Isaac Chanange

Isaak Chanange kann als „Nestor der Annaberger Juden“ bezeichnet werden. Als solcher war er in erster Linie Mitbegründer und erster Vorsteher der am 12.5.1890 gegründeten Israelitischen Religions-Vereinigung in Annaberg . In dieser Eigenschaft war er auch über einen längeren Zeitraum Ausschussmitglied des Verbands Israelitischer Religionsgemeinden im Königreich Sachsen bzw. des im September 1926 gebildeten Sächsischen Israelitischen Gemeindeverbands. Darüber hinaus war der Unternehmer auch langjähriger Stadtrat, Mitglied des Handelsschulausschusses und großzügiger Sozialmäzen in Annaberg. So hat er u.a. die Fertigstellung des Stadtbads am Benediktplatz 3 mit einer großzügigen Spende unterstützt. Als Chanange im Januar 1918 zum unbesoldeten Stadtrat gewählt worden war, wurde dies „Im deutschen Reich“, der Zeitschrift des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, besonders gewürdigt: „Unseres Wissens ist in Sachsen die Wahl eines Juden in den Stadtrat seit Menschengedenken nicht erfolgt“. Daher hieß es in einem Beitrag anlässlich seines Tods 1935 in der „Jüdischen Zeitung für Mittelsachsen“, dem Sprachrohr der Juden in Chemnitz, Plauen, Zwickau und Annaberg: „Sein Andenken wird in der Geschichte der Gemeinde Annaberg und des sächsischen Judentums nicht verlöschen!“. – Chanange lebte seit April 1877 in Annaberg. Wieso er sich für die Erzgebirgsstadt als künftigen Lebensmittelpunkt entschied, ist nicht überliefert. Möglicherweise war er von der Stadt als Zentrum der erzgebirgischen Posamentenindustrie begeistert, sodass er wenige Jahre später selbst eine Firma gründete. Am 1.8.1880 meldete er unter dem Namen „J. Chanange“ eine Posamenten- und Spitzenhandlung im Handelsregister des Amtsgerichts Annaberg an. Sein jüngerer Bruder Daniel Chanange, der 1881 ebenfalls nach Annaberg zog, war zunächst als Posamenten-Handlungsreisender tätig. Ende der 1880er-Jahre wurde er Geschäftspartner seines älteren Bruders. Die Firma hatte ihren Sitz im Haus Museumsgasse 1. – Am 29.8.1882 vermählte sich Chanange in Berlin mit Emma Nathan, Tochter der Kaufmannseheleute Gustav Nathan und Rosalie, geborene Scherek. Seine Ehefrau verlegte daraufhin ihren Wohnsitz nach Annaberg. – Am 13.9.1886 verlieh der Stadtrat Chanange mittels Handschlag das Bürgerrecht. Die Familie lebte später in dem in ihrem Besitz befindlichen, neu erbauten Haus Töpferweg 5. – Als Chanange im Frühjahr 1877 in Annaberg eintraf, war er möglicherweise der erste Jude, der sich in der Stadt niederließ, obwohl jüdische Kaufleute aus Berlin und Köln bereits zuvor Filialgeschäfte im Posamentengewerbe in Annaberg eröffnet hatten. So zog z.B. der Kaufmann Leopold Jacoby fast zur selben Zeit in die Stadt und eröffnete im Mai 1879 ein Kaufhaus. Der weitere Zuzug von Juden ins Erzgebirge hielt in den Folgejahren an, sodass sich die Juden in Annaberg, Buchholz und Geyer entschlossen, am 12.5.1890 eine eigene Religionsvereinigung (Gemeinde) zu gründen. Ihr Zweck bestand in der gemeinsamen Ausübung des jüdischen Glaubens. Am 20.9.1901 wandten sich die Mitglieder der Vereinigung an das Sächsische Kultusministerium in Dresden mit der Bitte um Verleihung der Rechte einer korporativen Israelitischen Gemeinde für die Städte Annaberg und Buchholz und den Bezirk der Königlichen Amtshauptmannschaft Annaberg. Es dauerte aber noch einige Jahre, bis die Bezirksabgrenzung der jüdischen Gemeinden im Königreich Sachsen den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst und die damit verbundenen Fragen wie Gottesdienst, Religionsunterricht, Austritt oder Begräbnisstätte endgültig geklärt wurden. Mit dem am 10.6.1904 erlassenen „Gesetz, die israelitischen Religionsgemeinden betreffend“ und der dazugehörigen Ausführungsverordnung etablierte sich mit der Israelitischen Religionsgemeinde zu Annaberg in der Kreishauptmannschaft Chemnitz eine weitere Kultusgemeinde, in der sich die in den Amtshauptmannschaften Annaberg und Marienberg ansässigen Juden zusammenschlossen. – Um 1905 wurde Chanange erstmals in das Stadtverordnetenkollegium von Annaberg gewählt. Nachdem er zwölf Jahre lang der Versammlung angehörte, wurde er Anfang 1918 zum unbesoldeten Stadtrat ernannt. Wenige Monate zuvor war sein Bruder Daniel nach längerer Krankheit in Leipzig gestorben. Daraufhin trat Chananges Sohn Heinrich Chanange, der bereits Prokurist war, als Mitinhaber in das Familienunternehmen ein. Am 10.8.1927 meldete Heinrich im Auftrag der Firma J. Chanange zusätzlich ein Gewerbe an, um mit Posamenten zu handeln. – Chanange stand seit 1890 der Israelitischen Religionsgemeinde Annaberg vor, die 1913 noch 130 Mitglieder hatte. Als er 1932 die Amtsgeschäfte an seinen langjährigen Stellvertreter Carl Fleischmann übergab, zählte die Gemeinde nur noch 57 Mitglieder. – Nach dem Tod seiner Ehefrau Emma am 7.1.1929 lebte Chanange weiterhin im Haus Töpferweg 5. – Die Handwerkskammer Chemnitz gratulierte Chanange und seinem Sohn Heinrich am 1.8.1930 zum 50-jährigen Firmenjubiläum und betonte in ihrem Glückwunschschreiben, dass die beiden Inhaber das Unternehmen zu einem der maßgebenden und führenden Betriebe der Posamentenindustrie des Kammerbezirks entwickelt hatten. – Nur 16 Tage nach dem Tod seines Bruders Max in Berlin, starb Chanange nach kurzer Krankheit im Alter von 78 Jahren in Annaberg am 5.4.1935. Seine sterblichen Überreste wurden am 9.4.1935 in dem Erbbegräbnis I auf dem Israelitischen Friedhof in Annaberg beigesetzt, wo bereits seine Ehefrau ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte. – Der Vorstand der Israelitischen Religionsgemeinde Annaberg hob in seinem Nachruf in der Gemeindezeitung hervor, dass der Verstorbene „fast ein Menschenalter mit seltener Umsicht und Hingabe das Geschick der Gemeinde geleitet“ hatte. Die nächsten Angehörigen nahmen ihrerseits in einem Nachruf, der auch in der Berliner „Jüdischen Rundschau“ veröffentlicht wurde, Abschied vom Familienoberhaupt und hoben besonders dessen Herzensgüte und Selbstlosigkeit hervor. – Der Grabstein von Chanange kehrte nach einer Odyssee von 75 Jahren, die der Zwangsaufhebung des Israelitischen Friedhofs in der NS-Zeit geschuldet war, wieder nach Annaberg-Buchholz zurück und befindet sich seit Mai 2015 im Jüdischen Ehrenhain auf dem Gelände des Neuen Friedhofs der Stadt.

Quellen Stadtarchiv Annaberg, Stadtrat, II 20 k, J 94, 1890, J 31/I, 1902; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, 30099 Amtsgericht Annaberg, Nr. 0298.

Literatur Im deutschen Reich. Zeitschrift des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 24/1918, Nr. 2, S. 82; Jüdische Zeitung für Mittelsachsen. Chemnitz - Annaberg - Zwickau - Plauen 16.4.1935, [S. 6.]; Jüdische Rundschau. Allgemeine jüdische Zeitung 12.4.1935, S. 7; Jürgen Nitsche, Einleitung zum Reprint, in: Adolf Diamant, Juden in Annaberg im Erzgebirge. Zur Geschichte einer untergegangenen Gemeinde. Unter besonderer Berücksichtigung der nationalsozialistischen Diktatur 1933-1945. Mit einer Dokumentation der noch vorhandenen Grabsteine des zerstörten jüdischen Friedhofs, Chemnitz 2016.

Porträt Familienfoto Familie Chanange, um 1926, Fotografie, Privatbesitz Familie Chanange.

Jürgen Nitsche
21.1.2025


Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Nitsche, Artikel: Isaac Chanange,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29318 [Zugriff 31.1.2025].

Isaac Chanange



Quellen Stadtarchiv Annaberg, Stadtrat, II 20 k, J 94, 1890, J 31/I, 1902; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, 30099 Amtsgericht Annaberg, Nr. 0298.

Literatur Im deutschen Reich. Zeitschrift des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens 24/1918, Nr. 2, S. 82; Jüdische Zeitung für Mittelsachsen. Chemnitz - Annaberg - Zwickau - Plauen 16.4.1935, [S. 6.]; Jüdische Rundschau. Allgemeine jüdische Zeitung 12.4.1935, S. 7; Jürgen Nitsche, Einleitung zum Reprint, in: Adolf Diamant, Juden in Annaberg im Erzgebirge. Zur Geschichte einer untergegangenen Gemeinde. Unter besonderer Berücksichtigung der nationalsozialistischen Diktatur 1933-1945. Mit einer Dokumentation der noch vorhandenen Grabsteine des zerstörten jüdischen Friedhofs, Chemnitz 2016.

Porträt Familienfoto Familie Chanange, um 1926, Fotografie, Privatbesitz Familie Chanange.

Jürgen Nitsche
21.1.2025


Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Nitsche, Artikel: Isaac Chanange,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29318 [Zugriff 31.1.2025].