Hubert Ermisch
E. studierte ab 1868 Geschichte, Klassische Philologie und Philosophie, zunächst in Heidelberg u.a. bei Heinrich von Treitschke und
Wilhelm Wattenbach, dann in Göttingen, wo er an den Historischen Übungen von
Georg Waitz teilnahm. Nach einer kurzen Tätigkeit als Erzieher der Prinzen von Schaumburg-Lippe in Bückeburg trat er 1874 in den preußischen Archivdienst ein (Staatsarchiv Breslau [poln. Wrocław]). Bereits im April 1875 wechselte er auf Empfehlung von Otto Posse an das Sächsische Hauptstaatsarchiv Dresden und wurde zugleich Mitherausgeber des Codex diplomaticus Saxoniae regiae. Die Edition sächsischer Urkunden bildete in den folgenden Jahrzehnten einen Tätigkeitsschwerpunkt. E. bearbeitete zunächst die Urkundenbücher für Chemnitz und Freiberg, die sich durch umfassende Berücksichtigung der handschriftlichen Überlieferung und vorbildliche Umsetzung der Editionsregeln des Codexes auszeichnen und maßstabsetzend für landesgeschichtliche Editionen in Deutschland wurden. Mit der Bearbeitung der Quellen zum Freiberger Bergbau, Bergrecht und Stadtrecht betrat er dabei ein schwieriges und überregional bislang wenig erforschtes Gebiet. Im Anschluss widmete sich E. den Quellen zur Geschichte des sächsischen Herrscherhauses des Spätmittelalters und edierte die Urkunden der Jahre 1381 bis 1427 in drei Bänden. Im Interesse einer systematischen Überlieferungsbildung setzte sich E. engagiert für enge Beziehungen des Staatsarchivs zu den Landesbehörden, zu den Kommunen und anderen aktenbildenden Stellen und für ein geregeltes Verfahren der Aktenanbietung und -kassation ein. Durch seine Bemühungen wurde in Sachsen zu einem vergleichsweise frühen Zeitpunkt die Fachaufsicht des Hauptstaatsarchivs über die Stadtarchive begründet und durch ihn selbst in Form planmäßiger Revisionen umgesetzt. Mit der Zusammenführung des „Archivs für sächsische Geschichte“ und den „Mitteilungen des Königlich Sächsischen Altertumsvereins“ in das „Neue Archiv für Sächsische Geschichte“ schuf E. eine moderne landesgeschichtliche Zeitschrift. Als langjähriger Herausgeber (1881-1925) bestimmte er deren Profil, sowie mit zahlreichen eigenen Aufsätzen und Rezensionen. 1907 übernahm E. in Nachfolge von Franz Schnorr von Carolsfeld die Leitung der Königlichen öffentlichen Bibliothek zu Dresden. In den 13 Jahren seines Direktorats, die mit dem Ersten Weltkrieg und der Inflation von schwierigen äußeren Umständen begleitet waren, versuchte er, den innovativen Entwicklungen im Bibliothekswesen gerecht zu werden. Neuerungen betrafen u.a. die Organisation des Dienstbetriebs, die Erschließung von finanziellen Quellen zur Erhöhung des Anschaffungsetats und die baulichen Veränderungen im Japanischen Palais. Ausgehend von eigenen langjährigen Erfahrungen als Benutzer der Bibliothek galt sein Bemühen vorrangig der Verbesserung der Benutzungsbedingungen. So leitete E. die Umgestaltung der Landesbibliothek zu einer wissenschaftlichen Gebrauchsbibliothek ein. Durch Ausstellungen, die Erarbeitung eines Dresdner Bibliothekenführers sowie die Publikation eines eigenen Jahresberichts trat die Bibliothek zunehmend in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Auf wissenschaftsorganisatorischem Gebiet ist v.a. die Gründung der Sächsischen Kommission für Geschichte 1896 hervorzuheben, an deren Zustandekommen E. maßgeblich beteiligt war. Er selbst gehörte ihr ab 1897 an und betreute v.a. historisch-geografische Arbeiten. Mit der Ernennung zum Bibliotheksdirektor wurde er in der Kommission auch verantwortlich für die Leitung der Arbeiten an der „Bibliographie der sächsischen Geschichte“. Als langjähriges Vorstandsmitglied des Königlich Sächsischen Altertumsvereins und zuletzt als dessen Vorsitzender beförderte er dessen Entwicklung zu einer Vereinigung historisch Interessierter und dessen Verbindung zu lokalen Geschichtsvereinen in ganz Sachsen. Über den Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine verschaffte er besonders den sächsischen Positionen zu Archivpflege und Archivgutschutz ein überregionales Gremium. E.s Wirken wurde durch zahlreiche Ehrungen gewürdigt, zu nennen sind v.a. die Ehrenmitgliedschaften in zahlreichen Geschichts- und Altertumsvereinen sowie dem Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine. Er verkörpert wie kein zweiter Landeshistoriker den Prozess der Professionalisierung und Institutionalisierung der Geschichtsforschung in Sachsen. Er leistete Hervorragendes als Editor und Historiker. Zugleich hatte er auf wissenschaftsorganisatorischem Gebiet einen großen Anteil an der Entwicklung von für die Landesgeschichtsforschung wichtigen Institutionen.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Personennachlass Hubert E.; Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftensammlung.
Werke Mein Lebenslauf, in: Die Kinderlaube 5/1867, S. 69-71; Die Chronik des Regino bis 813, Göttingen 1872; (Hg.), Codex diplomaticus Saxoniae regiae, II. Hauptteil, Bd. 6: Urkundenbuch der Stadt Chemnitz und ihrer Klöster, Leipzig 1879; Über Staats- und Stadtarchive, Vortrag, gehalten auf dem Sächsischen Gemeindetage in Freiberg am 4. Juli 1882 (Separatdruck); (Hg.), Codex diplomaticus Saxoniae regiae, II. Hauptteil, Bd. 12-14: Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, Teil 1-3, Leipzig 1883-1891; Das Sächsische Bergrecht des Mittelalters, Leipzig 1887; Das Freiberger Stadtrecht, Leipzig 1889; Erläuterungen zur Historisch-statistischen Grundkarte für Deutschland im Maßstabe 1:100.000 (Königreich Sachsen), hrsg. von der Königlich Sächsischen Kommission für Geschichte, Leipzig 1899; (Hg.), Codex diplomaticus Saxoniae regiae, I. Hauptteil, Abteilung B, Bd. 1-3: Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen 1381-1395, Leipzig 1899-1909; (Bearb.), Der Königlich Sächsische Altertumsverein 1825-1900, Dresden 1900.
Literatur W. Lippert, Hubert E. 1850-1932, in: NASG 53/1932, S. 1-20 (P); H. Beschorner, Zum Gedächtnis, in: Archivalische Zeitschrift 41/1932, S. 312-317; O. Fiebiger, Nachruf, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 50/1933, S. 278-281; G. Schmidt, Zur Erinnerung an Hubert E. (1850-1932), in: Sächsische Heimatblätter 22/1976, S. 181f. (P); J. Lehmann, Hubert E. 1850-1932, Köln/Weimar/Wien 2001 (WV, P). – DBA I, II, III; DBE 3, S. 156; A. Habermann/R. Klemmt/F. Siefkes, Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985, S. 71; W. Leesch, Die deutschen Archivare 1500-1945, Bd. 2: Biographisches Lexikon, München 1992, S. 145f.
Porträt Hubert E., R. Sterl, 1922, Öl auf Leinwand, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Jana Lehmann
27.11.2009
Empfohlene Zitierweise:
Jana Lehmann, Artikel: Hubert Ermisch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1350 [Zugriff 27.12.2024].
Hubert Ermisch
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Personennachlass Hubert E.; Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftensammlung.
Werke Mein Lebenslauf, in: Die Kinderlaube 5/1867, S. 69-71; Die Chronik des Regino bis 813, Göttingen 1872; (Hg.), Codex diplomaticus Saxoniae regiae, II. Hauptteil, Bd. 6: Urkundenbuch der Stadt Chemnitz und ihrer Klöster, Leipzig 1879; Über Staats- und Stadtarchive, Vortrag, gehalten auf dem Sächsischen Gemeindetage in Freiberg am 4. Juli 1882 (Separatdruck); (Hg.), Codex diplomaticus Saxoniae regiae, II. Hauptteil, Bd. 12-14: Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, Teil 1-3, Leipzig 1883-1891; Das Sächsische Bergrecht des Mittelalters, Leipzig 1887; Das Freiberger Stadtrecht, Leipzig 1889; Erläuterungen zur Historisch-statistischen Grundkarte für Deutschland im Maßstabe 1:100.000 (Königreich Sachsen), hrsg. von der Königlich Sächsischen Kommission für Geschichte, Leipzig 1899; (Hg.), Codex diplomaticus Saxoniae regiae, I. Hauptteil, Abteilung B, Bd. 1-3: Urkunden der Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen 1381-1395, Leipzig 1899-1909; (Bearb.), Der Königlich Sächsische Altertumsverein 1825-1900, Dresden 1900.
Literatur W. Lippert, Hubert E. 1850-1932, in: NASG 53/1932, S. 1-20 (P); H. Beschorner, Zum Gedächtnis, in: Archivalische Zeitschrift 41/1932, S. 312-317; O. Fiebiger, Nachruf, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 50/1933, S. 278-281; G. Schmidt, Zur Erinnerung an Hubert E. (1850-1932), in: Sächsische Heimatblätter 22/1976, S. 181f. (P); J. Lehmann, Hubert E. 1850-1932, Köln/Weimar/Wien 2001 (WV, P). – DBA I, II, III; DBE 3, S. 156; A. Habermann/R. Klemmt/F. Siefkes, Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985, S. 71; W. Leesch, Die deutschen Archivare 1500-1945, Bd. 2: Biographisches Lexikon, München 1992, S. 145f.
Porträt Hubert E., R. Sterl, 1922, Öl auf Leinwand, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Jana Lehmann
27.11.2009
Empfohlene Zitierweise:
Jana Lehmann, Artikel: Hubert Ermisch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1350 [Zugriff 27.12.2024].