.1855, S. 149, 24.1.1882, S. 55, 25.4.1882, S. 278; Gedenkblätter an Jacob Nachod, hrsg. vom Deutsch-Israelischen Gemeindebund, Berlin 1882.
Literatur Thomas Adam, Das soziale Engagement Leipziger Unternehmer - die Tradition der Wohnstiftungen, in: Ulrich Heß/Michael Schäfer (Hg.), Unternehmer in Sachsen. Aufstieg - Krise - Untergang - Neubeginn, Leipzig 1998, S. 107-118; Josef Reinhold, Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1999; Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Katrin Löffler, „Unser guter Vater Jacob.“ Über den Mitbegründer der Israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig Jacob Nachod, in: Leipziger Blätter 51/2007, S. 20f.; dies., Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022. – DBA II.
Porträt Jacob Nachod, Fotografie, in: Gedenkblätter an Jacob Nachod, geb. 22. März 1814, gest. 11. April 1882, hg. vom Deutsch-israelitischen Gemeindebund, Berlin 1882, Frontispiz, aus der Sammlung des Leo Baeck Institute, digitalisiert in Kooperation mit dem Center for Jewish History, New York (USA), Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Signatur DS 135 G5 N3 D4 (Bildquelle) [In Copyright – Educational use permitted].
Lucas Böhme
18.8.2025
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Jacob Nachod,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24709 [Zugriff 1.9.2025].
Jacob Nachod
Quellen Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem, D/Le1/9-11; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10736 Ministerium des Innern, Nr. 826c; Stadtarchiv Leipzig, 0001 Stadtverordnete 1830-1935, S 133, Bd. 1, Bl. 25ff., 0056 Wahl- und Listenamt, Nr. 7047, 0359 Kommunalgarde Nr. 471; Leo Baeck Institute New York, Archives, Collection Bernhard Hirschel, Meine Lebensgeschichte; Historische Adressbücher Leipzig 1847-1882; Allgemeine Zeitung des Judentums 19.3.1855, S. 149, 24.1.1882, S. 55, 25.4.1882, S. 278; Gedenkblätter an Jacob Nachod, hrsg. vom Deutsch-Israelischen Gemeindebund, Berlin 1882.
Literatur Thomas Adam, Das soziale Engagement Leipziger Unternehmer - die Tradition der Wohnstiftungen, in: Ulrich Heß/Michael Schäfer (Hg.), Unternehmer in Sachsen. Aufstieg - Krise - Untergang - Neubeginn, Leipzig 1998, S. 107-118; Josef Reinhold, Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1999; Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Katrin Löffler, „Unser guter Vater Jacob.“ Über den Mitbegründer der Israelitischen Religionsgemeinde in Leipzig Jacob Nachod, in: Leipziger Blätter 51/2007, S. 20f.; dies., Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022. – DBA II.
Porträt Jacob Nachod, Fotografie, in: Gedenkblätter an Jacob Nachod, geb. 22. März 1814, gest. 11. April 1882, hg. vom Deutsch-israelitischen Gemeindebund, Berlin 1882, Frontispiz, aus der Sammlung des Leo Baeck Institute, digitalisiert in Kooperation mit dem Center for Jewish History, New York (USA), Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Signatur DS 135 G5 N3 D4 (Bildquelle) [In Copyright – Educational use permitted].
Lucas Böhme
18.8.2025
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Jacob Nachod,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24709 [Zugriff 1.9.2025].