Heinrich Wienken
W., dessen Mutter schon zwei Jahre nach seiner Geburt verstarb, ging nach dem Abitur am Gymnasium in Vechta 1904 zum Theologiestudium nach Innsbruck. Am 6.6.1909 weihte ihn Bischof
Hermann Dingelstad in Münster zum Priester. Nach einigen Jahren in einer Münsteraner Vorstadtpfarrei kam er als Kaplan an die Pfarrei St. Sebastian in Berlin-Wedding. Dort sammelte er Erfahrungen in einem proletarischen Milieu und engagierte sich besonders in der Jugendseelsorge. Ab 1916 arbeitete er beim Orts-Caritasverband als stellvertretender Geschäftsführer. Diesem Verband sollte er sein ganzes Leben lang in besonderer Weise verbunden bleiben; aus dem Bereich der Wohlfahrtspflege ist auch die einzige Publikation W.s überliefert. Ab 1920 trat er als Mitarbeiter in die am Sitz der Reichshauptstadt eingerichtete Hauptvertretung des Deutschen Caritasverbands ein, deren Leitung er 1922 übernahm. Außerdem engagierte er sich in Berlin v.a. für die Wohlfahrtspflege auf kommunaler Ebene, später auch als Stadtverordneter der Zentrumspartei. – Nach verschiedenen Vorüberlegungen errichtete die Fuldaer Bischofskonferenz im April 1935 in Berlin eine „Kirchliche Informationsstelle der Bischöflichen Behörden Deutschlands“, die später als Commissariat der Fuldaer Bischofskonferenz neu konzipiert und als Vermittlungsinstanz bei Verhandlungen mit der Reichsregierung eingerichtet wurde. Als Leiter wurde W., inzwischen zum Prälaten ernannt, ausersehen. Er begann dort seine Tätigkeit im Januar 1937. – Der erste Kontakt mit Sachsen, mithin mit dem Bistum Meißen, erfolgte fast zeitgleich, als W. am 22.2.1937 zum Koadjutor mit dem Recht der Bischofsnachfolge ernannt wurde. Diözesanbischof Petrus Legge, der im November 1935 wegen eines Devisenvergehens verurteilt worden war, lebte seitdem im „Exil“ in seinem Heimatort Brakel/Westfalen und konnte erst mit der Bestellung eines Koadjutors wieder in das Bistum zurückkehren. Zugleich wurde W. zum Generalvikar des Bistums Meißen ernannt. Am 11.4.1937 erteilte ihm Bischof
Clemens August von Galen in Münster die Bischofsweihe. Kurz darauf begann W. seine Tätigkeit am Bischofssitz Bautzen. Allerdings war der Vorsitzende der Plenarsitzung der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal
Adolf Bertram, an einer weiteren Arbeit W.s als Commissar in Berlin interessiert. Da außerdem W.s Aufgabenfeld in Bautzen nur begrenzt war und seine Ernennung nicht ganz ohne Spannungen zwischen Legge und dem Berliner Nuntius
Cesare Orsenigo durchgesetzt worden war, kehrte W. bereits im Herbst 1937 nach Berlin zurück. Formal blieb er bis 1943 Generalvikar des Bistums, wurde dort aber stets von Prälat
Paul Kretschmer, ab 1941 von Domdekan Paul Löbmann vertreten. Ein Versuch, ihm 1941 ein Kanonikat am Domkapitel St. Petri in Bautzen zu verleihen, scheiterte letztlich, da W. zu diesem Zeitpunkt wenig Interesse daran hatte, residenzpflichtig dorthin zurückzukehren. Die alternative Verleihung eines Kanonikats ohne Residenzpflicht lehnte er schon deshalb ab, weil dies zu sehr als „Versorgungsposten“ hätte gedeutet werden können. – Als Legge am 9.3.1951 starb, hatte W. durch das 1937 verliehene Nachfolgerecht das Anrecht auf den Meißner Bischofsstuhl. Doch auch dieses Mal wollte er zunächst nicht nach Sachsen zurückkehren. Seiner Bitte an Papst
Pius XII., weiter in Berlin tätig sein zu können und nicht nach Bautzen gehen zu müssen, wurde nicht entsprochen. So wurde er am 29.11.1951 inthronisiert und nahm seine Tätigkeit als neuer Diözesanbischof auf. Indes wirkte er nur kurz in diesem Amt. Aus gesundheitlichen Gründen bat er 1955 um die Bestellung eines Koadjutors, wozu Otto Spülbeck ernannt wurde, der ab Dezember 1955 auch offiziell Administrator des Bistums wurde. Ab diesem Zeitpunkt übernahm Spülbeck weitgehend die Außenvertretung der Diözese. 1957 wurde W. von der Leitung des Bistums entbunden und zugleich zum Titular-Erzbischof von Mocissus ernannt. W. zog noch im selben Jahr nach Berlin zurück und wohnte dort in einem kirchlichen Krankenhaus unter sehr bescheidenen Verhältnissen bis zu seinem Tod 1961. – Die Biografen W.s setzen sich v.a. mit seinem nicht unumstrittenen, weil kaum eindeutig zu bewertenden kirchenpolitischen Wirken auseinander, das ihm Titulaturen vom „braunen Bischof“ bis zum „roten Heinrich“ eingebracht hatte. Seine Amtszeit als Bischof von Meißen steht hingegen deutlich unter dem Zeichen des Übergangs. Sie war weder so prägend wie das fast 20 Jahre dauernde Episkopat seines Vorgängers Legge in der NS- und frühen SBZ/DDR-Zeit, noch wie der durch das II. Vatikanische Konzil hervorgerufene und durch die Persönlichkeit seines Nachfolgers Otto Spülbeck beeinflusste und geförderte Umbruch im Bistum Meißen.
Quellen Diözesanarchiv des Bistums Dresden-Meißen, Bischofsakten Heinrich W.; Archiv des Deutschen Caritasverbandes Freiburg, Schriftwechsel; Archiv der Kommission für Zeitgeschichte Bonn, Nachlass Walter Adolph; Bundesarchiv Berlin, Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten.
Werke Die Lage der Kinder polnischer Wanderarbeiter in Deutschland, in: Jugendwohl. Zeitschrift für katholische Kinder- und Jugendfürsorge 20/1931, S. 177-181.
Literatur M. Höllen, Heinrich W., der „unpolitische“ Kirchenpolitiker, Mainz 1981 (P); ders., Heinrich W., in: J. Aretz/R. Morsey/A. Rauscher (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 5, Mainz 1982, S. 176-189 (P); B. Mitzscherlich, Diktatur und Diaspora. Das Bistum Meißen 1932-1951, Paderborn/München/Wien/Zürich 2005. – DBA III; DBE 10, S. 487; E. Gatz (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803-1945, Berlin 1983, S. 813-815; ders. (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945-2001, Berlin 2002, S. 143-145.
Birgit Mitzscherlich
22.5.2006
Empfohlene Zitierweise:
Birgit Mitzscherlich, Artikel: Heinrich Wienken,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10347 [Zugriff 22.11.2024].
Heinrich Wienken
Quellen Diözesanarchiv des Bistums Dresden-Meißen, Bischofsakten Heinrich W.; Archiv des Deutschen Caritasverbandes Freiburg, Schriftwechsel; Archiv der Kommission für Zeitgeschichte Bonn, Nachlass Walter Adolph; Bundesarchiv Berlin, Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten.
Werke Die Lage der Kinder polnischer Wanderarbeiter in Deutschland, in: Jugendwohl. Zeitschrift für katholische Kinder- und Jugendfürsorge 20/1931, S. 177-181.
Literatur M. Höllen, Heinrich W., der „unpolitische“ Kirchenpolitiker, Mainz 1981 (P); ders., Heinrich W., in: J. Aretz/R. Morsey/A. Rauscher (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 5, Mainz 1982, S. 176-189 (P); B. Mitzscherlich, Diktatur und Diaspora. Das Bistum Meißen 1932-1951, Paderborn/München/Wien/Zürich 2005. – DBA III; DBE 10, S. 487; E. Gatz (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803-1945, Berlin 1983, S. 813-815; ders. (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1945-2001, Berlin 2002, S. 143-145.
Birgit Mitzscherlich
22.5.2006
Empfohlene Zitierweise:
Birgit Mitzscherlich, Artikel: Heinrich Wienken,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10347 [Zugriff 22.11.2024].