Georg Witkowski

Nach seiner Promotion an der Münchner Universität 1886 kehrte W. nach Leipzig zurück, wo sich die Familie 1871 niedergelassen hatte. Bereits drei Jahre später habilitierte er sich an der dortigen Universität mit einer „Geschichte der anakreontischen Dichtung in Deutschland“ für deutsche Sprache und Literatur. W. lehrte in Leipzig zunächst als Privatdozent, bis er 1896 zum außeretatmäßigen Professor ernannt wurde. Im akademischen Unterricht setzte er sich v.a. mit der Geschichte des deutschen Dramas auseinander, auch der Renaissance- und Barock-Dichtung sowie der Literatur des 18. Jahrhunderts. Besonders Gotthold Ephraim Lessing widmete er wiederholt Vorlesungen. Zu seinen Schülern zählten u.a. Friedrich Michael, Anton Kippenberg und Erich Kästner. Aus W.s zahlreichen Veröffentlichungen ist seine „Geschichte des literarischen Lebens in Leipzig“ (1909) hervorzuheben, die bis heute als eine wichtige Quelle lokalhistorischer Forschung gilt. – W.s akademische Karriere wurde aufgrund seiner jüdischen Herkunft behindert: Erst 1919 berief ihn das sächsische Ministerium für Volksbildung zum außerordentlichen Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Leipzig. Zum Ordinarius wurde er 1930 ernannt, allerdings nicht verbeamtet. Auch nach seiner Emeritierung im folgenden Jahr erhielt W. wiederholt Lehraufträge an der Universität, die er bis zur nationalsozialistischen „Machtergreifung“ wahrnahm. Am 29.9.1933 verlor er aufgrund von § 3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums seinen Lehrauftrag. 1934 wurde ihm das Ruhegehalt entzogen. Über das Ausmaß der nationalsozialistischen Schikanen äußerte sich W. in seiner 2003 erschienenen Autobiografie „Von Menschen und Büchern“ nur sehr zurückhaltend, obwohl ihn 1937 die Gestapo für kurze Zeit in Haft genommen hatte. Schließlich verließ er Anfang Mai 1939 Deutschland und emigrierte in die Niederlande, wo er kurz darauf starb. – Neben seiner akademischen Lehrtätigkeit galt W.s Interesse dem Sammeln seltener Drucke. Er war 1899 an der Gründung der „Gesellschaft der Bibliophilen“ beteiligt, deren stellvertretenden Vorsitz er mehr als 30 Jahre inne hatte. Das Vereinsorgan, die „Zeitschrift für Bücherfreunde“, gab er 1909 bis 1933 heraus. Auch auf lokaler Ebene widmete sich W. der Bibliophilie und übernahm 1905 bis 1911 den Vorsitz des „Leipziger Bibliophilenabends“. – Den Austausch über sein anderes großes Interessengebiet, das Theater, suchte W. ebenfalls außerhalb der Universität in theaterhistorischen Gesellschaften. Er war langjähriges Vorstandsmitglied der „Gesellschaft für Theatergeschichte“ und Mitglied der „Vereinigung künstlerischer Bühnenvorstände”. So unterstützte er deren letztlich gescheiterte Pläne zum Aufbau einer Regieschule; die in Aussicht genommene Leipziger Filiale sollte W. gemeinsam mit Ernst Lert und Max Martersteig, mit dem er eng befreundet war, leiten. Zu Unrecht ist dieser Aspekt seiner theaterhistorischen und -wissenschaftlichen Tätigkeit von der biografischen bzw. fachgeschichtlichen Forschung bisher vernachlässigt worden. – Zudem war W. als Sachverständiger in Prozessen wegen Verstoßes gegen § 184 StGB, dem sog. Schund-und-Schmutz-Paragraphen, tätig. So fungierte er 1921 als Gutachter der Verteidigung im Prozess um die Aufführung von Arthur Schnitzlers „Reigen“ am Kleinen Schauspielhaus Berlin. – Für seine Verdienste um Wissenschaft und Kunst verlieh ihm Reichspräsident Paul von Hindenburg 1932 die Goethe-Medaille. Wenn auch W.s Leistungen auf dem Gebiet der Germanistik nicht als eigentlich bahnbrechend zu bezeichnen sind, bleibt doch seine fast vier Jahrzehnte währende Lehrtätigkeit an der Universität Leipzig ebenso zu würdigen wie seine reiche wissenschaftliche Wirksamkeit in vielen Bereichen der Kunst und Literatur.

Quellen Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Personalakte Georg W.

Werke Die Anfänge des deutschen Theaters, Leipzig 1898; Das deutsche Drama des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1904, 51923; Geschichte des literarischen Lebens in Leipzig, Leipzig 1909; Miniaturen, Leipzig 1922; Textkritik und Editionstechnik neuerer Schriftwerke, ein methodologischer Versuch, Leipzig 1924; (Hg.) Zeitschrift für Bücherfreunde, 1909-1933; Von Menschen und Büchern. Erinnerungen 1863-1933, Leipzig 2003 (P).

Literatur W. Heine (Hg.), Der Kampf um den Reigen, Berlin 1922; A. R. Hohlfeld, Georg W., in: Monatshefte für deutschen Unterricht 31/1939, Nr. 7, S. 353f.; F. Michael, Georg W., in: H. Maas (Hg.), Den Unvergessenen. Opfer des Wahns 1933 bis 1945, Heidelberg 1952, S. 66-69; W. Dietze, Georg W. (1863-1939), Leipzig 1973; K. Krüger, Die germanistische Literaturwissenschaft an der Leipziger Universität zwischen 1843 und 1924, Leipzig 1990. – DBA II, III; C. König (Hg.), Internationales Germanistenlexikon 1800-1950, Bd. 3, Berlin/New York 2003, S. 2048-2050.

Corinna Kirschstein
16.12.2005


Empfohlene Zitierweise:
Corinna Kirschstein, Artikel: Georg Witkowski,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18019 [Zugriff 18.4.2024].

Georg Witkowski



Quellen Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Personalakte Georg W.

Werke Die Anfänge des deutschen Theaters, Leipzig 1898; Das deutsche Drama des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1904, 51923; Geschichte des literarischen Lebens in Leipzig, Leipzig 1909; Miniaturen, Leipzig 1922; Textkritik und Editionstechnik neuerer Schriftwerke, ein methodologischer Versuch, Leipzig 1924; (Hg.) Zeitschrift für Bücherfreunde, 1909-1933; Von Menschen und Büchern. Erinnerungen 1863-1933, Leipzig 2003 (P).

Literatur W. Heine (Hg.), Der Kampf um den Reigen, Berlin 1922; A. R. Hohlfeld, Georg W., in: Monatshefte für deutschen Unterricht 31/1939, Nr. 7, S. 353f.; F. Michael, Georg W., in: H. Maas (Hg.), Den Unvergessenen. Opfer des Wahns 1933 bis 1945, Heidelberg 1952, S. 66-69; W. Dietze, Georg W. (1863-1939), Leipzig 1973; K. Krüger, Die germanistische Literaturwissenschaft an der Leipziger Universität zwischen 1843 und 1924, Leipzig 1990. – DBA II, III; C. König (Hg.), Internationales Germanistenlexikon 1800-1950, Bd. 3, Berlin/New York 2003, S. 2048-2050.

Corinna Kirschstein
16.12.2005


Empfohlene Zitierweise:
Corinna Kirschstein, Artikel: Georg Witkowski,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18019 [Zugriff 18.4.2024].