Gregor Strasser
S. zählt zu den wichtigsten NSDAP-Politikern vor der nationalsozialistischen „Machtergreifung“. Ursprünglich in Bayern aktiv, konnte er seinen Machtbereich im Reichsgebiet ausbauen und wurde auch in Sachsen populär. Mittels des „Kampf-Verlags“, den er ab 1926 mit seinem Bruder
Otto führte, versuchte er Einfluss auf die ideologische Ausrichtung der NSDAP zu nehmen. Mit dem „Sächsischen Beobachter“ richteten sich die Brüder Straßer besonders an die NSDAP in Sachsen. Dort war S. 1930 als möglicher Innenminister im Gespräch. Als guter Redner und Organisator avancierte er bis 1932 zum zweiten Mann hinter
Adolf Hitler, zu dem er jedoch zunehmend in Gegensatz geriet. – S. begann 1914 ein Pharmaziestudium in München. Am Ersten Weltkrieg, der ihn stark prägte, nahm er als Freiwilliger teil. Er wurde Oberleutnant und mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse ausgezeichnet. Ab 1920 war er Apotheker in Landshut. Zunächst Mitglied des Freikorps Epp, organisierte er das „Sturmbataillon Niederbayern“ und trat 1921 der NSDAP bei. Seine Teilnahme am gescheiterten „Hitler-Putsch“ von 1923 brachte ihn ins Gefängnis. Im April 1924 erhielt S. jedoch ein bayerisches Landtagsmandat für den „Völkischen Block“, wurde vorzeitig entlassen und errang bei den Wahlen vom 7.12.1924 ein nationalsozialistisches Reichstagsmandat. Dieses hatte er bis 1932 inne. Während des NSDAP-Verbots und der Inhaftierung Hitlers führte er die „Nationalsozialistische Freiheitsbewegung“, die sich 1924 aus dem „Völkischen Block“ gebildet hatte und als Ersatzorganisation der NSDAP diente. Nach deren Neugründung 1925 war S. bis 1929 Gauleiter für Niederbayern. Er organisierte die Partei in Nord- und Westdeutschland und leitete ihre Propaganda. In Hannover initiierte er 1925 die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Nord-West“, in der sich nord- und westdeutsche Gauleiter zusammenfanden. Auf diese Weise schuf er sich eine eigene Machtbasis. Die Denkweise S.s wurde stark von seinem Bruder Otto beeinflusst, der mit ziemlicher Sicherheit viele von dessen Reden und Zeitungsartikeln verfasst hat. Jedoch war S. im Gegensatz zu seinem Bruder eher Realpolitiker und befürwortete auch politische Koalitionsbildungen für die NSDAP. – Das ideologische Programm S.s unterschied sich zumindest in der Akzentuierung von demjenigen Hitlers. Es sah einen gegen Kapitalismus und Materialismus gerichteten völkischen, „deutschen Sozialismus“ vor, der sich verstärkt um eine Einbindung der Arbeiterschaft sowie um eine außenpolitische Ost-Orientierung bemühte. Gleichwohl war es ebenfalls antisemitisch, auf die Zerstörung des Weimarer Systems und die Revision des Versailler Vertrags ausgerichtet. Mit seinem Bruder sowie mit
Joseph Goebbels unterstützte S. 1925 eine Kampagne zur Enteignung deutscher Fürstenhäuser. – Goebbels arbeitete zunächst auf S.s Seite und wurde im Oktober 1925 Schriftleiter der „Nationalsozialistischen Briefe“. Auf der von Hitler am 14.2.1926 einberufenen Bamberger Führertagung geriet die Gruppe um S. jedoch in die Defensive. Goebbels wechselte daraufhin auf die Seite Hitlers. Dennoch hatte S. weiterhin hohe Parteiämter inne und war ab 1926 Propagandaleiter der NSDAP, bevor er 1928 Reichsorganisationsleiter wurde. – S. erkannte aufgrund der starken NSDAP-Präsenz die Bedeutung Sachsens und versuchte, hier politischen Einfluss zu nehmen. Hochburgen waren das Vogtland, Dresden und Leipzig. Im Landtag betätigte sich die NSDAP als Mehrheitsbeschaffer. Nach den Wahlen vom 12.5.1929 scheiterte zunächst der Versuch unter Hellmuth von Mücke, die Möglichkeit einer gemeinsamen Koalition mit SPD und KPD zu sondieren. Zwar wurden mit Unterstützung der NSDAP die Ministerpräsidenten Wilhelm Bünger und Walter Schieck (beide DVP) gewählt, aber auch wieder gestürzt. Bei den Landtagswahlen vom 22.6.1930 gewann die NSDAP über 14% der Stimmen, konnte S. jedoch nicht als Innenminister durchsetzen und blieb weiterhin in der Opposition. Der innerhalb der sächsischen NSDAP verbreitete „Sächsische Beobachter“ hatte sich bereits 1929 gegen die Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung gewandt. Diese politische Vorgehensweise teilte S. jedoch nicht. Dagegen sah sein Bruder durch eine Regierungsbeteiligung die „sozialrevolutionären“ Ziele in Gefahr. Ferner kamen tief greifende Differenzen mit Hitler über einen „sozialrevolutionären“ Kurs hinzu. Während Otto Straßer 1930 mit einigen Mitarbeitern aus der NSDAP austrat, distanzierte sich S. in dieser innerparteilich schwierigen Situation sowohl von seinem Bruder als auch vom Kampf-Verlag. Intern hatte er jedoch keinen Zweifel an seinen republikzerstörenden Intentionen gelassen: Das Amt des sächsischen Innenministers hätte ihm dazu dienen sollen, am Zusammenbruch des politischen Systems mitzuwirken. S.s hohe Popularität in Sachsen zeigt sich auch in der 1932 erfolgten Einweihung des „Gregor-Strasser-Hauses“ in Dresden, das als NSDAP-Geschäftsstelle diente. – Auf Reichsebene trat S. 1932 für eine nationalsozialistische Regierungsbeteiligung unter Reichskanzler
Kurt von Schleicher ein. Dieser bot ihm am 4.12.1932 das Amt des Vizekanzlers an. Doch nun kam es zum endgültigen Bruch mit Hitler, in dessen Folge er sämtliche Parteiämter niederlegte. S. wurde im Zuge des sog. „Röhm-Putschs“ am 30.6.1934 von der Gestapo erschossen. – Die politischen Ansichten sowie das Schicksal der Brüder Straßer beeinflussen bis heute die rechtsextreme Ideologie.
Werke Das Hitler-Büchlein, Berlin 1928; Freiheit und Brot, Berlin 1929; Hammer und Schwert, Berlin 1930; Der letzte Abwehrkampf des Systems, München 1931; Kampf um Deutschland, München 1932; Die Staatsidee des Nationalsozialismus, München 1932; Das wirtschaftliche Aufbauprogramm der NSDAP, Berlin 1932.
Literatur U. Kissenkoetter, Gregor S. und die NSDAP, Stuttgart 1978; P. D. Stachura, Gregor S. and the rise of Nazism, London 1983; P. Moreau, Nationalsozialismus von links, Stuttgart 1985; K. Gossweiler, Die Strasser-Legende, Berlin 1994; R. Kühnl, Die nationalsozialistische Linke 1925-1930, Meisenheim/Glam 1966; W. Benz/P. Reif-Spirek (Hg.), Geschichtsmythen, Berlin 2003; W. L. Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, München 1960; A. Wagner, „Machtergreifung“ in Sachsen, Köln 2004. – DBA II, III; DBE 9, S. 568.
Porträt H. A. Turner, Hitlers Weg zur Macht 1996, S. 80f.
Martin Schneider
14.8.2008
Empfohlene Zitierweise:
Martin Schneider, Artikel: Gregor Strasser,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9693 [Zugriff 22.11.2024].
Gregor Strasser
Werke Das Hitler-Büchlein, Berlin 1928; Freiheit und Brot, Berlin 1929; Hammer und Schwert, Berlin 1930; Der letzte Abwehrkampf des Systems, München 1931; Kampf um Deutschland, München 1932; Die Staatsidee des Nationalsozialismus, München 1932; Das wirtschaftliche Aufbauprogramm der NSDAP, Berlin 1932.
Literatur U. Kissenkoetter, Gregor S. und die NSDAP, Stuttgart 1978; P. D. Stachura, Gregor S. and the rise of Nazism, London 1983; P. Moreau, Nationalsozialismus von links, Stuttgart 1985; K. Gossweiler, Die Strasser-Legende, Berlin 1994; R. Kühnl, Die nationalsozialistische Linke 1925-1930, Meisenheim/Glam 1966; W. Benz/P. Reif-Spirek (Hg.), Geschichtsmythen, Berlin 2003; W. L. Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches, München 1960; A. Wagner, „Machtergreifung“ in Sachsen, Köln 2004. – DBA II, III; DBE 9, S. 568.
Porträt H. A. Turner, Hitlers Weg zur Macht 1996, S. 80f.
Martin Schneider
14.8.2008
Empfohlene Zitierweise:
Martin Schneider, Artikel: Gregor Strasser,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9693 [Zugriff 22.11.2024].