Erhart Paul
Als Kantor erlangte P. mit seiner künstlerischen Ausgestaltung des ev.-luth. Gottesdiensts über Sachsen hinaus Bedeutung. – P. entstammte einem religiös geprägten Elternhaus. Er besuchte zunächst die Volksschule in Großpostwitz und wechselte später auf die Oberrealschule in Bautzen, wo er 1928 das Abitur ablegte. Die Eltern förderten die musikalische Begabung des Sohns durch die Anschaffung eines Flügels und ermöglichten ihm die Teilnahme am Klavierunterricht. Nach dem Abitur studierte P. an der Technischen Hochschule Dresden Pädagogik, nahm Orgelunterricht, wirkte als Chorpräfekt an der Dresdner Annenkirche und übernahm Vertretungen als Organist in verschiedenen Dresdner Kirchgemeinden. Nach bestandenem Hochschulexamen wurde er 1932 Hilfslehrer und Kantor in Reichenau (poln. Bogatynia). Wegen regimekritischer Äußerungen verlor er 1935/36 sein Schulamt. Als Kantor fand er jedoch Unterstützung und Rückhalt bei der bekenntnistreuen Kirchgemeinde und ihrer Pfarrer und behielt sein Amt als Chorleiter und Organist. In dieser Funktion setzte er sich u.a. für die Sanierung der 1768 von dem Zittauer Orgelbaumeister
Leonhard Balthasar Schmahl und dessen Schwiegersohn Johann Gottlieb Tamitius errichteten Kirchenorgel ein, die am vierten Advent 1936 der Kirchgemeinde übergeben werden konnte. Aufgrund der knappen Kantorenbesoldung, musste sich P. um eine andere Stelle bemühen. Von hundert Bewerbungen auf die Kantorenstelle am Dom zu Meißen fiel die Wahl auf ihn, obwohl er keine kirchenmusikalischen Examina vorweisen konnte. P. überzeugte aber durch sein Orgelspiel und seine Chorleitung. So übernahm er 1937 das kirchenmusikalische Hauptamt am Dom zu Meißen, das er aber nur bis Juli 1939 bekleidete, da er anschließend zur Wehrmacht einberufen wurde. Im Zweiten Weltkrieg kam er, nach einer Kurzausbildung in Prag, zum militärischen Einsatz in die Niederlande, an die Atlantikküste Frankreichs und schließlich nach Russland. Vier Tage vor Heiligabend 1941 wurde P. bei einem Fronteinsatz vor Moskau schwer verwundet. Dabei verlor er den rechten Arm sowie die Sehkraft des rechten Auges und wurde in der Folge als wehrunfähig entlassen. – Ab 1943 studierte P. an der Universität Berlin Musikwissenschaften und Kunstgeschichte. Im selben Jahr wurde auch sein bis dahin ruhendes Dienstverhältnis seitens des Hochstifts Meißen aufgelöst. P.s Studium wurde zunächst durch das Kriegsende unterbrochen. Daher übernahm er in Großpostwitz die Stelle des Schulleiters und brachte den Schulbetrieb seines Heimatorts wieder in Gang. Ab November 1946 setzte er sein Studium in Berlin fort und wurde dort im Dezember 1947 mit einer Arbeit über
Orlando di Lassos Nürnberger Motettenbuch von 1562 promoviert. – Mit dem Kriegsende stellte sich auch die Frage einer Weiterbeschäftigung für den ehemaligen Domkantor von Meißen im Raum der Kirche. Seit 1946 hatte P. sich als Singeleiter bei großen Jugendtreffen in der Oberlausitz eingebracht und Jugendrüstzeiten mitgestaltet. Dieses Engagement führte im Februar 1948 zu der Beauftragung, als Landesjugendsingwart junge Leute für die Singearbeit in den Jungen Gemeinden vor Ort anzuleiten. In dieser Funktion organisierte er zwischen 1948 und 1960 die „Bautzener Singwoche“, die u.a. durch die Aufnahme der gregorianischen Stundengebete Laudes und Complet besonderes Profil erlangte. – 1948 verlegte P. seinen Wohnsitz nach Leipzig, arbeitete als Dozent am dortigen Kirchenmusikalischen Institut der Hochschule für Musik und übernahm Lehraufträge an der Karl-Marx-Universität Leipzig für Notationskunde, Frühmittelalterliche Monodie (Gregorianik) sowie Stilkunde der frühen Mehrstimmigkeit und der Musik des 15. bis 17. Jahrhunderts. Später übernahm er auch Lehraufträge für Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin, an der Kirchenmusikschule in Dresden und am Predigerkolleg St. Pauli in Leipzig. An der Leipziger Thomaskirche betreute er für die Abendgottesdienste einen Knabenchor für die Introitus- und Communiopsalmen nach der Vorgabe des Kantionale der Lutherischen Liturgischen Konferenz. So wirkte P. stilbildend und prägend für eine Vielzahl angehender Kirchenmusiker und Pfarrer und damit der Gottesdienstkultur einer ganzen Landeskirche sowie darüber hinaus. – 1960 folgte P. einem Ruf der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands als Fachmann für gottesdienstliche Melodien nach Hannover. 1960 bis 1963 war er Singeleiter im Niedersächsischen Kirchenchorverband und Dozent an der Kirchenmusikschule Hannover. Ab 1965 bis zu seiner Pensionierung 1974 wirkte er als Kantor und Lehrer in Wolfsburg und siedelte anschließend nach Bonn über, blieb aber auch im Ruhestand der Erforschung gregorianischer Musik verpflichtet.
Werke Das Nürnberger Motettenbuch Orlando di Lassos vom Jahre 1562, Diss. Berlin 1947; (Bearb.), Der Psalter und Die Cantica der Heiligen Schrift, Oldenstadt 1960.
Literatur Erhart P. †, in: Der Kirchenmusiker 47/1996, H. 3, S. 118; J. Conrad, Liturgie als Kunst und Spiel, Münster/Hamburg/London 2003; F. Bühler, Erhart P. zum 100. Geburtstag, in: Der Sonntag 65/2010, Nr. 2, S. 5.
Porträt Erhart Theodor P., Fotografie, 1950, Privatbesitz J. Wollstadt (Bildquelle).
Friedrich Bühler
29.8.2011
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bühler, Artikel: Erhart Paul,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25792 [Zugriff 7.10.2024].
Erhart Paul
Werke Das Nürnberger Motettenbuch Orlando di Lassos vom Jahre 1562, Diss. Berlin 1947; (Bearb.), Der Psalter und Die Cantica der Heiligen Schrift, Oldenstadt 1960.
Literatur Erhart P. †, in: Der Kirchenmusiker 47/1996, H. 3, S. 118; J. Conrad, Liturgie als Kunst und Spiel, Münster/Hamburg/London 2003; F. Bühler, Erhart P. zum 100. Geburtstag, in: Der Sonntag 65/2010, Nr. 2, S. 5.
Porträt Erhart Theodor P., Fotografie, 1950, Privatbesitz J. Wollstadt (Bildquelle).
Friedrich Bühler
29.8.2011
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bühler, Artikel: Erhart Paul,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25792 [Zugriff 7.10.2024].