Heinrich Schmitthenner

S. war engster Mitarbeiter von Alfred Hettner und beeinflusste die deutschsprachige Geografie des 20. Jahrhunderts v.a. durch seine Studien zur Schichtstufentheorie, zur regionalen Geografie des östlichen Asien, zur Kolonialgeografie, zur Kulturgeografie und zur geografischen Methodologie. 1928 bis 1945 wirkte S. an der Universität Leipzig. – S. wuchs in einer alteingesessenen badischen Pfarrersfamilie auf. Er legte 1907 das Abitur am Gymnasium Heidelberg ab und nahm anschließend an der dortigen Universität ein Studium der Geografie, Geologie, Volkswirtschaftslehre und der Soziologie auf. Zu seinen Lehrern zählten u.a. Eberhard Gothein sowie Alfred und Max Weber. In Heidelberg lernte er auch Alfred Hettner kennen, mit dem er Zeit seines Lebens zusammenarbeitete. Nach einem Intermezzo an der Berliner Universität, wo ihn v.a. Albrecht Penck und Eduard Hahn beeinflussten, wurde S. 1911 mit der Dissertation „Die Oberflächengestaltung des nördlichen Schwarzwaldes“ in Heidelberg promoviert. Mit dieser Arbeit begannen seine intensiven geomorphologischen Forschungen zur Problematik der Rumpfflächen und der Schichtstufen. Nach seiner Promotion führten ihn ausgedehnte Forschungsreisen gemeinsam mit seinem Lehrer Hettner nach Nordafrika (1912) und nach Ostasien (1913/14). – Während des Ersten Weltkriegs wurde S. als Armierungssoldat und Kriegsgeologe an der Westfront eingesetzt. Den Frontaufenthalt nutzte er zu seiner eingehenden Studie über das Schichtstufenland zwischen Mosel und Maas, die er 1919 an der Heidelberger Philosophischen Fakultät als Habilitationsschrift einreichte. Nach einer ersten Zeit als Privatassistent Hettners bekleidete S. ab 1920 die Stelle des planmäßigen Assistenten am Geographischen Seminar der Universität Heidelberg. 1923 wurde er schließlich zum nichtplanmäßigen außerordentlichen Professor ernannt. Die Assistentenzeit nutze S. in breitem Maße zur Ausarbeitung seiner länderkundlichen und geomorphologischen Forschungen. 1925 brach er erneut zu einer großen Forschungsreise nach China auf. Im Zentrum standen v.a. Studien über den Löß und die Morphologie des Hwaigebirges. Ostasien und die deutsche Landeskunde blieben S.s regionale Schwerpunkte. Er widmete sich aber auch zunehmend methodischen und theoretischen Problemen der Geografie. – Nach der Emeritierung Hettners wurde S. 1928 als Nachfolger von Hans Meyer auf den seit 1915 bestehenden Lehrstuhl für Kolonialgeographie an die Universität Leipzig berufen. Die Bleibeverhandlung mit der Philosophischen Fakultät, als Reaktion auf den ergangenen Ruf an die Universität Innsbruck, führten zu S.s Ernennung zum persönlichen Ordinarius an der Universität Leipzig, die ihm erweiterte Rechte und eine Aufgabenteilung mit dem Geographischen Seminar einräumten. Zusammen mit Karl Heinrich Dietzel, seinem Assistenten und späteren Nachfolger, stellte S. die Kolonialgeografie auf eine neue, losgelöst von der Kolonialpolitik betriebene wissenschaftliche Grundlage. Bereits seine am 22.6.1929 gehaltene Antrittsvorlesung über den „geographischen Typus der chinesischen Kolonisation“ leitete diesen Kurswechsel ein. – 1936 wechselte S. vom kolonialgeografischen Lehrstuhl auf das traditionsreiche Ordinariat am Geographischen Institut der Leipziger Universität und hatte damit weitaus mehr Lehr- und Forschungsfreiheit. In seiner Leipziger Zeit entstand eines seiner Hauptwerke, der 1938 vorgelegte kulturgeografische Klassiker „Lebensräume im Kampf der Kulturen“. Von Leipzig aus redigierte S. als Nachfolger seines Lehrers Hettner 1934 bis 1944 die Herausgabe der einflussreichen „Geographischen Zeitschrift“. Auch in der traditionsreichen Geographischen Gesellschaft zu Leipzig übernahm er nach seiner Übersiedlung nach Sachsen Funktionen, so war er 1931 bis 1934 deren Vorsitzender. – S. verlor 1943 bei der Bombardierung Leipzigs seinen gesamten persönlichen Besitz, darunter auch einen Großteil seiner Bibliothek und seiner Sammlungen. In den letzten Kriegsmonaten war der Lehrbetrieb stark eingeschränkt, bevor die Universität schließlich geschlossen wurde. Neben den enormen, daraus resultierenden Belastungen war S. in dieser Zeit schon durch eine langwierige Krankheit behindert, die zu mehrmonatigen Beurlaubungen führte. – Nach der Besetzung Leipzigs durch die US-Armee 1945 wurde S. mit anderen Professoren der Philosophischen Fakultät zwangsweise in die amerikanische Zone nach Weilburg/Lahn evakuiert. Noch kurz zuvor hatte ihn die Philosophische Fakultät zum Dekan gewählt. In Hessen konnte S. seine Laufbahn rasch fortsetzen und übernahm 1946 zunächst kommissarisch und bald als Ordinarius bis zu seiner Emeritierung 1955 den Lehrstuhl für Geographie an der Universität Marburg. In seinem Alterswerk widmete er sich, nicht zuletzt wegen des Verlusts seiner privaten Sammlungen und wegen seines schlechten Gesundheitszustands, methodischen, theoretischen und historischen Fragen der Geografie. Er starb nach schwerer Krankheit 1957 in Marburg. S. brachte keine spezifische Schule hervor; er war jedoch in Leipzig und Marburg Lehrer einer Vielzahl von einflussreichen Hochschulgeografen der deutschen Nachkriegsgeografie gewesen.

Quellen Archiv für Geographie des Leibniz-Instituts für Länderkunde Leipzig, Nachlass S., Nachlass Geographische Gesellschaft zu Leipzig, Nachlass Geographische Zeitschrift; Universitätsarchiv Leipzig, PA 257; Universitätsbibliothek Marburg, Nachlass S.

Werke Die Oberflächengestaltung des nördlichen Schwarzwaldes, Karlsruhe 1913; Die Oberflächenformen der Stufenlandschaft zwischen Mosel und Maas, Stuttgart 1923; Tunesien und Algerien. Die Landschaft und ihre Bewohner, Stuttgart 1924; Chinesische Landschaften und Städte, Stuttgart 1925; Lebensräume im Kampf der Kulturen, Leipzig 1938, Heidelberg 21951; Studien über Carl Ritter, Frankfurt/Main 1951; Zum Problem der Allgemeinen Geographie und der Länderkunde, Kallmünz 1954; Probleme der Schichtstufenlandschaft, Marburg 1956.

Literatur F. Tichy, Wissenschaftliche Veröffentlichungen von Heinrich S., in: Petermanns Geographische Mitteilungen 98/1954, H. 4, S. 330-332 (WV); E. Plewe, Heinrich S., in: Petermanns Geographische Mitteilungen 98/1954, H. 4, S. 241-243; ders., Heinrich S. Eine Würdigung anlässlich seines 70. Geburtstages, Marburg 1957; H. Blume, Das morphologische Werk Heinrich S.s, in: Zeitschrift für Geomorphologie NF 2/1958, S. 149-164; ders./H. Wilhelmy (Hg.), Heinrich S. Gedächtnisschrift zu seinem 100. Geburtstag, Stuttgart 1987. – DBA III; DBE 9, S. 34.

Porträt Universitätsarchiv Leipzig, Sig. FS N 938-1 (Bildquelle).

Bruno Schelhaas
23.11.2009


Empfohlene Zitierweise:
Bruno Schelhaas, Artikel: Heinrich Schmitthenner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18428 [Zugriff 21.12.2024].

Heinrich Schmitthenner



Quellen Archiv für Geographie des Leibniz-Instituts für Länderkunde Leipzig, Nachlass S., Nachlass Geographische Gesellschaft zu Leipzig, Nachlass Geographische Zeitschrift; Universitätsarchiv Leipzig, PA 257; Universitätsbibliothek Marburg, Nachlass S.

Werke Die Oberflächengestaltung des nördlichen Schwarzwaldes, Karlsruhe 1913; Die Oberflächenformen der Stufenlandschaft zwischen Mosel und Maas, Stuttgart 1923; Tunesien und Algerien. Die Landschaft und ihre Bewohner, Stuttgart 1924; Chinesische Landschaften und Städte, Stuttgart 1925; Lebensräume im Kampf der Kulturen, Leipzig 1938, Heidelberg 21951; Studien über Carl Ritter, Frankfurt/Main 1951; Zum Problem der Allgemeinen Geographie und der Länderkunde, Kallmünz 1954; Probleme der Schichtstufenlandschaft, Marburg 1956.

Literatur F. Tichy, Wissenschaftliche Veröffentlichungen von Heinrich S., in: Petermanns Geographische Mitteilungen 98/1954, H. 4, S. 330-332 (WV); E. Plewe, Heinrich S., in: Petermanns Geographische Mitteilungen 98/1954, H. 4, S. 241-243; ders., Heinrich S. Eine Würdigung anlässlich seines 70. Geburtstages, Marburg 1957; H. Blume, Das morphologische Werk Heinrich S.s, in: Zeitschrift für Geomorphologie NF 2/1958, S. 149-164; ders./H. Wilhelmy (Hg.), Heinrich S. Gedächtnisschrift zu seinem 100. Geburtstag, Stuttgart 1987. – DBA III; DBE 9, S. 34.

Porträt Universitätsarchiv Leipzig, Sig. FS N 938-1 (Bildquelle).

Bruno Schelhaas
23.11.2009


Empfohlene Zitierweise:
Bruno Schelhaas, Artikel: Heinrich Schmitthenner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18428 [Zugriff 21.12.2024].