Carl Credé

In der medizinischen Wissenschaft, aber auch bei praktizierenden Frauenärzten, Hebammen und Krankenschwestern ist der Name C. durch zwei bis heute angewandte Verfahren bekannt. Es handelt sich dabei um eine als „Credéscher Handgriff“ bezeichnete Methode in der Geburtshilfe, die einen geringeren Blutverlust bei der Entfernung der Nachgeburt bewirkt und als „Verfahren der Plazentaexpression“ erstmals 1860 publiziert wurde, sowie um die Durchführung einer wirksamen Augenprophylaxe bei Neugeborenen. Die von C. entwickelte und am Leipziger Trierschen Institut angewandte Therapie mit Silbernitrat führte zu einer Verringerung der Krankheitsquote der durch Gonorrhoe verursachten Augenentzündung von zehn Prozent 1880 auf 0,3 Prozent 1883. Sie wurde daraufhin in vielen Ländern eingeführt. – C. hatte in Berlin und Heidelberg Medizin studiert und 1842 in Berlin promoviert. 1843 nahm er eine Anstellung als Assistenzarzt an der Berliner Geburtshilflichen Klinik an. Nach der Habilitation 1850 erhielt er eine Privatdozentur für Geburtshilfe an der Berliner Universität und wurde 1852 zum Direktor der Berliner Hebammenschule und der Frauenheilkundlichen Abteilung der Charité ernannt. – Als C. 1856 auf die ordentliche Professur für Geburtshilfe an die Universität Leipzig berufen wurde, übernahm er gleichzeitig das Direktorat der Entbindungsanstalt und Hebammenschule und damit ein Fachgebiet, das auf eine lange Tradition zurückblicken konnte. Die Einrichtung einer Professur für Geburtshilfe geht auf das der Universität Leipzig testamentarisch zugeeignete Stiftungskapital von Rahel Amalie Auguste Trier zurück. Aus diesem Nachlass konnte auch die auf dem Gartengrundstück der Familie Trier befindliche Hebammenschule vergrößert und eine ordentliche Professur für Entbindungskunst eingerichtet werden. Die als „Triersches Institut“ bezeichnete Entbindungsanstalt und Hebammenschule wurde 1810 durch Johann Gottfried Jörg eröffnet. Nachdem Jörg 1856 um Versetzung in den Ruhestand gebeten hatte, sah sich die Medizinische Fakultät zu raschem Handeln gezwungen. – Als C. 1856 das Ordinariat für Entbindungskunst übernahm, diskutierte die europäische Ärzteschaft erstmals über die Ursachen und die Bekämpfung des Kindbettfiebers. Der ungarische Arzt Ignatz Philipp Semmelweis hatte 1847 entdeckt, dass das Krankheitsbild der Blutvergiftung identisch war mit dem durch hohes Fieber gekennzeichneten Krankheitsverlauf vieler Mütter nach der Geburt. Als gemeinsame Ursache machte er Leichenteilchen, die in das Blutgefäßsystem gelangten, verantwortlich. Dies war nicht verwunderlich, denn Ärzte und Studenten kamen damals oft direkt vom Seziersaal zu den Patienten und brachten die Infektion auf diesem Weg zu den Müttern. Semmelweis führte deshalb die Desinfektion der Hände mittels Chlorkalk ein und konnte die Wöchnerinnensterblichkeit in kurzer Zeit drastisch reduzieren. C. gehörte zu den Ärzten, die diese anfangs heftig umstrittenen antiseptischen Maßnahmen ohne Einschränkungen befürworteten und an ihrer Klinik einführten. Auf dieser Grundlage konnte er sich auch mit der Erforschung und Behandlung von Frauenkrankheiten beschäftigen. Er förderte als einer der ersten Geburtshelfer die gynäkologischen Operationsmethoden und richtete eine Gynäkologische Klinik und Poliklinik an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig ein. Wie die Arbeit in der Entbindungsanstalt aussah, legte er selbst in seinem „Bericht über die Vorgänge in der Entbindungsschule zu Leipzig seit 1810 bis 1859“ dar. Unter C.s Leitung erlebte die Klinik einen großen Aufschwung und erlangte den Ruf, eines der modernsten Lehrinstitute in der Geburtshilfe und zunehmend auch der Frauenheilkunde zu sein. Die Zahl der Entbindungen stieg auf ca. 300 pro Jahr. – Als akademischer Lehrer hatte C. die Gabe, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Dabei hielt er weniger von theoretischen Vorlesungen, sondern bevorzugte Touchier- und Phantomübungen, direkte Untersuchungen am Patienten sowie die Besprechung ambulanter Fälle aus der poliklinischen Praxis. Leitbild der Ausbildung war für ihn der Unterricht am Krankenbett. Zu seinen Aufgaben zählte C. jedoch nicht nur die Ausbildung der Medizinstudenten, große Aufmerksamkeit widmete er ebenfalls der Hebammenlehrtätigkeit. – Frühzeitig erkannte C. auch die Notwendigkeit zur Verbesserung der Frühgeborenenbetreuung. 1884 entwickelte er ein Erwärmungsgerät für Frühgeborene und schwächliche kleine Kinder. Sein bevorzugtes Arbeitsgebiet blieb jedoch die operative Gynäkologie. – Um den Übergang seines Fachgebiets von der reinen Geburtshilfe zur Frauenheilkunde zu erleichtern, regte C. die Bildung einer deutschen Gesellschaft für Gynäkologie an. Die für 1877 geplante Gründung scheiterte im ersten Anlauf. 1885 konnte sie schließlich realisiert werden. In diesem Jahr machten sich bei C. allerdings die ersten Zeichen einer fortschreitenden Krankheit bemerkbar, die ihn 1887 zur Aufgabe seines Amts zwang. Den Neubau der Frauenklinik in unmittelbarer Nachbarschaft des 1871 eröffneten Jakobshospitals konnte er trotzdem noch anregen, durchsetzen und konzeptionell begleiten. Die Eröffnung des Gebäudes nahm jedoch sein Nachfolger Paul Zweifel einen Monat nach C.s Tod im April 1892 vor. In diesem Gebäude befindet sich heute die Hautklinik. – C. trat auch durch eine rege Publikationstätigkeit hervor. 1853 bis 1869 redigierte er die „Monatsschrift für Geburtshilfe“. Nach der Umbenennung der Fachzeitschrift in „Archiv für Gynäkologie“ 1870 behielt er die Redaktion und führte das Archiv bis zu seinem Tod. 39 Jahre prägte C. damit die wichtigste deutschsprachige gynäkologische Zeitschrift.

Quellen Universitätsarchiv Leipzig, Personalakten.

Werke Klinische Vorträge über Geburtshülfe, 2 Bde., Berlin 1853-1854; Die Verhütung der Augenentzündung bei Neugeborenen „Ophthalmoblennorrhoea neonatorum“, der häufigsten und wichtigsten Ursache der Blindheit, Berlin 1884; Lehrbuch der Hebammenkunst, Leipzig 1875, mit F. Winckel, Leipzig 31882, mit G. Leopold, Leipzig 41886.

Literatur K. Bilek, Carl Siegmund C. - seine Bedeutung für die Entwicklung der Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Vortrag auf dem Credé-Symposium am 25. April 1992 in Leipzig [MS]; U. Ulrich/W. G. Rossmanith, Carl C.: Eine Erinnerung anläßlich des 100. Todestages (14. März 1892), in: Geburtshilfe und Frauenheilkunde 52/1992, S. 642-645. – ADB 47, S. 544-546; DBA I (P), II (P), III; DBE 2, S. 395; NDB 3, S. 403.

Porträt Autotypie, Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Porträtsammlung (Bildquelle).

Cornelia Becker
17.6.2005


Empfohlene Zitierweise:
Cornelia Becker, Artikel: Carl Credé,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1067 [Zugriff 26.11.2024].

Carl Credé



Quellen Universitätsarchiv Leipzig, Personalakten.

Werke Klinische Vorträge über Geburtshülfe, 2 Bde., Berlin 1853-1854; Die Verhütung der Augenentzündung bei Neugeborenen „Ophthalmoblennorrhoea neonatorum“, der häufigsten und wichtigsten Ursache der Blindheit, Berlin 1884; Lehrbuch der Hebammenkunst, Leipzig 1875, mit F. Winckel, Leipzig 31882, mit G. Leopold, Leipzig 41886.

Literatur K. Bilek, Carl Siegmund C. - seine Bedeutung für die Entwicklung der Geburtshilfe und Frauenheilkunde, Vortrag auf dem Credé-Symposium am 25. April 1992 in Leipzig [MS]; U. Ulrich/W. G. Rossmanith, Carl C.: Eine Erinnerung anläßlich des 100. Todestages (14. März 1892), in: Geburtshilfe und Frauenheilkunde 52/1992, S. 642-645. – ADB 47, S. 544-546; DBA I (P), II (P), III; DBE 2, S. 395; NDB 3, S. 403.

Porträt Autotypie, Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften, Porträtsammlung (Bildquelle).

Cornelia Becker
17.6.2005


Empfohlene Zitierweise:
Cornelia Becker, Artikel: Carl Credé,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1067 [Zugriff 26.11.2024].