Gerhard Schill

S. war von 1961 bis 1986 Oberbürgermeister von Dresden. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit war die Umgestaltung Dresdens zur „sozialistischen Großstadt“. – S. verbrachte seine Kindheit und Jugend in Chemnitz. Nach dem Besuch der Volksschule schloss er 1942 die Ausbildung als Kaufmannsgehilfe ab und arbeitete dann in seinem Lehrbetrieb, der Auto Union AG. Er war Mitglied der Hitlerjugend und ab 20.4.1943 der NSDAP. Im Juli 1943 zur Wehrmacht einberufen, kämpfte er an der Ostfront. In den letzten Kriegstagen kehrte er nach Chemnitz zurück. Anfang 1946 beantragte er seine Mitgliedschaft in der SPD, aufgenommen wurde er nach der Vereinigung von KPD und SPD in die SED. – Ende 1945 hatte S. nach verschiedenen Tätigkeiten ins Präsidium Chemnitz der Deutschen Volkspolizei gewechselt, ab 1948 war er Personalbearbeiter in der Vereinigung Volkseigener Betriebe Technische Eisenwaren Chemnitz. Nach einem Studium an der Deutschen Verwaltungsakademie Forst-Zinna arbeitete er ab 1950 in der Landesregierung Sachsen in Dresden und ab 1952 bis zu deren Auflösung im Juli als Persönlicher Referent von Ministerpräsident Max Seydewitz. 1952 bis 1958 war S. Vorsitzender der Plankommission beim Rat des Bezirkes Dresden und schloss ein Fernstudium als Diplom-Wirtschaftler ab. Seit 1956 Mitglied der SED-Bezirksleitung Dresden, wurde er 1958 deren hauptamtlicher Sekretär für Wirtschaftspolitik. Auf Vorschlag der SED-Bezirksleitung Dresden sowie nach Bestätigung durch das Sekretariat des Zentralkomitees der SED und den Ministerrat der DDR wählten ihn die Stadtverordneten am 14.6.1961 nach der Ablösung Herbert Gutes einstimmig zum Oberbürgermeister der Stadt Dresden; bis 1984 wurde er mehrfach wiedergewählt. Als Oberbürgermeister gehörte S. dem Rat der Stadt an und war dessen Vorsitzender. Auch darüber hinaus war er als Mitglied des Sekretariats der SED-Stadtleitung und der SED-Bezirksleitung Dresden sowie als Abgeordneter in der Stadtverordnetenversammlung und im Bezirkstag fest eingebunden in das System von Partei und staatlichen Organen. Zentrale Vorgaben regelten seine Aufgaben und Arbeitsweise. So hatte S. die Umsetzung von Beschlüssen der SED sowie der höheren staatlichen Organe zu gewährleisten. Unter seiner Amtsführung sollte sich die Bezirksstadt Dresden zur sozialistischen Großstadt entwickeln. Alljährlich begründete S. vor den Stadtverordneten den Volkswirtschafts- und Haushaltsplan, in dem die allgemeinen Vorgaben des Siebenjahrplans bzw. der folgenden Fünfjahrpläne für Dresden konkretisiert waren. Als ab 1961 die SED und die Regierung der DDR verstärkt auf die Bewältigung ökonomischer Probleme drängten, erhielt Dresden als Wirtschaftsstandort eine größere Bedeutung. Außer allgemeiner Steigerung der Produktion sollten zusätzliche Konsumgüter hergestellt werden. In diesem Sinne wurde S. vor Ort wirksam. 1961 erklärten SED-Politbüro und DDR-Ministerrat den Aufbau des Dresdner Stadtzentrums zum besonderen Staatsplanvorhaben, das ursprünglich bis 1965, dann bis 1970 abzuschließen war. S. versuchte bei vielen Entscheidungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen zu vermitteln, hatte sich aber letztendlich den Parteivorgaben zu fügen. Als nach dem VIII. Parteitag der SED 1971 das Baugeschehen in der DDR auf den Wohnungsbau konzentriert wurde, entstanden in Dresden u.a. Neubaugebiete in den Ortsteilen Leuben, Johannstadt, Prohlis und Gorbitz. Aber eine Lösung der Wohnungsprobleme ließen die zunehmende Einwohnerzahl (1961 ca. 491.700, 1985 ca. 519.800) und der fortschreitende Verfall der Altbausubstanz nicht zu. Auch die Errichtung von Industrie-, Verkehrs- und Kulturbauten in Dresden erfolgte auf Anregung bzw. mit Genehmigung und entsprechender Einflussnahme „von oben“. S. hatte die jeweiligen Auffassungen durchzusetzen, so beim Aufbau des Kulturpalasts (1969) und beim Wiederaufbau der Semperoper (1985). Dem Kulturleben der Stadt stand S. aufgeschlossen gegenüber. In seiner Amtszeit wurden 1971 das Dixieland- und das Schlagerfestival, 1972 das Tanzfestival und 1978 die Musikfestspiele begründet. Außerdem fanden in Dresden Kunstausstellungen der DDR und andere bedeutende Ausstellungen statt. Die Dresdner Museen, insbesondere die Staatlichen Kunstsammlungen, sowie die Philharmonie, die Staatskapelle, der Kreuzchor, die Theater und eine Vielzahl historischer Sehenswürdigkeiten wahrten und mehrten den Ruf Dresdens als Kunst- und Kulturstadt. – In den 1970er-Jahren nahm in Dresden - wie auch andernorts - die Unzufriedenheit besonders der Künstler und der Intelligenz zu. Das zeigte sich u.a. in einer wachsenden Zahl von Eingaben an den Oberbürgermeister. Mit einer ersten größeren Protestaktion von annähernd 5.000 Jugendlichen und der Forderung nach Gewährung international vereinbarter Menschenrechte sahen sich S. und die Dresdner Partei- und Staatsorgane am 13.2.1982 anlässlich eines Friedensforums in der Kreuzkirche konfrontiert. – S. übernahm auch Aufgaben im internationalen Rahmen. So war er ab 1964 Mitglied in der Weltföderation der Partnerstädte (1970-1977 Mitglied des Ständigen Büros, 1977-1986 Mitglied des Internationalen Rats und Vizepräsident). Dabei hielt er ständigen Kontakt mit der Liga für Völkerfreundschaft der DDR. Auch die 1962 bis 1974 alle zwei Jahre in Dresden stattgefundenen Kolloquien europäischer Bürgermeister und Kommunalpolitiker waren eng mit dem Wirken von S. verbunden. Seine Teilnahme an größeren Veranstaltungen der SED (u.a. als Parteitags-Delegierter), der Nationalen Front und anderer Massenorganisationen war ebenso selbstverständlich wie sein Vorsitz in Wahlausschüssen. S. wurde mehrfach ausgezeichnet, z.B. mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Bronze (1969), Silber (1974) und Gold (1985) sowie dem Orden Banner der Arbeit, Stufe I (1980). – Die Amtszeit S.s war bestimmt von politischen Vorgaben der SED, die er mit ruhigem, sachlichem Arbeitsstil und klarer persönlicher Haltung ohne Hang zum Dogmatismus zu erfüllen suchte. Doch viele, v.a. durch Widersprüche in der gesellschaftlichen Entwicklung der DDR bedingte, in Dresden immer größer werdende Probleme mussten für S. unlösbar bleiben. Seine Abwahl „aus gesundheitlichen Gründen“ erfolgte in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 16.1.1986. Er blieb deren Abgeordneter und Mitglied der SED-Bezirksleitung Dresden. 1990 wurde er Mitglied der Partei des Demokratischen Sozialismus, eine Funktion übernahm er nicht mehr.

Quellen Bundesarchiv Berlin, ZK der SED; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, SED-Bezirks- und Stadtleitung Dresden; Stadtarchiv Dresden, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt 1953-1990; Unterlagen zu S., Privatbesitz.

Werke Einige Erfahrungen aus der staatlichen Leitungstätigkeit beim Aufbau des Stadtzentrums von Dresden, in: Sozialistische Demokratie 4.5.1962, S. 8; Auferstanden aus Ruinen, in: Sächsische Zeitung 4.7.1969, Sonderausgabe, S. 2; Erfahrungen und Probleme bei der weiteren Erhöhung der Rolle der Arbeiterklasse in der Tätigkeit der Volksvertretungen und ihrer Organe in der Stadt Dresden, in: Staat und Recht 24/1975, S. 602-614; Schöne Wohngebiete für unsere Bürger, in: Architektur der DDR 24/1975, S. 335; Rede auf dem Nürnberger Friedensgespräch, in: Nürnberger Friedensgespräch, hrsg. vom SPD-Vorstand, Bonn 1985, S. 26f.

Literatur C. Hermann, Oberbürgermeister der Stadt Dresden Herbert Gute, Gerhard S., Wolfgang Berghofer, in: Dresdner Geschichtsbuch, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Bd. 10, Altenburg 2004, S. 201-224. – DBA III; G. Baumgartner/D. Hebig (Hg.), Biographisches Handbuch der SBZ/DDR 1945-1990, Bd. 2, München 1997, S. 773; G. Buch, Namen und Daten wichtiger Personen der DDR, Berlin/Bonn 1982, S. 270.

Porträt G. Hübner, Fotografie, Archiv der Sächsischen Zeitung; Gerhard S., Oberbürgermeister von Dresden am Arbeitsplatz, E. Höhne/E. Pohl, 1979, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Christel Hermann
9.5.2011


Empfohlene Zitierweise:
Christel Hermann, Artikel: Gerhard Schill,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9916 [Zugriff 2.11.2024].

Gerhard Schill



Quellen Bundesarchiv Berlin, ZK der SED; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, SED-Bezirks- und Stadtleitung Dresden; Stadtarchiv Dresden, Stadtverordnetenversammlung und Rat der Stadt 1953-1990; Unterlagen zu S., Privatbesitz.

Werke Einige Erfahrungen aus der staatlichen Leitungstätigkeit beim Aufbau des Stadtzentrums von Dresden, in: Sozialistische Demokratie 4.5.1962, S. 8; Auferstanden aus Ruinen, in: Sächsische Zeitung 4.7.1969, Sonderausgabe, S. 2; Erfahrungen und Probleme bei der weiteren Erhöhung der Rolle der Arbeiterklasse in der Tätigkeit der Volksvertretungen und ihrer Organe in der Stadt Dresden, in: Staat und Recht 24/1975, S. 602-614; Schöne Wohngebiete für unsere Bürger, in: Architektur der DDR 24/1975, S. 335; Rede auf dem Nürnberger Friedensgespräch, in: Nürnberger Friedensgespräch, hrsg. vom SPD-Vorstand, Bonn 1985, S. 26f.

Literatur C. Hermann, Oberbürgermeister der Stadt Dresden Herbert Gute, Gerhard S., Wolfgang Berghofer, in: Dresdner Geschichtsbuch, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Bd. 10, Altenburg 2004, S. 201-224. – DBA III; G. Baumgartner/D. Hebig (Hg.), Biographisches Handbuch der SBZ/DDR 1945-1990, Bd. 2, München 1997, S. 773; G. Buch, Namen und Daten wichtiger Personen der DDR, Berlin/Bonn 1982, S. 270.

Porträt G. Hübner, Fotografie, Archiv der Sächsischen Zeitung; Gerhard S., Oberbürgermeister von Dresden am Arbeitsplatz, E. Höhne/E. Pohl, 1979, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Christel Hermann
9.5.2011


Empfohlene Zitierweise:
Christel Hermann, Artikel: Gerhard Schill,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9916 [Zugriff 2.11.2024].