Franz Magnus Böhme
Die schon früh erkennbare musikalische Begabung des Bauernsohns wurde vom Kantor seines Geburtsorts gefördert, der ihm Klavier-, Orgel-, Violinen- und Gesangsunterricht erteilte. Da B. die Mittel für ein Musikstudium fehlten, besuchte er zunächst 1842 bis 1846 das Lehrerseminar in Weimar; danach war er bis 1857 als Lehrer und Kantor in Thüringen (Berlstedt, Wohlsborn, Riethnordhausen) tätig. In dieser Zeit begann er mit der Sammlung von Volksliedern; eine Begegnung mit
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1854 in Weimar bestärkte ihn in diesem Interesse. 1857 begann B. ein Musikstudium in Leipzig; zugleich war er Schüler des Thomaskantors Moritz Hauptmann und des Kapellmeisters Julius Rietz. Nach 1859 wandte er sich in Dresden neben seiner Arbeit als Chorleiter und Musiklehrer v.a. der wissenschaftlichen Arbeit zu. Für seine Leistungen verlieh ihm 1877 der sächsische König den Professorentitel. 1878 bis 1885 unterbrach B. seine Arbeiten in Dresden, um eine Professur für Theorie und Musikgeschichte am Hochschen Konservatorium in Frankfurt/Main zu übernehmen. Auszeichnungen in Form von Orden erhielt er sowohl vom sächsischen König als auch von Großherzog
Ludwig IV. von Hessen, vom Großherzog von Weimar, vom Herzog von Meiningen sowie von Herzog
Ernst I. zu Sachsen-Coburg und Gotha (Verdienst-Medaille für Kunst und Wissenschaft). – Als B. starb, war er ein über Deutschland hinaus bekannter Volksliedsammler und -forscher. Seine handschriftlichen Sammlungen hat er der Königlich öffentlichen Bibliothek zu Dresden (heute Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden) hinterlassen. Dieser umfangreiche Nachlass, der 1981 durch einen weiteren Teil aus privater Hand (von B.s Urenkel
Karl Dietrich Meier) ergänzt wurde, enthält u.a. ca. 16.000 Liedaufzeichnungen. Zusammen mit den Nachlassbeständen im Institut für Volksmusikforschung Weimar vermittelt er einen guten Überblick über B.s Schaffen, das für Musikhistoriker, Musikethnologen und Volkskundler gleichermaßen von Interesse ist. Bereits in seiner 1861 erschienenen Studie zum Oratorium griff B. volkskundlich-ethnologisch relevante Stoffe auf (Pilger- und Wallfahrtsgesänge, Mysterienspiele des 12. bis 16. Jahrhunderts), die sowohl auf europäischer Ebene als auch im regionalen Rahmen, später auch für den orientalischen Bereich, dargestellt wurden. Mit dem 1877 herausgegebenen Altdeutschen Liederbuch wollte B. eine in Deutschland noch ausstehende Sammlung von „Volksliedern mit ihren Weisen aus alter Zeit“ vorlegen. Die Dokumentation enthält keine systematischen (Volks-)Liedanalysen, aber bemerkenswerte Ausführungen zu wichtigen Themen der Volksliedforschung. Eine enorme Kompilationsarbeit leistete B. für seine 1886 erschienene Geschichte des Tanzes in Deutschland, die er zu Recht als „Beitrag zur deutschen Sitten-, Litteratur- und Musikgeschichte“ ausweist. Der 1893/94 veröffentlichte dreibändige Deutsche Liederhort ist noch heute ein unentbehrliches Standard- und Nachschlagewerk der deutschen Volksliedforschung. Als B. 1891 vom preußischen Kultusministerium den Auftrag bekam, den 1856 erschienenen Deutschen Liederhort
Ludwig Erks aufgrund der handschriftlichen Liedersammlung des 1883 in Berlin Verstorbenen neu zu bearbeiten und in erweiterter Form herauszugeben, verfügte er bereits über umfangreiche eigene Liedsammlungen, die in die Erk-Böhme-Ausgabe eingegangen sind. Die Reaktion auf das monumentale Werk war sehr unterschiedlich: Während die einen die enorme Arbeitsleistung und den Handbuchcharakter des Werks betonten, wiesen andere auf erhebliche Mängel in der Text- und Melodieredaktion sowie auf zahlreiche Druckfehler hin. In der DDR-Literatur wurde B. eine bewusst konservative Liedauswahl unterstellt. Ebenfalls als Gesamtschau konzipiert war der 1896 publizierte Band zum deutschen Kinderlied und -spiel. Die Kommentare sind allerdings eine merkwürdige Mischung von mythologischem Gedankengut aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und nationalem Identitätsgehabe des Fin de siècle, obwohl B. neben „deutschen Tugenden“ auch „Unarten und Nationalfehler“ anführte. – B.s Interessen beschränkten sich keineswegs allein auf den deutschen Materialfundus, seine Recherchen reichten weit über Europa hinaus bis nach Asien (Türkei, Naher Osten, Mittelasien, Nordasien, Indien, China und Japan) und Afrika (Nordafrika, Madagaskar).
Quellen Sächsische Landesbibliothek – Staats und Universitätsbibliothek Dresden, Musikabteilung, Nachlass B.; Institut für Volksmusikforschung Weimar, Nachlass B.; Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., Dresden, Nachlass B.
Werke Das Oratorium, Leipzig 1861; Die hohen Feste in Liedern, Dresden [1866]; Altdeutsches Liederbuch, Leipzig 1877, 21913, 31925; Aufgaben zum Studium der Harmonie, Mainz 1880; Cursus in Harmonie, Mainz/London/Paris/Brüssel 1882; Geschichte des Tanzes in Deutschland, 2 Teile, Leipzig 1886; Die Geschichte des Oratoriums für Musikfreunde kurz und faßlich dargestellt, Gütersloh 21887; Deutscher Volksgesang im Aussterben, in: Centralblatt für Instrumentalmusik, Solo- und Chorgesang 2/1887, S. 371-373; Deutscher Liederhort, 3 Bde., Leipzig 1893/94; Volksthümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1895; Der Gassenhauer seit hundert Jahren, in: Centralblatt für Instrumentalmusik, Solo- und Chorgesang 11/1896, Nr. 1-5; Deutsches Kinderlied und Kinderspiel, Leipzig 1897, 21924.
Literatur W. Wiora, Die Aufzeichnung und Herausgabe von Volksliedweisen, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 6/1938, S. 53-93; F. Pazdírek, Universal-Handbuch der Musikliteratur, Vol. 2, Hilversum 1967, S. 274, B. op. 1, 2, 25, 30f., 33f., 41; B. Emmrich/O. Holzapfel/H. Müns, Sammlung Franz Magnus B. in der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 38/1993, S. 27-49; B. Emmrich, 100 Jahre „Deutscher Liederhort“, in: Sächsische Heimatblätter 39/1993, H. 3, S. 196-198; K. Thomas, Bericht über einen Teilnachlaß von Franz Magnus B. im Institut für Volksmusikforschung Weimar, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 38/1993, S. 13-26; B. Emmrich, Kein „Volksliedpapst“, Franz Magnus B. (1827-1898), in: dies., Heimatforschung, Spinnstuben-Performance und Hochschulseminar, Dresden 2001, S. 187-209 (Bildquelle). – ADB 47, S. 77-79; DBA I, II, III; DBE 1, S. 620; NDB 2, S. 387f.; F. Blume (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2, Kassel/Basel 1952, Sp. 20f.
Porträt Privatbesitz K. D. Meier, Dresden.
Brigitte Emmrich †
10.1.2005
Empfohlene Zitierweise:
Brigitte Emmrich †, Artikel: Franz Magnus Böhme,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/648 [Zugriff 19.11.2024].
Franz Magnus Böhme
Quellen Sächsische Landesbibliothek – Staats und Universitätsbibliothek Dresden, Musikabteilung, Nachlass B.; Institut für Volksmusikforschung Weimar, Nachlass B.; Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., Dresden, Nachlass B.
Werke Das Oratorium, Leipzig 1861; Die hohen Feste in Liedern, Dresden [1866]; Altdeutsches Liederbuch, Leipzig 1877, 21913, 31925; Aufgaben zum Studium der Harmonie, Mainz 1880; Cursus in Harmonie, Mainz/London/Paris/Brüssel 1882; Geschichte des Tanzes in Deutschland, 2 Teile, Leipzig 1886; Die Geschichte des Oratoriums für Musikfreunde kurz und faßlich dargestellt, Gütersloh 21887; Deutscher Volksgesang im Aussterben, in: Centralblatt für Instrumentalmusik, Solo- und Chorgesang 2/1887, S. 371-373; Deutscher Liederhort, 3 Bde., Leipzig 1893/94; Volksthümliche Lieder der Deutschen im 18. und 19. Jahrhundert, Leipzig 1895; Der Gassenhauer seit hundert Jahren, in: Centralblatt für Instrumentalmusik, Solo- und Chorgesang 11/1896, Nr. 1-5; Deutsches Kinderlied und Kinderspiel, Leipzig 1897, 21924.
Literatur W. Wiora, Die Aufzeichnung und Herausgabe von Volksliedweisen, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 6/1938, S. 53-93; F. Pazdírek, Universal-Handbuch der Musikliteratur, Vol. 2, Hilversum 1967, S. 274, B. op. 1, 2, 25, 30f., 33f., 41; B. Emmrich/O. Holzapfel/H. Müns, Sammlung Franz Magnus B. in der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 38/1993, S. 27-49; B. Emmrich, 100 Jahre „Deutscher Liederhort“, in: Sächsische Heimatblätter 39/1993, H. 3, S. 196-198; K. Thomas, Bericht über einen Teilnachlaß von Franz Magnus B. im Institut für Volksmusikforschung Weimar, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 38/1993, S. 13-26; B. Emmrich, Kein „Volksliedpapst“, Franz Magnus B. (1827-1898), in: dies., Heimatforschung, Spinnstuben-Performance und Hochschulseminar, Dresden 2001, S. 187-209 (Bildquelle). – ADB 47, S. 77-79; DBA I, II, III; DBE 1, S. 620; NDB 2, S. 387f.; F. Blume (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 2, Kassel/Basel 1952, Sp. 20f.
Porträt Privatbesitz K. D. Meier, Dresden.
Brigitte Emmrich †
10.1.2005
Empfohlene Zitierweise:
Brigitte Emmrich †, Artikel: Franz Magnus Böhme,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/648 [Zugriff 19.11.2024].