Hugo Colditz
C.s Leitspruch „Das Wissen von der Heimat - stärkt die Liebe zu der Heimat“ fasst seine Intentionen in der stadt- und regionalhistorischen Forschung prägnant zusammen. C. war der erste Lichtensteiner, der sich umfassend mit der Erforschung der Geschichte seiner Heimatstadt befasst hat. Seine stadthistorischen Publikationen sind bis heute grundlegend. Er hat wichtige historische Quellen zu Lichtenstein in Text und Bild gesammelt und publiziert, die nur durch ihn überliefert sind. Als Heimatforscher hat C. zwar keine zusammenfassende Monografie zur Lichtensteiner Stadtgeschichte verfasst, aber ein umfangreiches Oeuvre von 90 Einzelveröffentlichungen in Periodika sowie vier Monografien hinterlassen. – C. entstammte einer seit dem 17. Jahrhundert in der Region etablierten bürgerlichen Familie. Ca. 1863 bis 1871 besuchte C. die Lichtensteiner Volksschule und wurde danach, wie etliche seiner Vorfahren und sein Bruder, Volksschullehrer. Seine Ausbildung erhielt er 1871 bis 1876 am Fürstlich-Schönburgischen Lehrerseminar in Waldenburg unter dem Direktorat von Friedrich Wilhelm Schütze. Der christliche Glaube und die Unfehlbarkeit des Adels standen dort im Mittelpunkt und wurden für C. prägend. Mit dem neuen Volksschulgesetz von 1873 ging allerdings die Trennung von Kirche und Schule einher, die Bildung der Volkschullehrer wurde ebenso erweitert wie der Fächerkanon. Im Fach Geschichte stand die Entwicklung Deutschlands sowie Sachsens im Mittelpunkt, was bei C. sein besonderes Interesse an der Heimatgeschichte geweckt haben mag. Am 9.10.1876 begann C.s berufliche Laufbahn als Hilfslehrer in Lichtenstein. Nach erfolgreichem Bestehen der Lehrerprüfung (sog. Wahlfähigkeitsprüfung) 1879 konnte C. als ständiger Lehrer an der Lichtensteiner Volksschule, seiner eigenen früheren Schule, tätig werden. Er unterrichtete u.a. in den Fächern Religion, Kirchengeschichte, Deutsch, Erdkunde, Naturlehre und Rechnen. C. war ein moderner, innovativer Lehrer, dem es auf den praktischen Nutzen der Wissensvermittlung ankam. So entwarf er für seine Schüler eigenhändig eine Karte Lichtensteins und der näheren Umgebung. Großen Wert legte C. auf die Vermittlung alltagsrelevanter botanischer Kenntnisse. So initiierte er einen Schulgarten in Lichtenstein, in dem er für sämtliche Pflanzen Beschriftungen mit ihrer lateinischen und deutschen Bezeichnung anbrachte. Als Pilzberater hat C. seine Kenntnisse uneigennützig mit einer von ihm gegründeten Beratungsstelle der gesamten Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Die Berufswahl seiner Schüler versuchte er zu erleichtern, indem er mit ihnen Exkursionen zu Handwerksbetrieben und Industrieunternehmen im nahen Umfeld unternahm. Manche seiner ehemaligen Schüler führten ihrerseits als Lehrer C.s historische Interessen fort und sprachen in Liebe und Verehrung von ihrem Lehrer. Einer seiner prominentesten Schüler war Max Schneider, der als Direktor des Leipziger Zoos weltbekannt wurde. Anlässlich der Verleihung des Titels „Oberlehrer“ 1901 wurden C. Tüchtigkeit, Gewissenhaftigkeit und Pflichtbewusstsein bescheinigt. Er engagierte sich 48 Jahre lang im 1885 gegründeten Bezirkslehrerverein Lichtenstein, einem Zweigverein des seit 1848 bestehenden Allgemeinen Sächsischen Lehrervereins. Am 15.4.1921 wurde C. aus dem Schuldienst altersbedingt entlassen. – C. war eine vielseitig engagierte und interessierte Persönlichkeit. So war er neben seiner Tätigkeit als Lehrer Gründer und langjähriger Vorsitzender des Gabelsbergerschen Stenographenvereins in Lichtenstein. Als zeitweiliger Vorsitzender des 1860 gegründeten Rosenvereins (der älteste Verein dieser Art in Deutschland) verhalf er diesem zu Bekanntheit weit über die Grenzen Lichtensteins hinaus. Als Mitglied des Gebirgs- und Verschönerungsvereins konnte er den Interessen der Lichtensteiner Bürger bei der Stadtentwicklung Nachdruck verleihen. Die Verschönerung der Stadt stand dabei in engem Zusammenhang mit deren historischer Erforschung. 1905 fand auf Anregung des Verschönerungsvereins ein Heimatfest statt, an dessen Vorbereitung C. aktiv beteiligt war. Währenddessen wurde unter seiner maßgeblichen Beteiligung eine Sammlung zur Heimatgeschichte - die Altertumssammlung - erstmals gezeigt. Diese wurde zur Grundlage des 1912 eröffneten Heimatmuseums in Lichtenstein, mit dem erstmals in Lichtenstein ein Ort zur Bewahrung seiner historischen Altertümer entstanden war. Zeitlebens setzte sich C. für den Erhalt des Museums ein. – Als Stadthistoriker musste C. mangels solider Vorarbeiten Grundlagenforschung betreiben. Die meisten Fakten erarbeitete er sich in umfangreichen, akribischen Archivstudien vorrangig im Lichtensteiner Stadt- und Kirchenarchiv. C. verstand es, aufgrund dieser fundamentalen Quellenrecherchen für sein Publikum, die Lichtensteiner Bevölkerung und seine Schüler, inhaltsreiche und lesenswerte Aufsätze zu verfassen. Thematisch befasste C. sich v.a. mit Themen der Geschichte Lichtensteins wie dem Dreißigjährigen Krieg, dem Brandgeschehen, mit Kirchengeschichte, Handwerk und Gewerbe, Schulgeschichte, unterirdischen Ganganlagen, Gesellschaftsgeschichte, lokalen Ortsbezeichnungen und lokalen Stiftungen. Anlässlich seiner Arbeit zu Schloss Lichtenstein sowie zur Gründung und Entwicklung der Stadt Callenberg hat er sich aber auch mit der regionalen Geschichte des Schönburgischen Adelshauses befasst. 1904 erschien eine Abhandlung zu dessen Geschichte unter dem Titel „Aus der Geschichte Schönburgs“ im Selbstverlag. C. ist dabei nicht zu den von den Schönburgern beauftragten, bezahlten und auch zensierten Hausgeschichtsschreibern wie
Theodor Schön, Reinhold Hofmann oder Conrad Müller zu zählen. Er hat zwar mit den schönburgischen Archiven zusammengearbeitet, eine Einflussnahme der Schönburger auf den Inhalt ist, anders als bei den genannten Hausgeschichtsschreibern, aber nicht nachweisbar. – Mit der Neupublikation von C.s Werken 2019 konnten in vielen Fällen deren Quellen sowie Sekundärliteratur ermittelt werden, die C. benutzt hat, was dessen quellenbasierte Arbeitsweise beweist. Zum Teil traten dabei auch bisher gänzlich unbekannte Quellen zutage. Seine letzten historischen Forschungen veröffentlichte C. im Lichtenstein-Callnberger Erzähler, einer Beilage des lokalen Lichtenstein-Callnberger Anzeiger. Er war Initiator und Ideengeber für diese zweimal monatlich und damit erstmals periodisch erschienene Veröffentlichung zur Stadtgeschichte, die als Sammelwerk konzipiert war und über elf Jahre bis 1937 erschien. Wie der Lichtenstein-Callnberger Anzeiger selbst wurde auch der Lichtenstein-Callnberger Erzähler in keiner Bibliothek archiviert. – C. zu Ehren wurde 1934 die frühere Schulstraße nach ihm umbenannt. Er wurde Vorbild für nachfolgende Stadthistoriker wie
Willibald Fritzsche,
Ulrich Köhler-Haußen,
Willi Dörfel und Bruno Lippmann, der 1966 auf Basis der Arbeiten C.s seine „Geschichte der Stadt Lichtenstein/Sa.“ veröffentlichte, eine Zusammenfassung der Lichtensteiner Geschichte von hohem Wert bis heute. Danach kam allerdings die historische Forschung in Lichtenstein zum Erliegen. Auch das Stadtmuseum wurde 1971 aufgelöst. Kurz nach der politischen Wende in der DDR fanden sich an der Stadtgeschichte interessierte Einwohner Lichtensteins zusammen und gründeten am 13.11.1991 den Verein für Geschichte der Stadt Lichtenstein/Sa. e.V. Das Werk von C. bildet die Grundlage und ist Vorbild der Arbeit des Vereins wie auch C.s Leitspruch der Leitgedanke des Vereins ist. Der am 16.10.2010 gegründete „Freundeskreis des Museums der Stadt Lichtenstein/Sachsen“ führt die Tradition der Publikation von historischen Schriften der Stadt Lichtenstein seit 2012 im Sinne der Arbeiten C.s fort.
Werke Lichtenstein, Callnberg und Umgegend. Führer und Heimatskunde, Lichtenstein-C. 1899; Aus der Geschichte Schönburgs, Lichtenstein 1904; Lichtenstein-Callnberg mit Industrie, Gewerbe und Handel in Wort und Bild, Chemnitz 1909; Lichtenstein-Callnberg i. Sa., Berlin 1923; Lichtenstein-Callnberg, in: Die industrielle Bedeutung der Orte Hohenstein-Ernstthal, Lichtenstein-Callnberg und Oberlungwitz auf dem Weltmarkt, hrsg. mit Unterstützung d. Ortsbehörden, Chemnitz 1928, S. 19-26.
Literatur Kurt Prathel, Ein verdienter Heimatforscher, in: Kultur und Heimat. Monatsheft des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands für den Kreis Hohenstein-Ernstthal, H. April 1957, S. 72f.; Patrick Bochmann, Das Leben und Werk von Hugo C. Lichtensteins berühmter Stadthistoriker, Lichtenstein 2019 (WV, P).
Porträt Hugo C., um 1900, Fotografie, Lichtenstein/Marburg, Familienarchiv Colditz (Volkmar Colditz/Ingrid Göpfert) (Bildquelle).
Patrick Bochmann
25.10.2022
Empfohlene Zitierweise:
Patrick Bochmann, Artikel: Hugo Colditz,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24236 [Zugriff 22.12.2024].
Hugo Colditz
Werke Lichtenstein, Callnberg und Umgegend. Führer und Heimatskunde, Lichtenstein-C. 1899; Aus der Geschichte Schönburgs, Lichtenstein 1904; Lichtenstein-Callnberg mit Industrie, Gewerbe und Handel in Wort und Bild, Chemnitz 1909; Lichtenstein-Callnberg i. Sa., Berlin 1923; Lichtenstein-Callnberg, in: Die industrielle Bedeutung der Orte Hohenstein-Ernstthal, Lichtenstein-Callnberg und Oberlungwitz auf dem Weltmarkt, hrsg. mit Unterstützung d. Ortsbehörden, Chemnitz 1928, S. 19-26.
Literatur Kurt Prathel, Ein verdienter Heimatforscher, in: Kultur und Heimat. Monatsheft des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands für den Kreis Hohenstein-Ernstthal, H. April 1957, S. 72f.; Patrick Bochmann, Das Leben und Werk von Hugo C. Lichtensteins berühmter Stadthistoriker, Lichtenstein 2019 (WV, P).
Porträt Hugo C., um 1900, Fotografie, Lichtenstein/Marburg, Familienarchiv Colditz (Volkmar Colditz/Ingrid Göpfert) (Bildquelle).
Patrick Bochmann
25.10.2022
Empfohlene Zitierweise:
Patrick Bochmann, Artikel: Hugo Colditz,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24236 [Zugriff 22.12.2024].