Ferdinand von Richthofen

R. war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben Carl Ritter und Alexander von Humboldt einer der bedeutendsten Geografen in Europa. Als Forschungsreisender, Hochschullehrer und Wissenschaftspolitiker prägte er maßgeblich die Themen, Methoden und die Stellung der Geografie im deutschsprachigen Raum. Durch umfangreiche Feldforschungen in Europa, Ostasien und Nordamerika leistete er einen entscheidenden Beitrag zum Selbstverständnis der Geowissenschaften. Er entwickelte die Geografie als eine naturwissenschaftliche Disziplin vom Lebensraum des Menschen. Darüber hinaus gilt R. als Begründer der Geomorphologie. – Nachdem er seine Schulausbildung am katholischen Gymnasium in Breslau (poln. Wrocław) abgeschlossen hatte, begann R. dort 1850 ein Geologie- und Chemie-Studium. 1852 bis 1856 war er dann in Berlin eingeschrieben, wo er u.a. Vorlesungen von Ritter und Heinrich Ernst Beyrich hörte. Im gleichen Jahr wurde er mit einer Arbeit über den Melaphyr in Berlin zum Dr. rer. nat. promoviert. – 1856 bis 1860 arbeitete R. als Feldgeologe an der k. u. k. Geologischen Reichsanstalt in Wien. Er kartierte u.a. in Südtirol und erkannte als einer der ersten die marine Bildungsgeschichte der Dolomiten. In den 1860er-Jahren unternahm er zahlreiche Forschungsreisen, die ihn v.a. nach Ostasien und Nordamerika führten. 1860 begleitete er als Legationssekretär eine preußische Gesandtschaft unter der Leitung von Friedrich Graf zu Eulenburg nach China, Ceylon, Taiwan, Siam und Japan. 1862 bis 1868 führten ihn geologische Studien nach Nordamerika, wo er sich insbesondere der Erforschung der Vulkanite und der Verteilung der Goldlagerstätten in Kalifornien widmete. 1868 kehrte R. nach China zurück und durchquerte bis 1872 in sieben großen Expeditionen das Land. Inhaltlich bestimmend waren geologische und geomorphologische Untersuchungen, deren Ergebnisse bis heute durch die Präzision der Beobachtung und die Sicherheit des wissenschaftlichen Urteils beeindrucken. Nach seiner Rückkehr nach Berlin 1872 widmete er sich den Auswertungen seiner Forschungen. Insbesondere mit dem mehrbändigen Werk über China leistete R. einen bedeutsamen Beitrag dafür, dass der Ferne Osten und speziell China in das Bewusstsein der Europäer traten und diese ein wachsendes Verständnis für die asiatischen Kulturerdteile entwickelten. Außerdem begann er 1873 seine akademische Laufbahn, zunächst in Berlin als Präsident der Gesellschaft für Erdkunde, ab 1875 dann als ordentlicher Professor für Geografie in Bonn. 1883 wurde er an die Universität Leipzig berufen. Mit der Annahme dieses Rufs durch R. wurde der Rang der Leipziger Universität als geografische Ausbildungs- und Forschungsstätte nachdrücklich bestätigt. In der dreijährigen Wirkungszeit R.s in Leipzig fand der naturwissenschaftliche Leistungsanspruch der Geografie, der sich in Sachsen zu jener Zeit zeitgleich mit der rasanten Entwicklung von Wissenschaft und Technik herausgebildet hatte, einen deutlichen Ausdruck. R. hielt in Leipzig Vorlesungen zur allgemeinen Geografie, zur vergleichenden Geografie der Kontinente und zur Regionalen Geografie von Ländergruppen. Er begründete das Geographische Kolloquium, das hohes Ansehen erwarb. – 1886 wechselte er als Professor für Geografie an die Universität Berlin. Hier gelang es ihm, ein Institut für Meereskunde einzurichten, als dessen Direktor er ab 1901 wirkte. – R. war nicht nur Forschungsreisender und erfolgreicher Hochschullehrer, sondern auch in zahlreichen Gremien tätig. Mehrfach stand er an der Spitze der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, ab 1899 war er ordentliches Mitglied Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Mitglied im Kolonialrat und gehörte dem Vorstand der Afrika-Gesellschaft an. Er setzte sich gegenüber Reichskanzler Bismarck nachdrücklich für die Errichtung des deutschen Schutzgebiets Kiautschou und den Erwerb des Flottenstützpunkts Tsingtau (1897-1914) ein. – R.s bedeutendste Schüler waren Sven Hedin, Otto Schlüter, Siegfried Passarge, Friedrich Machatschek, Alfred Philippson und Erich von Drygalski. – Nach ihm ist das Richthofengebirge (chin. Nan Shan) im Nordosten des Hochlands von Tibet benannt.

Werke W China, 4 Bde., Berlin 1877-1912; Aufgaben und Methoden der heutigen Geographie, Leipzig 1883; Atlas von China, hrsg. von M. Groll, 2 Bde., Berlin 1885-1912; Führer für Forschungsreisende, Berlin 1886 (ND Hannover 1901, Berlin ²1983)

Literatur A. Hettner, Ferdinand von R.s Bedeutung für die Geographie, in: Geographische Zeitung 12/1906, S. 1-11; A. Penck, Ferdinand von R.s Bedeutung für die Geographie, in: Berliner Geographische Arbeiten 5/1933, S. 15-17; B. Zuckermann, Ferdinand von R., kritische Würdigung eines deutschen Geographen, Diss. Potsdam 1960 (WV); G. Engelmann, Die Geographie an der Universität Leipzig, in: Petermanns Geographische Mitteilungen 109/1965, S. 32-41; H. Beck, Große Geographen, Pioniere, Außenseiter, Gelehrte, Berlin 1982, S. 149-163; J. Osterhammel, Forschungsreise und Kolonialprogramm, Konstanz 1987; G. Engelmann, Ferdinand von R., Stuttgart 1988; R. W. Gärtner, Die Entwicklung der wissenschaftlichen Geographie in Sachsen unter dem Einfluß von Oscar Peschel, Otto Delitsch und Ferdinand von R., Halle/Saale 1992 [MS]. – DBA I, II, III; DBE 8, S. 285; NDB 21, S. 543f.; Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, Bd. 10, Berlin 1907, S. 172-180.

Porträt Archiv der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Fotografien; Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Manfred Kramer †
4.5.2011


Empfohlene Zitierweise:
Manfred Kramer †, Artikel: Ferdinand von Richthofen,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3334 [Zugriff 28.3.2024].

Ferdinand von Richthofen



Werke W China, 4 Bde., Berlin 1877-1912; Aufgaben und Methoden der heutigen Geographie, Leipzig 1883; Atlas von China, hrsg. von M. Groll, 2 Bde., Berlin 1885-1912; Führer für Forschungsreisende, Berlin 1886 (ND Hannover 1901, Berlin ²1983)

Literatur A. Hettner, Ferdinand von R.s Bedeutung für die Geographie, in: Geographische Zeitung 12/1906, S. 1-11; A. Penck, Ferdinand von R.s Bedeutung für die Geographie, in: Berliner Geographische Arbeiten 5/1933, S. 15-17; B. Zuckermann, Ferdinand von R., kritische Würdigung eines deutschen Geographen, Diss. Potsdam 1960 (WV); G. Engelmann, Die Geographie an der Universität Leipzig, in: Petermanns Geographische Mitteilungen 109/1965, S. 32-41; H. Beck, Große Geographen, Pioniere, Außenseiter, Gelehrte, Berlin 1982, S. 149-163; J. Osterhammel, Forschungsreise und Kolonialprogramm, Konstanz 1987; G. Engelmann, Ferdinand von R., Stuttgart 1988; R. W. Gärtner, Die Entwicklung der wissenschaftlichen Geographie in Sachsen unter dem Einfluß von Oscar Peschel, Otto Delitsch und Ferdinand von R., Halle/Saale 1992 [MS]. – DBA I, II, III; DBE 8, S. 285; NDB 21, S. 543f.; Biographisches Jahrbuch und Deutscher Nekrolog, Bd. 10, Berlin 1907, S. 172-180.

Porträt Archiv der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Fotografien; Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Manfred Kramer †
4.5.2011


Empfohlene Zitierweise:
Manfred Kramer †, Artikel: Ferdinand von Richthofen,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3334 [Zugriff 28.3.2024].