Helmut Hahnewald

Seine größten Verdienste erwarb sich H. Anfang der 1950er-Jahre beim Wiederaufbau einer kulturellen Infrastruktur im zerstörten Dresden. Als Leiter der Stadt- und Bezirksbibliothek Dresden setzte er sich danach v.a. für Wirtschaftlichkeit und Leistungsvergleiche in öffentlichen Bibliotheken ein. – H. entstammte einer in der Sozialdemokratie verwurzelten, politisch sehr aktiven Familie. Sein Vater, dessen Lebenserinnerungen in dem Buch „ Heinrich Zeuner. Aus dem Leben eines Proletarierjungen“ nachzulesen sind, war als Jugendsekretär der Sozialistischen Arbeiterjugend Sachsens 1924 zum Leiter der Jugendburg Hohnstein ernannt worden, wo H. wichtige Jahre seiner Kindheit und Jugend verbrachte. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte H. den Beruf des Schriftsetzers, zuerst bei dem Drucker und Verleger Jacob Hegner in Hellerau, dann bei Kaden & Co., der SPD-nahen Druckerei der Dresdner Volkszeitung, wo er nach der Ausbildung 1932 eingestellt wurde. – Als aktives Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend trat H. 1932 in die SPD ein. Noch bis 1933 schrieb er in den Hohnsteiner Blättern Artikel gegen die NS-Politik. Kurz nach der „Machtergreifung“ wandelten die Nationalsozialisten die Burg Hohnstein in ein „Schutzhaftlager“ um. Wenige Tage danach wurde H.s Familie aus der Stadt Hohnstein ausgewiesen und sein Vater als erster Häftling auf der Burg interniert. Die Familie fand in Dresden Unterschlupf. H. schloss sich der lokalen Widerstandsgruppe um die Brüder Langhorst an und beteiligte sich an der Verteilung von Aufklärungsmaterial über den Nationalsozialismus, an Plakat- und Flugblattaktionen sowie an der Organisation des Widerstands. – Seine Stelle bei der Dresdner Volkszeitung gab H. auf, als die Zeitung gleichgeschaltet wurde. Bis 1934 blieb er arbeitslos, dann bekam er eine Anstellung in der Buchhandlung Karl Strauß, Waisenhausstraße 25, deren Inhaber Aktionen des Widerstands unterstützten. Auch H. beteiligte sich daran, indem er etwa Radierungen Max Grundigs und Alexander Neroslows verkaufte, verbotene Literatur vertrieb oder Nachrichten übermittelte. Ab 1936 belegte H. einen Lehrgang an der Buchhändler-Lehranstalt in Leipzig, den er 1938 erfolgreich abschloss. Bereits 1936 vertraute ihm sein Arbeitgeber die Stelle eines Sortimentsbuchhändlers an. Nach der Verhaftung von Karl Strauß führte H. das Geschäft weiter, bevor es im März 1939 ganz geschlossen wurde. Bis zu seiner Einberufung zum Kriegsdienst im Herbst 1939 arbeitete er in der Buchhandlung Holze & Pohl. Nach einigen Jahren an der Ostfront wurde er wegen einer schweren Herzerkrankung als nicht mehr fronteinsatzfähig nach Deutschland versetzt, musste aber weiter in der Wehrmacht, größtenteils auf der Festung Königstein, dienen. – Im August 1945 kehrte H. aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft nach Dresden zurück. Er engagierte sich sofort ehrenamtlich im Nachrichtenamt der Stadt und bekam schnell eine Sachbearbeiterstelle, auf der er an der Bereinigung der Buchhandlungen, Leihbüchereien und Bibliotheken von nationalsozialistischer und kriegsverherrlichender Literatur und der Erstellung eines „Index der Schund- und Schmutzliteratur“ arbeitete. Bald war er als Abteilungsleiter und stellvertretender Amtsleiter für Buchhandel und Schrifttum zuständig. Kurzzeitig leitete er das Nachrichtenamt, bevor er am 1.4.1949 zum Direktor des städtischen Dezernats für Kultur, Volksbildung, Jugendhilfe und Heimerziehung berufen wurde. Die Behörde war in dieser Zeit intensiv mit dem Wiederaufbau der zerstörten Kunst- und Kulturstätten, mit der Reorganisation der Theater- und Ausstellungskultur, des Bildungswesens, der Kinder- und Jungendfürsorge sowie nicht zuletzt der Bibliotheken beschäftigt. H. setzte sich persönlich für die Erhaltung historischer Bauten wie des Gewandhauses, des Landhauses oder des Gänsedieb-Brunnens ein. Er verhalf Gret Palucca zur Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit in Dresden und Martin Andersen Nexö zur Übersiedlung in die Stadt. – Nachdem der gerade erst mit der Leitung der Städtischen Büchereien betraute Johannes Naumann in den Westen Deutschlands geflohen war, wurde H. am 1.11.1952 sein Nachfolger. Er hatte dieses Amt 18 Jahre inne. In diese Zeit fiel die zentral gesteuerte sozialistische Umgestaltung der Bibliotheken der DDR, für die er sich stark einsetzte. Die Städtischen Büchereien übernahmen ab 1954 als Stadt- und Bezirksbibliothek anleitende Aufgaben im neu gegründeten Bezirk Dresden. Mit der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Dresdner Bibliotheken, die ihn zu ihrem ersten Vorsitzenden wählte, bemühte sich H. ab 1955 um eine engere Kooperation der wissenschaftlichen und der staatlichen Allgemeinbibliotheken. Als 1964 auch in der DDR ein Deutscher Bibliotheksverband gegründet wurde, engagierte er sich für die Mitgliederwerbung im Bezirk Dresden und war jahrelang Vorsitzender der regionalen Arbeitsgruppe Dresden, Cottbus und Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Er arbeitete im Zentralen Bibliotheksausschuss beim Ministerium für Kultur mit und vertrat im Auftrag des Ministeriums das Bibliothekswesen der DDR mehrfach auf Konferenzen in Ländern des Ostblocks und in der Bundesrepublik Deutschland. – Verdienste erwarb sich H. mit Initiativen zur Steigerung der Effizienz von Bibliotheken. 1955 organisierte er gemeinsam mit dem Leiter der Stadt- und Bezirksbibliothek Karl-Marx-Stadt im Rahmen des „sozialistischen Wettbewerbs“ einen differenzierten Leistungsvergleich zwischen beiden Einrichtungen. Ein ähnliches Projekt initiierte er noch einmal 1960 mit den Direktoren der Berliner Stadtbibliothek und der Stadt- und Bezirksbibliothek Leipzig. 1961 führte er für die eigene Einrichtung erstmals in einer Allgemeinbibliothek der DDR eine ökonomische Konferenz durch. Unter Beteiligung aller Mitarbeiter und des zentralen Leserbeirats wurden vorher in Kommissionen die gesamte Arbeitsorganisation überprüft und Optimierungsvorschläge erarbeitet. – Während H.s Direktorat entstanden 1952 bis 1954 drei Ladenbüchereien nach Berliner Vorbild und 1953 die erste selbstständige Kinderbibliothek. Ab 1955 wurden alle Bibliotheken auf Freihand umgestellt, 1953 bis 1968 erfolgte schrittweise der Wiedereinzug der Hauptbibliothek ins Stadthaus und 1965 bis 1969 die Einführung des Prototyps eines neuen Fahrbibliotheksfahrzeugs. 1969 wurde eine lange vorbereitete Strukturreform umgesetzt. Seine angegriffene Gesundheit ließ H. in den 1960er-Jahren nur begrenzte Möglichkeiten, diese Entwicklungen aktiv mitzugestalten. Als einer der dienstältesten Bibliotheksdirektoren der DDR schied er 1970 aus dem Amt, nachdem sich seine gesundheitliche Situation weiter verschlechtert hatte. – H. erhielt hohe staatliche Auszeichnungen, u.a. den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze und die Verdienstmedaille der DDR.

Quellen Aufzeichnungen C. Schastok von Gesprächen mit M. Hahnewald und G. Hahn; Städtische Bibliotheken Dresden, Bibliotheksarchiv; Stadtarchiv Dresden.

Werke Artikel in der Hohnsteiner Zeitung 1932/33; Meine ersten vier Wochen als Schriftsetzerlehrling, Hellerau 1929; Auferstandenes Dresden, in: Der Bibliothekar 14/1960, S. 130-136; Bilanz einer Konferenz, in: ebd. 15/1961, S. 699-708.

Literatur K. Hahnewald, Heinrich Zeuner. Aus dem Leben eines Proletarierjungen, Halle/Saale 1960; R. Böhme, Helmut H. verabschiedet, in: Der Bibliothekar 24/1970, S. 792f.; ders., Zum Tode von Helmut H., in: ebd. 33/1979, S. 534; E. Marks, Die Entwicklung des Bibliothekswesens der DDR, Leipzig 1987; Stadttore zur Medienwelt, hrsg. von den Städtischen Bibliotheken Dresden, Altenburg 2006 (Bildquelle).

Roman Rabe
23.3.2011


Empfohlene Zitierweise:
Roman Rabe, Artikel: Helmut Hahnewald,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22640 [Zugriff 30.12.2024].

Helmut Hahnewald



Quellen Aufzeichnungen C. Schastok von Gesprächen mit M. Hahnewald und G. Hahn; Städtische Bibliotheken Dresden, Bibliotheksarchiv; Stadtarchiv Dresden.

Werke Artikel in der Hohnsteiner Zeitung 1932/33; Meine ersten vier Wochen als Schriftsetzerlehrling, Hellerau 1929; Auferstandenes Dresden, in: Der Bibliothekar 14/1960, S. 130-136; Bilanz einer Konferenz, in: ebd. 15/1961, S. 699-708.

Literatur K. Hahnewald, Heinrich Zeuner. Aus dem Leben eines Proletarierjungen, Halle/Saale 1960; R. Böhme, Helmut H. verabschiedet, in: Der Bibliothekar 24/1970, S. 792f.; ders., Zum Tode von Helmut H., in: ebd. 33/1979, S. 534; E. Marks, Die Entwicklung des Bibliothekswesens der DDR, Leipzig 1987; Stadttore zur Medienwelt, hrsg. von den Städtischen Bibliotheken Dresden, Altenburg 2006 (Bildquelle).

Roman Rabe
23.3.2011


Empfohlene Zitierweise:
Roman Rabe, Artikel: Helmut Hahnewald,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22640 [Zugriff 30.12.2024].