Gerhard Schmidt

S. war ein Archivar und Landeshistoriker, dessen umfangreiches Lebenswerk sich v.a. der sächsischen Geschichte der sog. Sattelzeit, dem Übergang von der Frühen Neuzeit zur Moderne, widmete. Seine Publikationen zu den Reformbestrebungen in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelten bis heute als Grundlagenwerke. – S. zog mit seinen aus Sachsen stammenden Eltern zunächst 1924 von Darmstadt nach Leipzig und zwei Jahre später nach Dresden. Hier besuchte er die Volksschule in Dresden-Trachau und anschließend die Dreikönigsschule in Dresden-Neustadt, die er 1939 mit dem Abitur verließ. Im Anschluss war S. im Reichsarbeitsdienst tätig, aus dem er im Dezember 1939 entlassen wurde. S. begann im folgenden Jahr Geschichte, Deutsch und Latein auf Lehramt an der Universität Leipzig zu studieren, musste jedoch sein Studium kriegsbedingt mit der im Oktober 1940 erfolgten Einberufung zur Wehrmacht abbrechen. Ab März 1941 war S. als Bodenfunker Mitglied des Jagdgeschwaders 52 und mit diesem bis zum Kriegsende hauptsächlich im Süden der Ostfront im Schwarzmeerraum im Einsatz. Sein Geschwader ergab sich am 8.5.1945 in der Tschechoslowakei bei Pisek (tschech. Písek) und S. kam nach kurzer amerikanischer in sowjetische Kriegsgefangenschaft nach Nikolajew (ukrain. Mykolajiw) in der Ukraine. Aus dieser wurde er bereits Mitte Oktober 1945 aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands entlassen. – S. ging zurück nach Dresden, wo er zunächst in Radebeul als Neulehrer tätig war, ehe er - nach der Wiedereröffnung der Universität Leipzig im Frühjahr 1946 - sein Studium fortsetzte und selbiges im Sommer 1949 abschloss. Im Anschluss folgte seine germanistische Dissertation über „Die Darstellung des Herrschers in deutschen Epen des Mittelalters“, mit der er im Juni 1951 bei Theodor Frings und Walter Baetke promoviert wurde. Während seiner Promotionszeit war S. 1950 bis 1952 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Erarbeitung des von Frings betreuten „Deutschen Wörterbuchs“ an der Deutschen Akademie der Wissenschaften der DDR beschäftigt. – Nachdem S. zunächst einen germanistischen Berufsweg eingeschlagen hatte, wandte er sich aus eigenem Antrieb heraus wieder der Geschichte zu. Er begann nach Abschluss seiner Promotion 1952 am Sächsischen Landeshauptarchiv in Dresden als freier Mitarbeiter zu arbeiten. 1953 bis 1955 folgte die Ausbildung zum wissenschaftlichen Archivar am Potsdamer Institut für Archivwissenschaft, nach dessen Abschluss S. ab September 1955 als wissenschaftlicher Archivar im Landeshauptarchiv Dresden tätig wurde. 1959 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Archivdienst 1975 hatte er die Stelle eines Abteilungsleiters inne, zuletzt (seit 1966) für die Abteilung „Kapitalismus (1831-1945)“, was auch für seinen Forschungsschwerpunkt von Bedeutung sein sollte. Ebenso wie S. während der NS-Zeit nie NSDAP-Mitglied wurde, trat er auch in der DDR nicht in die SED ein. Als Parteiloser wurde er - wie z.B. auch Karlheinz Blaschke - durch den Archivdirektor Horst Schlechte gefördert, aber v.a. auch protegiert. In archivalischer Hinsicht ist insbesondere seine bereits 1952/1953 begonnene „Kartei der politisch Verfolgten der Jahre 1830 bis 1867“ zu erwähnen, die später zum wichtigen Archivhilfsmittel mit über 35.000 Karteikarten werden sollte. – Neben der Ordnung der Bestände nutzte S. die Nähe zu den Quellen für eigene historische Forschungen, was sich in zahlreichen Beiträgen mit landesgeschichtlichem Bezug niederschlug. Einen Schwerpunkt bildete dabei die Verfassungsgeschichte sowie die Behörden- und Verwaltungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, wobei er sich v.a. der Staatsreform von 1831 widmete. Seine zwei hierzu publizierten Monografien „Die Staatsreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (1966) und „Reformbestrebungen in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (1969) gelten bis heute als Grundlagenwerke für die Darstellung der sächsischen Geschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch sein 1977 publizierter Beitrag „Der Sächsische Landtag 1833-1918. Sein Wahlrecht und seine soziale Zusammensetzung“, der 1990 aus Anlass der konstituierenden Sitzung des wiedergegründeten Sächsischen Landtags erneut publiziert wurde. Weitere Forschungsthemen, die S. bearbeitete, waren u.a. das späte Mittelalter, die Geschichte der Regierung Kaiser Karls IV. sowie die sächsische Kirchengeschichte. Gerade für letztere engagierte sich S. jahrzehntelang in der Arbeitsgemeinschaft für Sächsische Kirchengeschichte, zu deren Vorstand er gehörte und deren Dresdner Regionalgruppe er 1968 bis 1991 leitete. Zu seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten gehörte auch die Mitgliedschaft bei der AG Heimatpflege im Kulturbund der DDR sowie 1961 bis 1965 beim Arbeitskreis Heimatgeschichte, Denkmalpflege, Naturschutz, der von dem Dresdner Arzt Georg Ernst geleitet wurde. Weitere Mitgliedschaften bestanden im Hansischen Geschichtsverein (1957-1985) und in der Historiker-Gesellschaft der DDR (1970-1990). Diese Mitgliedschaften verdeutlichen sein großes Interesse für die Heimat- und Ortsgeschichte, ein Feld, auf dem S. auch publizistisch tätig wurde, wobei v.a. auf seine Arbeiten zur Stadtgeschichte Dresdens zu verweisen ist. Er publizierte 1976 sein mehrfach aufgelegtes Buch „Dresden & seine Kirchen“ und war zudem 1983 - gemeinsam mit Alfred Fiedler und Emil Wehnert - Autor einer Geschichte der Stadtteile des Stadtbezirks Dresden-Nord. – S. verließ 1975 das Staatsarchiv aus politischen Gründen. Er weigerte sich, sich den immer weiter verschärfenden personalpolitischen Vorschriften, denen die Staatsarchive der DDR unterlagen, zu unterwerfen. Diese Vorschriften sollten u.a. Kontakt der Archivmitarbeiter ins westliche Ausland unterbinden. Im Zuge dieser Verweigerung wurde S. bereits Ende 1974 seiner Funktion als Abteilungsleiter enthoben. Im September 1975 wechselte er daher an das Zentralinstitut für Geschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften der DDR und wurde dort Mitarbeiter an der Monumenta Germaniae Historica, wobei er v.a. am Editionsvorhaben der Urkunden Karls IV. unter Leitung von Eckhard Müller-Mertens beteiligt war. Hier arbeitete er eng mit der Historikerin Margarete Kühn zusammen. 1984 wurde er für seine Leistungen mit der Leibniz-Medaille der Akademie der Wissenschaften der DDR gewürdigt und ging 1985 in den Ruhestand.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 12815 Personennachlass Gerhard S.

Werke Die Darstellung des Herrschers in deutschen Epen des Mittelalters, Diss. Leipzig 1951 [Ms.]; mit Hellmut Kretzschmar, Dokumente zur deutschen Geschichte aus dem Sächsischen Landeshauptarchiv, Berlin 1957; Die Staatsreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine Parallele zu den Steinschen Reformen in Preußen, Weimar 1966; Reformbestrebungen in Sachsen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, Dresden 1969; Dresden & seine Kirchen, Berlin 1976, 31978; Der sächsische Landtag 1833-1918. Sein Wahlreich und seine soziale Zusammensetzung, in: Reiner Groß/Manfred Kobuch (Hg.), Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, Weimar 1977, S. 445-465 (ND in: Der Sächsische Landtag. Geschichte und Gegenwart, hrsg. vom Arbeitsstab Landtag, Dresden 1990, S. 35-47); mit Alfred Fiedler/Emil Wehnert, Der Stadtbezirk Nord der Stadt Dresden. Aus der Geschichte seiner Stadtteile, hrsg. vom Rat des Stadtbezirkes Nord, Dresden 1983; Die Kirchen in der Sächsischen Schweiz, Berlin 1990.

Literatur Reiner Groß, Gerhard S. 75 Jahre, in: Sächsische Heimatblätter 41/1995, S. 183f.; Karlheinz Blaschke, Gerhard S. zum Gedenken, in: NASG 72/2001, S. 299f.

Henrik Schwanitz
2.9.2020


Empfohlene Zitierweise:
Henrik Schwanitz, Artikel: Gerhard Schmidt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26789 [Zugriff 29.3.2024].

Gerhard Schmidt



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 12815 Personennachlass Gerhard S.

Werke Die Darstellung des Herrschers in deutschen Epen des Mittelalters, Diss. Leipzig 1951 [Ms.]; mit Hellmut Kretzschmar, Dokumente zur deutschen Geschichte aus dem Sächsischen Landeshauptarchiv, Berlin 1957; Die Staatsreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine Parallele zu den Steinschen Reformen in Preußen, Weimar 1966; Reformbestrebungen in Sachsen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, Dresden 1969; Dresden & seine Kirchen, Berlin 1976, 31978; Der sächsische Landtag 1833-1918. Sein Wahlreich und seine soziale Zusammensetzung, in: Reiner Groß/Manfred Kobuch (Hg.), Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, Weimar 1977, S. 445-465 (ND in: Der Sächsische Landtag. Geschichte und Gegenwart, hrsg. vom Arbeitsstab Landtag, Dresden 1990, S. 35-47); mit Alfred Fiedler/Emil Wehnert, Der Stadtbezirk Nord der Stadt Dresden. Aus der Geschichte seiner Stadtteile, hrsg. vom Rat des Stadtbezirkes Nord, Dresden 1983; Die Kirchen in der Sächsischen Schweiz, Berlin 1990.

Literatur Reiner Groß, Gerhard S. 75 Jahre, in: Sächsische Heimatblätter 41/1995, S. 183f.; Karlheinz Blaschke, Gerhard S. zum Gedenken, in: NASG 72/2001, S. 299f.

Henrik Schwanitz
2.9.2020


Empfohlene Zitierweise:
Henrik Schwanitz, Artikel: Gerhard Schmidt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26789 [Zugriff 29.3.2024].