Hans Posse

Als Kenner der italienischen Malerei war P. über drei Jahrzehnte Direktor der Gemäldegalerie in Dresden. Seine Kennerschaft und sein strategisches Handeln ließen ihn zu einem einflussreichen und international anerkannten Museumsdirektor werden. Von Adolf Hitler persönlich 1939 zum „Sonderbeauftragten für Linz“ ernannt war P. einer der Hauptverantwortlichen des nationalsozialistischen Kunstraubs. – In bildungsbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen hatte P. nach der Reifeprüfung am Gymnasium zum Heiligen Kreuz in Dresden zunächst seinen Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger absolviert. Ab 1899 studierte er an der Universität Marburg Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Germanistik. Im Herbst 1900 wechselte er für ein Studium der Kunstgeschichte bei Franz Wickhoff, Alois Riegl, Julius von Schlosser und Max Dvořák an die Universität Wien. Nach einer längeren Studienreise durch Italien wurde P. 1903 mit einer Arbeit über den römischen Barockmaler Andrea Sacchi in Wien als Schüler von Wickhoff promoviert. Ab Oktober 1903 arbeitete P. als Freiwilliger Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter, ein Jahr später als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der Gemäldegalerie in Berlin. 1905 verbrachte er einen einjährigen Studienaufenthalt am Kunsthistorischen Institut in Florenz (Italien). Nach seiner Rückkehr bearbeitete er für das Kaiser-Friedrich-Museum das Gemäldeverzeichnis und für das Galeriewerk der Königlichen Museen die italienische Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Während seiner damaligen Berliner Tätigkeit wurde P. maßgeblich durch Wilhelm Bode, Generaldirektor der Königlichen Museen, gefördert, der ihn 1909 zum Direktorialassistenten beförderte. – Zum 1.4.1910 wurde P. zum Direktor der Dresdner Gemäldegalerie ernannt. Während des Ersten Weltkriegs konnte er, obwohl er im aktiven Heeresdienst stand, die Direktionsgeschäfte der Gemäldegalerie aufgrund von Beurlaubungen phasenweise selbst weiterführen. Er überlebte den Einsatz an der Ost- und Westfront und kehrte im September 1918 nach Dresden zurück. Im Zuge der reichsweiten Museumsreformbewegung engagierte sich P. für eine Neugestaltung der Gemäldegalerie; seine Pläne für einen Neubau wurden allerdings in der Weimarer Republik aus finanziellen Gründen gestoppt. Dennoch konnten moderne Werke ab 1924 in einem Palais in der Parkstraße präsentiert werden, bevor ab 1931 die „Moderne Abteilung“ mit Werken des 19. Jahrhunderts im Gebäude der Sekundogenitur auf der Brühlschen Terrasse gezeigt wurde. Die von P. getätigten Ankäufe waren eher konservativ. So erwarb er u.a. Werke von Caspar David Friedrich, Lovis Corinth, Ferdinand von Rayski, aber auch von Oskar Kokoschka. Bei Erwerbungen zeitgenössischer Kunst agierte P. taktisch abwartend. Seine Entscheidungen ergaben sich aus der Beobachtung der reichsweiten musealen Kanonbildung. Als erfahrenem, im europäischen Museumswesen bestens vernetztem Ausstellungsmacher wurde ihm 1922 und 1930 das Kommissariat für den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig (Italien) übertragen. In Dresden übernahm P. den Vorsitz der Künstlerischen Leitung der Internationalen Kunstausstellung 1926. – Schon im Umfeld der Biennale 1930 hatte es in der Presse heftige Angriffe gegen P. gegeben. In Dresden setzten sich diese im Frühjahr 1933 fort und er wurde u.a. von Walther Gasch, dem Vorsitzenden der NS-Gaufachgruppe der bildenden Künste Dresden, als Galeriedirektor als „untragbar“ bezeichnet. P. gelang es, die sachlich unbegründeten Angriffe durch eine Denkschrift zu entkräften und sich im Amt zu halten. Im April 1933 beantragte er eine NSDAP-Mitgliedschaft, die aus bisher unbekannten Gründen 1934 wieder gestrichen wurde. Im März 1938 wurde P. vom Kommissarischem Leiter des Sächsischen Ministeriums für Volksbildung, Arthur Göpfert, gedrängt, seine Versetzung in den Ruhestand zu beantragen. Doch P. stellte nur seine vorzeitige Pensionierung in Aussicht und war ab Mitte April 1938 wieder in der Galerie tätig, allerdings nominell nicht mehr als Direktor. Als Adolf Hitler bei einem Dresden-Aufenthalt am 18.6.1938 sich von P. durch die Gemäldegalerie führen lassen wollte, war dieser nicht anwesend, was zu einem Eklat führte. Hitler intervenierte persönlich: P. wurde herbeizitiert, um ihn zu begleiten. Wenig später, im Juli 1938, wurde P. wieder in das Amt als Galeriedirektor eingesetzt. Ein Jahr später, am 26.6.1939, berief ihn Hitler zum „Sonderbeauftragten“, um das in Linz geplante „Führermuseum“ aufzubauen und ein europaweites (Um )Verteilungsprogramm beschlagnahmter, aber auch angekaufter Kunstwerke zu realisieren. P. wurde damit zu einem Hauptverantwortlichen des nationalsozialistischen Kunstraubs, in dessen Netzwerke er bis zu seinem Tod eingebunden blieb. Ab April 1942 musste sich P. aufgrund seiner schweren Krebserkrankung zunächst in München, dann in der Landhausklinik in Berlin-Wilmersdorf einer Behandlung unterziehen. Im Juli 1942 nahm der bereits Todkranke vorübergehend seine Tätigkeit als Galeriedirektor und „Sonderbeauftragter“ wieder auf, wobei er meist von zu Hause arbeitete. Doch ab August 1942 folgten weitere stationäre Behandlungen in Berlin, wo P. am 7.12.1942 starb. Sein Leichnam wurde nach Dresden überführt. Dort fand auf Anordnung Hitlers, der selbst nicht anwesend war, am 11.12.1942 ein Staatsakt für P. statt.

Quellen Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Archiv, Nachlass Hans P.; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11127 Gemäldegalerie, Nr. 29/1; Stadtarchiv Dresden, 6.4.25 Standesamt/Urkundenstelle, 1.3.2-142 Standesamt I, Eheregister 1933, Nr. 1132, 11.3.2-8 Standesamt XI, Eheregister 1910, Nr. 1 (Ancestry.com) ; Bundesarchiv Berlin, R 9361-VIII/Kartei/16250889. – Kommentierte Online-Edition der fünf Reisetagebücher Hans P.s (1939-1942), hrsg. vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg .

Werke Das Deckenfresko des Pietro da Cortona im Palazzo Barberini und die Deckenmalerei in Rom, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 40/1919, H. 2, S. 93-118, H. 3, S. 126-173; Die Gemälde-Galerie zu Dresden, 2 Bde., Dresden 1920/1921; Raffaels Sixtinische Madonna, Berlin 1922; Die vier Altargemälde des Antonio da Correggio, Dresden 1923; Der römische Maler Andrea Sacchi. Ein Beitrag zur Geschichte der klassizistischen Bewegung im Barock, Leipzig 1925; Die Briefe des Grafen Francesco Algarotti an den sächsischen Hof und seine Bilderkäufe für die Dresdner Galerie 1743-1747, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 52/1931, Beiheft, S. 1-73; Lucas Cranach d.Ä., Wien 1942.

Literatur Robert Oertel, Hans P. zum Gedächtnis, in: NASG 63/1942, S. 170-174; Birgit Schwarz, Hitlers Sonderbeauftragter Hans P., in: Dresdner Hefte 77/2004, S. 77-85; Petra Winter, Hans P. - „ein nahezu unbeschriebenes Blatt“. Protokoll einer Ernennung, in: Bernhard Maaz (Hg.), Kunst-, Welt- und Werkgeschichten. Die Korrespondenz zwischen Hans P. und Wilhelm von Bode von 1904 bis 1928, Köln/Weimar/Wien 2012, S. 29-48; Birgit Schwarz, Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub, Darmstadt 2014; Gilbert Lupfer/Thomas Rudert (Hg.), Kennerschaft zwischen Macht und Moral. Annäherungen an Hans P. (1879-1942), Köln/Weimar/Wien 2015 (WV, P); Birgit Schwarz, Hitlers Sonderauftrag Ostmark. Kunstraub und Museumspolitik im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2018; Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2020 (P) . – DBA II, III; DBE II 8, S. 42.

Porträt Porträt Hans P., Fotografie, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inventar-Nr. D 1986-59 (Bildquelle); Bildnis Hans P., Direktor der Dresdner Gemäldegalerie, Georg Oehme, Mitte 1930er-Jahre, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister, Inventar-Nr. 3426, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek, Foto: Rudolph Kramer, 1962 .

Karin Müller-Kelwing
02.07.2021


Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Hans Posse,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17683 [Zugriff 24.11.2024].

Hans Posse



Quellen Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Archiv, Nachlass Hans P.; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11127 Gemäldegalerie, Nr. 29/1; Stadtarchiv Dresden, 6.4.25 Standesamt/Urkundenstelle, 1.3.2-142 Standesamt I, Eheregister 1933, Nr. 1132, 11.3.2-8 Standesamt XI, Eheregister 1910, Nr. 1 (Ancestry.com) ; Bundesarchiv Berlin, R 9361-VIII/Kartei/16250889. – Kommentierte Online-Edition der fünf Reisetagebücher Hans P.s (1939-1942), hrsg. vom Germanischen Nationalmuseum Nürnberg .

Werke Das Deckenfresko des Pietro da Cortona im Palazzo Barberini und die Deckenmalerei in Rom, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 40/1919, H. 2, S. 93-118, H. 3, S. 126-173; Die Gemälde-Galerie zu Dresden, 2 Bde., Dresden 1920/1921; Raffaels Sixtinische Madonna, Berlin 1922; Die vier Altargemälde des Antonio da Correggio, Dresden 1923; Der römische Maler Andrea Sacchi. Ein Beitrag zur Geschichte der klassizistischen Bewegung im Barock, Leipzig 1925; Die Briefe des Grafen Francesco Algarotti an den sächsischen Hof und seine Bilderkäufe für die Dresdner Galerie 1743-1747, in: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 52/1931, Beiheft, S. 1-73; Lucas Cranach d.Ä., Wien 1942.

Literatur Robert Oertel, Hans P. zum Gedächtnis, in: NASG 63/1942, S. 170-174; Birgit Schwarz, Hitlers Sonderbeauftragter Hans P., in: Dresdner Hefte 77/2004, S. 77-85; Petra Winter, Hans P. - „ein nahezu unbeschriebenes Blatt“. Protokoll einer Ernennung, in: Bernhard Maaz (Hg.), Kunst-, Welt- und Werkgeschichten. Die Korrespondenz zwischen Hans P. und Wilhelm von Bode von 1904 bis 1928, Köln/Weimar/Wien 2012, S. 29-48; Birgit Schwarz, Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub, Darmstadt 2014; Gilbert Lupfer/Thomas Rudert (Hg.), Kennerschaft zwischen Macht und Moral. Annäherungen an Hans P. (1879-1942), Köln/Weimar/Wien 2015 (WV, P); Birgit Schwarz, Hitlers Sonderauftrag Ostmark. Kunstraub und Museumspolitik im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2018; Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2020 (P) . – DBA II, III; DBE II 8, S. 42.

Porträt Porträt Hans P., Fotografie, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inventar-Nr. D 1986-59 (Bildquelle); Bildnis Hans P., Direktor der Dresdner Gemäldegalerie, Georg Oehme, Mitte 1930er-Jahre, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister, Inventar-Nr. 3426, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek, Foto: Rudolph Kramer, 1962 .

Karin Müller-Kelwing
02.07.2021


Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Hans Posse,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17683 [Zugriff 24.11.2024].