Georg Stöckhardt

S. stammte aus einer alten sächsischen Pfarrerfamilie, die über fünf Generationen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Pfarrstelle in Röhrsdorf bei Meißen innehatte. 1857 bis 1862 besuchte S. die Fürstenschule St. Afra in Meißen. Anschließend studierte er bis 1866 Theologie in Erlangen und Leipzig. In Leipzig gehörte er zu den Gründern der Ortsgruppe der christlichen Studentenverbindung „Wingolf“. Zu Ostern 1866 legte er sein Erstes theologisches Examen ab. Danach war er von Anfang 1867 bis 1870 Lehrer am Luisenstift in Tharandt. Im Mai 1868 bestand er das Zweite theologische Examen vor dem Konsistorium in Dresden. Im Juni 1870 übernahm er eine Stelle als Hilfsprediger an der deutschen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Paris (bei Pastor Louis Eugène Menegoz), musste jedoch bereits Anfang September desselben Jahrs als Deutscher das belagerte Paris wieder verlassen. Er geriet auf der Rückreise auf das Schlachtfeld von Sedan, wo er drei Monate lang als Lazarettprediger tätig war. Von Herbst 1871 bis 1873 wirkte er als Repetent für Altes und Neues Testament an der Theologischen Fakultät in Erlangen. In dieser Zeit schrieb er seine Licentiaten-Dissertation über den Menschensohn-Titel bei Jesus, die zwar zunächst in Erlangen nicht angenommen wurde, aber dann in Leipzig Anerkennung fand. – Im Sommer 1873 bewarb sich S. um eine Diakonus-Stelle in Planitz bei Zwickau, wo er am 26.10.1873 in das Predigtamt ordiniert wurde. Neben Pfarrer Karl Wilhelm Winkler hatte S. die zweite Pfarrstelle in der durch den Kohlenbergbau stark expandierenden Parochie inne. Seine Bemühungen um persönliche Seelsorge und um ein in der Praxis gelebtes Christentum führten schon bald zum Konflikt mit seinen kirchlichen Vorgesetzten. Der Streit eskalierte, als die Dresdner Kirchenleitung im Zusammenhang mit der bevorstehenden Einführung der Zivilstandsgesetze den Pfarrern jegliche Maßnahmen gegenüber „Tauf- und Trauungsverächtern“ untersagte. Zusammen mit anderen Pfarrern und Laien protestierte S. dagegen und wandte sich mit ihnen 1876 in mehreren Petitionen an das Landeskonsistorium, um den weiteren Verfall kirchlicher Ordnung aufzuhalten. Am Ende weigerte er sich, die entsprechenden Verordnungen einzuhalten. Am 8.6.1876 wurde in Dresden seine Suspension vom Amt angeordnet, woraufhin S. am 14.6.1876 seinen Austritt aus der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens erklärte. Er schloss sich der Evangelisch-Lutherischen Freikirche an und wurde von der separierten evangelisch-lutherischen St. Johannesgemeinde in Niederplanitz am 18.6.1876 zu deren zweitem Pastor (neben Friedrich Ruhland) berufen. – Die Evangelisch-Lutherische Freikirche berief S. im August 1876 auch in ihren Synodalrat. Ab Juli 1876 gab er zusammen mit dem Buchdrucker Johannes Herrmann die Kirchenzeitung „Die Evangelisch-Lutherische Freikirche“ heraus. Seine offene Kritik an den landeskirchlichen Zuständen brachte ihm 1878 eine gerichtliche Klage wegen Gotteslästerung und Beleidigung des Landeskonsistoriums ein. Das Verfahren ging durch drei Instanzen und endete am 12.5.1879 mit einer Verurteilung S.s zu vier Monaten Gefängnis. Diese Strafe verbüßte er jedoch nicht, weil er bereits im September 1878 die Berufung in ein Pfarramt der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Missouri-Synode in den USA angenommen und Deutschland verlassen hatte. – In St. Louis wurde S. zunächst Pastor an der Kreuzkirche und übernahm außerdem einen Lehrauftrag für Altes und Neues Testament am Theologischen Concordia-Seminar der Missouri-Synode. Nach dem Tod von Carl Ferdinand Wilhelm Walther wurde ihm die Professur für Altes und Neues Testament übertragen. Als Ergebnis seiner Lehrtätigkeit erschien aus seiner Feder in den Jahren nach 1900 eine Reihe von Kommentaren zu biblischen Büchern (z.B. Römerbrief, Epheserbrief, 1. Petrusbrief), die S. als vorzüglichen Exegeten ausweisen. Er war stets bemüht, den Textaussagen sprachlich und historisch gerecht zu werden und zugleich die traditionelle Auslegung und den gegenwärtigen Diskussionsstand im Blick zu behalten. Besondere Verdienste erwarb er sich auch durch seine Initiative zur Neuherausgabe der Luther-Ausgabe von Johann Georg Walch, die sämtliche Schriften Martin Luthers und zahlreiche Reformationsdokumente in 23 Bänden enthält. Lateinische Texte sind durchgehend ins Deutsche übersetzt. Die Ausgabe erschien 1880 bis 1910 in St. Louis, wobei Albert Friedrich Hoppe ab 1886 als Herausgeber fungierte.

Quellen Pfarrarchiv Lukaskirche Zwickau-Planitz, Acten, die Besetzung des I. Diaconats betr., 1869-1918, A II,1-4, Acten über Austritte aus der Landeskirche und Rücktritte in dieselbe, A. Altlutheraner (1871-1915), B VII,2, Protokolle des Kirchenvorstandes zu Planitz, 1868-1876, E I,1, Verordnungsblatt des Evangelisch-Lutherischen Landeskonsistoriums für das Königreichs Sachsen vom 29.6.1876, Nr. 10, S. 45-101; Archiv St. Johanneskirche Zwickau-Planitz, Kirchenchronik, Kurze Nachricht über die evangelisch-lutherische St. Johannes-Gemeinde u.A.C. zu Niederplanitz im Königreich Sachsen, 1875.

Werke Die heilsame Lehre, Zwickau 1875; Civilehe und Kirchenzucht, Zwickau 1875; Flugblatt für bekenntnistreue Lutheraner der Sächsischen Landeskirche 1876 (3 Nummern); Zustand und Zukunft der Sächsischen Landeskirche, Zwickau 1876; Passionspredigten, St. Louis 1885; Adventspredigten, Auslegung der vornehmsten Weissagungen des Alten Testaments, St. Louis 1887; Die kirchlichen Zustände Deutschlands, Zwickau 1892; Die biblische Geschichte des Alten Testaments, St. Louis 1897; Die biblische Geschichte des Neuen Testaments, St. Louis 1899; Commentar über den Propheten Jesaja (Kap. 1-12), St. Louis 1902; Commentar über den Brief Pauli an die Römer, St. Louis 1907; Kommentar über den Brief Pauli an die Epheser, St. Louis 1910; Kommentar über den Ersten Brief Petri, St. Louis 1912; Das Schlachtfeld von Sedan, Zwickau 1914; Ausgewählte Psalmen ausgelegt, St. Louis 1915.

Literatur O. Willkomm, D. th. Georg S., Zwickau 1914 (P); G. C. Schneider, Karl Georg S., in: Afranisches Ecce 18/1913, S. 61-69; Zur theologischen Bedeutung S.s für die lutherische Kirche in Amerika, in: Theologische Quartalsschrift 11/1914, S. 179-186; G. Herrmann, Lutherische Freikirche in Sachsen, Berlin 1985, S. 208-254; D. Woodring, K. G. S. His life and labor, in: Concordia Historical Institute Quarterly 72/1999, H. 1, S. 46-63. – R. Grünberg, Sächsisches Pfarrerbuch, Bd. 2/2, Freiberg 1940, S. 910.

Gottfried Herrmann
8.1.2013


Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Herrmann, Artikel: Georg Stöckhardt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17910 [Zugriff 7.11.2024].

Georg Stöckhardt



Quellen Pfarrarchiv Lukaskirche Zwickau-Planitz, Acten, die Besetzung des I. Diaconats betr., 1869-1918, A II,1-4, Acten über Austritte aus der Landeskirche und Rücktritte in dieselbe, A. Altlutheraner (1871-1915), B VII,2, Protokolle des Kirchenvorstandes zu Planitz, 1868-1876, E I,1, Verordnungsblatt des Evangelisch-Lutherischen Landeskonsistoriums für das Königreichs Sachsen vom 29.6.1876, Nr. 10, S. 45-101; Archiv St. Johanneskirche Zwickau-Planitz, Kirchenchronik, Kurze Nachricht über die evangelisch-lutherische St. Johannes-Gemeinde u.A.C. zu Niederplanitz im Königreich Sachsen, 1875.

Werke Die heilsame Lehre, Zwickau 1875; Civilehe und Kirchenzucht, Zwickau 1875; Flugblatt für bekenntnistreue Lutheraner der Sächsischen Landeskirche 1876 (3 Nummern); Zustand und Zukunft der Sächsischen Landeskirche, Zwickau 1876; Passionspredigten, St. Louis 1885; Adventspredigten, Auslegung der vornehmsten Weissagungen des Alten Testaments, St. Louis 1887; Die kirchlichen Zustände Deutschlands, Zwickau 1892; Die biblische Geschichte des Alten Testaments, St. Louis 1897; Die biblische Geschichte des Neuen Testaments, St. Louis 1899; Commentar über den Propheten Jesaja (Kap. 1-12), St. Louis 1902; Commentar über den Brief Pauli an die Römer, St. Louis 1907; Kommentar über den Brief Pauli an die Epheser, St. Louis 1910; Kommentar über den Ersten Brief Petri, St. Louis 1912; Das Schlachtfeld von Sedan, Zwickau 1914; Ausgewählte Psalmen ausgelegt, St. Louis 1915.

Literatur O. Willkomm, D. th. Georg S., Zwickau 1914 (P); G. C. Schneider, Karl Georg S., in: Afranisches Ecce 18/1913, S. 61-69; Zur theologischen Bedeutung S.s für die lutherische Kirche in Amerika, in: Theologische Quartalsschrift 11/1914, S. 179-186; G. Herrmann, Lutherische Freikirche in Sachsen, Berlin 1985, S. 208-254; D. Woodring, K. G. S. His life and labor, in: Concordia Historical Institute Quarterly 72/1999, H. 1, S. 46-63. – R. Grünberg, Sächsisches Pfarrerbuch, Bd. 2/2, Freiberg 1940, S. 910.

Gottfried Herrmann
8.1.2013


Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Herrmann, Artikel: Georg Stöckhardt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17910 [Zugriff 7.11.2024].