Gustav Leißner

L. war von Februar bis Oktober 1946 Oberbürgermeister von Dresden. Die kurze Amtszeit war geprägt vom Bemühen um die Bewältigung der Nachkriegsprobleme. – L. besuchte die Gymnasien in Stettin (poln. Szczecin), Berlin und Oldenburg. In Jena und Leipzig studierte er v.a. Rechts- und Staatswissenschaften. 1911 bestand er die erste juristische Staatsprüfung und promovierte anschließend zum Doktor der Rechtswissenschaften. Im Oktober 1914 zum Militär eingezogen, wurde er nach schwerer Verwundung im November 1916 felddienstunfähig als Gefreiter entlassen. Noch im gleichen Jahr legte L. die zweite juristische Staatsprüfung ab und wurde Richter am Landgericht Torgau. 1917 wechselte er in die Kommunalpolitik, zunächst als Magistratsassessor in Greifswald, dann von April 1918 bis März 1921 in Stettin. Noch im selben Monat trat er in Meerane die Stelle eines besoldeten Stadtrats an und wurde am 1.4.1924 Bürgermeister dieser Stadt. Ab 1.12.1926 wirkte L. als besoldeter Stadtrat in Breslau (poln. Wrocław), bis er wegen seiner SPD-Mitgliedschaft am 25.3.1933 aufgrund des nationalsozialistischen Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen und ihm auch die Zulassung zur Anwaltschaft entzogen wurde. – 1934 übersiedelte er mit seiner Familie nach Lichtenwalde bei Chemnitz, den Heimatort seiner Frau, und arbeitete 1940 bis 1944 als kaufmännischer Angestellter in einer Seidenzwirnerei in Markersdorf im Chemnitztal. Danach fand er als juristischer Hilfsarbeiter Beschäftigung in der Kanzlei von Rechtsanwalt Dr. Seidel in Chemnitz. Dort wurde er im August 1944 verhaftet, ins Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert und nach mehreren Wochen Haft entlassen. Er konnte seine Tätigkeit in der Rechtsanwaltskanzlei wieder aufnehmen und auch nach Kriegsende fortsetzen. – 1945 folgte seine Zulassung als Rechtsanwalt und wenig später die Ernennung zum Notar. L., der seit 1926 Mitglied der SPD war, trat 1945 der wieder gegründeten SPD bei und wurde durch die Vereinigung von SPD und KPD im April 1946 Mitglied der SED. Als Ende Oktober 1945 in Dresden aufgrund der Abberufung von Johannes Müller das Amt des Oberbürgermeisters neu zu besetzen war, schlugen dafür KPD und SPD gemeinsam L. vor. Nach Zustimmung der Sowjetischen Militäradministration in Sachsen wurde L. mit Wirkung vom 1.2.1946 Oberbürgermeister der Stadt Dresden. Die feierliche Amtseinführung erfolgte in einer Sondersitzung des Rats der Stadt am 9.2.1946 durch den Präsidenten der Landesverwaltung Sachsen Rudolf Friedrichs. Die von L. geleiteten Sitzungen des Rats der Stadt waren v.a. von Problemen der Nachkriegszeit geprägt, u.a. Versorgung der Bevölkerung mit Lebensnotwendigem, Trümmerberäumung und Wiederaufbau, Stärkung der örtlichen Wirtschaft und des Gewerbes, Reorganisation von Bildungswesen und Kultur. L. bemühte sich um die Demokratisierung der Stadtverwaltung. Die Ausschüsse sollten als demokratische Organe wirken und alle Amtsinhaber durch die Bürger legitimiert sein. Viele Beschlüsse gingen auf L. zurück, so im März 1946 die Wiederaufnahme der Bezeichnung „Landeshauptstadt Dresden” oder auch die Vorbereitung der Ratsbeschlüsse durch den Verwaltungsausschuss. Die überparteiliche Sachlichkeit der Amtsführung L.s wurde besonders von CDU und LDPD geschätzt. Doch stand sein Handeln stets unter kritischer Beobachtung der KPD bzw. SED. Sein Stellvertreter Walter Weidauer sammelte über L. „belastendes“ Material und reichte es an die SED-Landesleitung und die Besatzungsmacht weiter. Heftige Auseinandersetzungen gab es v.a. um die Personalpolitik und die Enteignung von Industriebetrieben im Zusammenhang mit dem Volksentscheid im Juni 1946. In der Kommunalwahl am 1.9.1946 erzielten die bürgerlichen Parteien gemeinsam die Stimmen-Mehrheit, aber durch eine Vereinbarung im antifaschistischen Parteienblock sollte die SED den Oberbürgermeister vorschlagen. Bei der Wahl in der Stadtverordneten-Sitzung am 10.10.1946 verzichtete L. überraschend auf seine Kandidatur, da sich Weidauer parteiintern durchgesetzt hatte. Am 30.11.1946 schied L. aus der Dresdner Stadtverwaltung aus. Am folgenden Tag wurde er zum Präsidenten des Landgerichts Bautzen berufen. Ende 1948 erfolgte sein Ausschluss aus der SED, zwei Jahre später wurde er aus politischen Gründen fristlos aus dem sächsischen Justizdienst entlassen. Daraufhin verließ L. im Juni 1950 die DDR und ging in die BRD. Vom Notaufnahmelager Gießen in den Stadtkreis Wiesbaden eingewiesen, arbeitete er zunächst als Hilfsdezernent beim Regierungspräsidium und ab Februar 1951 im Hessischen Ministerium des Innern. Nach seiner Pensionierung war L. drei Jahre in Berlin (West) tätig und sammelte - auch angeregt durch seine persönlichen Erfahrungen - Material über die Verwaltungswirklichkeit und die Stellung der Staatsangestellten in der SBZ bzw. in der DDR. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen wurden als Buch veröffentlicht.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium des Innern, Ministerium der Justiz, Ministerpräsident, SED-Bezirksleitung Dresden, Nachlass W. Weidauer; Stadtarchiv Dresden, Stadtverordnetenversammlung, Ratssitzungen, Dezernat Oberbürgermeister; Stadt Leipzig, Standesamt, Auskunft 2002; Hessisches Hauptstaatsarchiv, Auskunft 2002; Wiesbaden, Standesamt, Auskunft 2002; W. Mischnick, Auskunft (tel.) 2002.

Werke Verwaltung und öffentlicher Dienst in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Stuttgart/Köln 1961.

Literatur C. Hermann, Oberbürgermeister der Stadt Dresden Rudolf Friedrichs, Johannes Müller, Gustav L., in: Dresdner Geschichtsbuch, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Bd. 8, Altenburg 2002, S. 207-224 (P); T. Widera, Dresden 1945-1948, Göttingen 2004. – M. Broszat/H. Weber (Hg.), Das SBZ-Handbuch, München 1990, S. 964.

Porträt Fotografie, 1946, B. Braun, Stadtmuseum Dresden.

Christel Hermann
9.5.2011


Empfohlene Zitierweise:
Christel Hermann, Artikel: Gustav Leißner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22289 [Zugriff 30.6.2024].

Gustav Leißner



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium des Innern, Ministerium der Justiz, Ministerpräsident, SED-Bezirksleitung Dresden, Nachlass W. Weidauer; Stadtarchiv Dresden, Stadtverordnetenversammlung, Ratssitzungen, Dezernat Oberbürgermeister; Stadt Leipzig, Standesamt, Auskunft 2002; Hessisches Hauptstaatsarchiv, Auskunft 2002; Wiesbaden, Standesamt, Auskunft 2002; W. Mischnick, Auskunft (tel.) 2002.

Werke Verwaltung und öffentlicher Dienst in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Stuttgart/Köln 1961.

Literatur C. Hermann, Oberbürgermeister der Stadt Dresden Rudolf Friedrichs, Johannes Müller, Gustav L., in: Dresdner Geschichtsbuch, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Bd. 8, Altenburg 2002, S. 207-224 (P); T. Widera, Dresden 1945-1948, Göttingen 2004. – M. Broszat/H. Weber (Hg.), Das SBZ-Handbuch, München 1990, S. 964.

Porträt Fotografie, 1946, B. Braun, Stadtmuseum Dresden.

Christel Hermann
9.5.2011


Empfohlene Zitierweise:
Christel Hermann, Artikel: Gustav Leißner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22289 [Zugriff 30.6.2024].