Gustav Ludwig Simon

Die Vita des Advokaten Gustav Ludwig Simon steht beispielhaft für das Phänomen jüdischer Konvertiten im 19. Jahrhundert, die durch den Übertritt zum Christentum die schnelle Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft vollzogen. Wie auch in diesem Fall musste dies aber nicht für alle Mitglieder einer Familie gelten und der Erfolg dieser Strategie war, wie Simons Probleme mit der Justiz zeigen, keinesfalls garantiert. – Simon wurde als Sohn eines jüdischen Bankiers geboren. Bereits dessen Vater, vermutlich der aus Dessau stammende Isaac Simon , war im selben Metier tätig und 1814 nach Leipzig gekommen. Simons Mutter, eine Schwester des mehrfachen Leipziger Gemeindevorstehers Hermann Samson, ging nach dem frühen Tod ihres Manns nach Frankfurt/Main. Hier könnte der bereits mit einem Jahr zum Halbwaisen gewordene Simon auch seine Kindheit und Jugend verbracht haben. 1844 war Simon für ein Philosophiestudium in Berlin immatrikuliert, ein Jahr später erscheint er dann bereits als Jurastudent in Göttingen. Ab dem 19.10.1846 schließlich studierte Simon Jura an der Universität Leipzig und bekannte sich zu dieser Zeit offiziell noch zum jüdischen Glauben. Im Folgejahr legte er diesen ab und trat zur katholischen Gemeinde Leipzigs über. Zu den Taufzeugen am 18.7.1847 zählte u.a. der später hingerichtete Revolutionär Robert Blum. Zu einem unbekannten Zeitpunkt soll Simon später das evangelische Bekenntnis angenommen haben. Während der Unruhen 1848/1849 meldete er sich, wohl zunächst freiwillig, bei der Leipziger Kommunalgarde. Einer dauerhaften Einziehung suchte er aber erfolgreich zu entgehen, indem er auf dem Umstand verwies, sich nur zeitweise in Leipzig aufzuhalten und auch oft in Dresden zu sein. Dazu kam Simons angegriffene Gesundheit, wie sie ihm auch ärztlicherseits attestiert wurde. Im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1848/1849 und in der Phase der Restauration stand Simon wiederholt im Visier der Polizeibehörden. Die Zulassung als Advokat 1852, aufgrund deren er wohl Mitglied des Leipziger Advocaten-Vereins geworden war, wie auch der wahrscheinliche Erwerb des Leipziger Bürgerrechts konnten ihn davor nicht schützen. Schon 1849 wurde in Verbindung mit einer angeblich aufwiegelnden Druckschrift gegen ihn ermittelt, was vor dem Königlichen Appellationsgericht am 18.12.1849 jedoch mit einem Freispruch endete. Auch seine Mitgliedschaft in der Demokratischen Partei sowie seine Rolle als Ausschussmitglied im Deutschen Vaterlandsverein machten Simon in den Augen der Obrigkeit zu einer suspekten Figur. Die Königlich-Hannoversche Regierung führte Untersuchungen gegen ihn aufgrund seiner Versuche, dort Verbindungen anzuknüpfen, und informierte hierüber die Behörden Sachsens mit der Bitte um zusätzliche Auskünfte. Weitere Untersuchungen und Vorwürfe bezogen sich auf den Straftatbestand der „Selbsthilfe“, ohne dass dazu Näheres bekannt wäre, sowie auf die Unterstützung und das Betreiben von Wuchergeschäften. Letzteres brachte Simon 1854 eine Geldstrafe sowie eine dreimonatige Haftstrafe durch das Kreisgericht in Merseburg ein. Dabei thematisierten die Akten immer wieder Simons jüdische Herkunft sowie sein Vermögen, das er in Form von Wertpapieren von seinem früh verstorbenen Vater geerbt hatte. Auch seine Verschwägerung mit dem Mathematiker Moritz Abraham Stern wurde deutlich angesprochen, den Simons ältere Schwester Bertha geheiratet hatte. Stern erhielt als erster ungetaufter Jude eine außerordentliche Professur in Göttingen und schlug insofern zusammen mit seiner Ehefrau mit der Beibehaltung seines Bekenntnisses zum Judentum einen anderen Lebensweg ein als sein Schwager. – Simon selbst heiratete 1859 die Leipzigerin Marie Emilie Mathilde Eckert aus christlichem Elternhaus. Von den zwei Söhnen aus dieser Ehe verstarb Paul Simon bereits im elften Lebensjahr, während der jüngere, Alfred Hugo Gustav, 1889 in Leipzig zum Dr. jur. promoviert und 1906 zum Direktor am Landgericht Dresden ernannt wurde. – Während der 1850er-Jahre setzte sich Simon mit Erfolg für eine Ansiedlung seiner früh verwitweten Mutter als „Schutzverwandte“ in Leipzig ein, die hier 1855 vorübergehend als Privata in den Adressbüchern verzeichnet wird. Auch trat er als ihr Vermögensverwalter in Erscheinung. Zugleich praktizierte Simon als Anwalt, wobei die Frage nach beruflichem Erfolg sowie seinem Verhältnis zu Kollegen und Richtern offenbleiben muss. Seit 1879 soll Simon auch Gründungsmitglied des Leipziger Anwaltvereins gewesen sein. Sicher ist, dass er 1865 im Gerichtsprozess als Strafverteidiger des damals berüchtigten Betrügers und Kleinkriminellen, heute aber v.a. als Schriftsteller bekannten Karl May fungierte. Simon verstarb im Alter von 58 Jahren. Ob ein Herzfehler hierfür ursächlich war, wie er ihm bereits in jungen Jahren bescheinigt worden war, ist nicht mit Sicherheit zu klären. – Simons Vita war nicht nur durch eine liberaldemokratische Gesinnung und entsprechende Konflikte mit den Staatsorganen gekennzeichnet, sondern auch durch eine deutliche Distanz zur jüdischen Gemeinde und Religion. Als die Gründung der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig Mitte 1847 formal gerade abschlossen war, entfernte sich Simon mit der Taufe auch nach außen sichtbar vom Judentum. Insofern hat seine jüdische Herkunft für ihn persönlich zu Lebzeiten wohl keine bedeutende Rolle gespielt. Seine letzte Ruhe fand Simon auf dem Neuen Johannisfriedhof zu Leipzig, der als ehemaliger prominenter Beisetzungsort bürgerlicher Eliten bekannt ist.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10736 Ministerium des Innern, Nr. 459/39; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Nr. PP-V18, 20057 Appellationsgericht Leipzig, Nr. 0470; Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, J 246, 0021 Friedhofsamt, Nr. 44, 0056 Wahl- und Listenamt, Fallakten/Aufnahme- und Bürgerakten, Nr. 13242, 0359 Kommunalgarde Leipzig, Nr. 545, 0588 Standesamt, Personenstandsregister 1884, Nr. 949 – Historische Adressbücher Sachsen 1852-1883; Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studirenden auf der Königl. Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin auf das Sommerhalbjahr von Ostern bis Michaelis 1844; Wilhelm Ebel (Hg.), Die Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen 1837-1900, Bd. 2, Hildesheim u.a. 1974; Jens Blecher/Gerald Wiemers (Hg.), Die Matrikel der Universität Leipzig, Bd. 2, Weimar 2007.

Literatur Josef Reinhold, Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Dieter Sudhoff/Hans Dieter Steinmetz, Karl-May-Chronik, Bd 1: 1842-1896, Bamberg/Radebeul 2005; Hubert Lang, Zwischen allen Stühlen. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig (1848-1953), Leipzig 2014; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
22.7.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Gustav Ludwig Simon,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29399 [Zugriff 11.8.2025].

Gustav Ludwig Simon



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10736 Ministerium des Innern, Nr. 459/39; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Nr. PP-V18, 20057 Appellationsgericht Leipzig, Nr. 0470; Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, J 246, 0021 Friedhofsamt, Nr. 44, 0056 Wahl- und Listenamt, Fallakten/Aufnahme- und Bürgerakten, Nr. 13242, 0359 Kommunalgarde Leipzig, Nr. 545, 0588 Standesamt, Personenstandsregister 1884, Nr. 949 – Historische Adressbücher Sachsen 1852-1883; Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studirenden auf der Königl. Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin auf das Sommerhalbjahr von Ostern bis Michaelis 1844; Wilhelm Ebel (Hg.), Die Matrikel der Georg-August-Universität zu Göttingen 1837-1900, Bd. 2, Hildesheim u.a. 1974; Jens Blecher/Gerald Wiemers (Hg.), Die Matrikel der Universität Leipzig, Bd. 2, Weimar 2007.

Literatur Josef Reinhold, Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Dieter Sudhoff/Hans Dieter Steinmetz, Karl-May-Chronik, Bd 1: 1842-1896, Bamberg/Radebeul 2005; Hubert Lang, Zwischen allen Stühlen. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig (1848-1953), Leipzig 2014; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.

Lucas Böhme
22.7.2025


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Gustav Ludwig Simon,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29399 [Zugriff 11.8.2025].