August Weichert

W. war ein bedeutender Rektor der Landesschule zu Grimma in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. – Nachdem er zuvor von seinem Vater unterrichtet worden war, besuchte W. ab 1801 die Fürstenschule St. Afra zu Meißen. Von 1806 an studierte er an der Universität Wittenberg zunächst Theologie, dann Klassische Philologie. Als seinen wichtigsten akademischen Lehrer bezeichnete er Christian August Lobeck, der zu dieser Zeit Adjunkt an der Philosophischen Fakultät war. Auf dessen Empfehlung hin wurde W. 1809 Konrektor und 1810 als Lobecks Nachfolger Rektor am Wittenberger Lyzeum. Im Zuge der Belagerung Wittenbergs durch französische Truppen (1813/1814) siedelte W. für kurze Zeit nach Beucha (vermutlich das heute zu Brandis gehörende Beucha) um und wurde 1814 Professor für Theologie an seiner alten Schule in Meißen. 1819 wurde er als „Rector adiunctus“ an die Landesschule Grimma versetzt, um den bereits hochbetagten Rektor Friedrich Wilhelm Sturz zu unterstützen. In dieser Funktion erarbeitete W. 1820 einen für den Schulbetrieb der nächsten Jahrzehnte richtungweisenden Organisationsplan, in dem in vier Kapiteln „Verfassung“, „Bestimmung“, „Ordnung“ und „Gesetze“ der Schule beschrieben sind. 1823 löste er Sturz als Rektor ab. Auf eigenen Wunsch erfolgte aus gesundheitlichen Gründen 1842 seine Versetzung in den Ruhestand. W.s Rektorat war gekennzeichnet durch eine Modernisierung des Schulbetriebs auf fachlicher und pädagogischer Ebene, gespeist aus Vorstellungen des Neuhumanismus und des Philanthropismus. Außerdem erreichte er Verbesserungen in der finanziellen Ausstattung der Schule, namentlich gelang eine Aufhebung der Adjunkturen zugunsten von ordentlichen Lehrerstellen. – W. ist Verfasser einer Vielzahl von Abhandlungen zur antiken Literaturgeschichte, die zu einem großen Teil in den Grimmaer Schulprogrammen erschienen sind und eine bemerkenswerte thematische Spannbreite aufweisen. Zu nennen ist hier zunächst die in den seinerzeit einschlägigen Rezensionsorganen anerkennend besprochene Wittenberger Dissertation über den spätantiken griechischen Epiker Nonnos, in der W. u.a. für eine späte Datierung der diesem Dichter zugeschriebenen Hexameter-Paraphrase des Johannesevangeliums nach dessen (postulierter) Konversion zum Christentum eintritt - eine bis heute nicht abschließend geklärte Frage. Den Plan einer Nonnos-Ausgabe, die W. 1810 in einem Brief an Karl August Böttiger ankündigt, hat er nie verwirklicht, jedoch stellen seine Vorarbeiten eine wichtige Grundlage für die Ausgabe von Christian Friedrich Graefe (Leipzig 1819-1826) dar. Forschungshistorisch wichtig sind darüber hinaus seine textkritischen Arbeiten zu den „Argonautica“ des Valerius Flaccus und v.a. seine Studien zu bestimmten, nur fragmentarisch überlieferten antiken Textcorpora, die ihn zu einem nicht unbedeutenden Wegbereiter der modernen altphilologischen Fragmentforschung machen: In zahlreichen Schulprogrammen beschäftigte er sich mit frühen lateinischen „poetae minores“ wie Hostius, Laevius, Licinius Calvus u.v.a., deren vorhandene Fragmente er hier sammelte, edierte und kritisch kommentierte. Dabei gelang ihm u.a. der Nachweis, dass der republikanische Dichter Laevius kein Tragiker gewesen ist, sondern dass die für ihn bezeugten Gedichttitel wie „Adonis“, „Alcestis“ oder „Ino“ Teile von epyllionartiger Kleindichtung nach hellenistischem Vorbild sind. Diese Studien erschienen 1830 gesammelt in einem Band und wurden erst rund ein halbes Jahrhundert später, z.T. durch Lucian Müllers „Catulli, Tibulli, Propertii Carmina. Accedunt Laevii, Calvi, Cinnae, aliorum reliquiae et Priapea“ (Leipzig 1870) und dann vollständig durch Emil Baehrensʼ „Fragmenta poetarum Romanorum“ (Leipzig 1886) ersetzt. Zu nennen ist hier außerdem noch der erste Band einer Fragmentausgabe der nicht überlieferten Schriften und Werke des Kaisers Augustus, die unvollendet geblieben ist. – W. wurde 1838 zum Ritter des sächsischen Zivilverdienstordens ernannt. Die Grimmaer Schüler ehrten W.s Andenken mit einem Gedenkstein auf seiner Grabstätte, deren Standort sich nicht mehr ermitteln lässt.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 22028 Landesschule Grimma, Nr. 0057-0059, 3480-3481; Landesarchiv Sachsen-Anhalt, 02.07.02 C121 Amtsgerichte und Vorgängerbehörden. Kirchenbuchduplikate und Zivilstandsregisterzweitschriften, Kirchenbuch Wittenberg Stadt 1800-1815, Trauungsanzeigen 1814, S. 287, Nr. 12 (ancestry.de); Jahresbericht über die Königl. Landesschule zu Grimma. Michael. 1834-1835, in: August W., Commentatio I. De Imperatoris Caesaris Augusti scriptis eorumque reliquiis, Progr. Königliche Landesschule zu Grimma 1835, S. I-XVI; Otto Fiebiger, Aus den Briefen eines alten Fürstenschulrektors, in: Neue Jahrbücher für das Klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur und für Pädagogik 6/1900, S. 59-64, 122-128.

Werke De Nonno Panopolitano, Diss. Wittenberg 1810 [rezensiert in: Jenaische Allgemeine Literaturzeitung 7/1810, Bd. 3, Sp. 303f.; Neue Leipziger Literaturzeitung 1810, Sp. 623]; Epistola critica de C. Valerii Flacci Argonauticis ad virum illustrissimum et doctissimum Henr. Car. Abr. Eichstädt, Leipzig 1812; In C. Valerii Flacci Argonautica observationes criticae, in: Acta Seminarii Regii et Societatis Philologicae Lipsiensis 2/1812, S. 326-374; Poetarum latinorum Hostii, Laevii, C. Licinii Calvi, C. Helvii Cinnae, C. Valgii Rufi, Domitii Marsi aliorumque vitae et carminum reliquiae, Leipzig 1830; Imperatoris Caesaris Augusti scriptorum reliquiae, Bd. 1, Grimma 1846.

Literatur Karl Josef Roeßler, Geschichte der Königlich Sächsischen Fürsten- und Landesschule Grimma, Leipzig 1891, S. 164-166; Johannes Warg, Vom Unterricht in St. Augustin, in: Die Fürsten- und Landesschule St. Augustin zu Grimma in Vergangenheit und Gegenwart, Grimma 1930, S. 52-70, bes. S. 65-68; Gerhard Arnhardt/Gerd-Bodo Reinert, Die Fürsten- und Landesschulen Meißen, Schulpforte und Grimma. Lebensweise und Unterricht über Jahrhunderte, Weinheim/Basel 2002, S. 124-127; Erik Pulz, Der Dichter Laevius, Diss. Halle-Wittenberg 2021, S. 55f. – ADB 41, S. 442f.; DBA I; Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden Teutschen Schriftsteller, Bd. 21, Lemgo 1827, S. 404f.; Friedrich Arnold Brockhaus (Hg.), Conversations-Lexikon der Gegenwart in vier Bänden, Bd. 4, Leipzig 1841, S. 362f.; Neuer Nekrolog der Deutschen 22/1844, S. 1017f., Nr. 994; Wigandʼs Conversations-Lexikon für alle Stände, Bd. 15, Leipzig 1852, S. 108; Piererʼs Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neustes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, Bd. 19, Altenburg 41865, S. 18.

Porträt M. Augustus W. […] annum agens XLIII, 1831, Öl auf Leinwand, Aula des Gymnasiums St. Augustin zu Grimma, Archiv des Gymnasiums St. Augustin zu Grimma (Bildquelle).

Henning Ohst
7.9.2022


Empfohlene Zitierweise:
Henning Ohst, Artikel: August Weichert,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4078 [Zugriff 22.12.2024].

August Weichert



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 22028 Landesschule Grimma, Nr. 0057-0059, 3480-3481; Landesarchiv Sachsen-Anhalt, 02.07.02 C121 Amtsgerichte und Vorgängerbehörden. Kirchenbuchduplikate und Zivilstandsregisterzweitschriften, Kirchenbuch Wittenberg Stadt 1800-1815, Trauungsanzeigen 1814, S. 287, Nr. 12 (ancestry.de); Jahresbericht über die Königl. Landesschule zu Grimma. Michael. 1834-1835, in: August W., Commentatio I. De Imperatoris Caesaris Augusti scriptis eorumque reliquiis, Progr. Königliche Landesschule zu Grimma 1835, S. I-XVI; Otto Fiebiger, Aus den Briefen eines alten Fürstenschulrektors, in: Neue Jahrbücher für das Klassische Altertum, Geschichte und deutsche Literatur und für Pädagogik 6/1900, S. 59-64, 122-128.

Werke De Nonno Panopolitano, Diss. Wittenberg 1810 [rezensiert in: Jenaische Allgemeine Literaturzeitung 7/1810, Bd. 3, Sp. 303f.; Neue Leipziger Literaturzeitung 1810, Sp. 623]; Epistola critica de C. Valerii Flacci Argonauticis ad virum illustrissimum et doctissimum Henr. Car. Abr. Eichstädt, Leipzig 1812; In C. Valerii Flacci Argonautica observationes criticae, in: Acta Seminarii Regii et Societatis Philologicae Lipsiensis 2/1812, S. 326-374; Poetarum latinorum Hostii, Laevii, C. Licinii Calvi, C. Helvii Cinnae, C. Valgii Rufi, Domitii Marsi aliorumque vitae et carminum reliquiae, Leipzig 1830; Imperatoris Caesaris Augusti scriptorum reliquiae, Bd. 1, Grimma 1846.

Literatur Karl Josef Roeßler, Geschichte der Königlich Sächsischen Fürsten- und Landesschule Grimma, Leipzig 1891, S. 164-166; Johannes Warg, Vom Unterricht in St. Augustin, in: Die Fürsten- und Landesschule St. Augustin zu Grimma in Vergangenheit und Gegenwart, Grimma 1930, S. 52-70, bes. S. 65-68; Gerhard Arnhardt/Gerd-Bodo Reinert, Die Fürsten- und Landesschulen Meißen, Schulpforte und Grimma. Lebensweise und Unterricht über Jahrhunderte, Weinheim/Basel 2002, S. 124-127; Erik Pulz, Der Dichter Laevius, Diss. Halle-Wittenberg 2021, S. 55f. – ADB 41, S. 442f.; DBA I; Das gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden Teutschen Schriftsteller, Bd. 21, Lemgo 1827, S. 404f.; Friedrich Arnold Brockhaus (Hg.), Conversations-Lexikon der Gegenwart in vier Bänden, Bd. 4, Leipzig 1841, S. 362f.; Neuer Nekrolog der Deutschen 22/1844, S. 1017f., Nr. 994; Wigandʼs Conversations-Lexikon für alle Stände, Bd. 15, Leipzig 1852, S. 108; Piererʼs Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart oder Neustes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, Bd. 19, Altenburg 41865, S. 18.

Porträt M. Augustus W. […] annum agens XLIII, 1831, Öl auf Leinwand, Aula des Gymnasiums St. Augustin zu Grimma, Archiv des Gymnasiums St. Augustin zu Grimma (Bildquelle).

Henning Ohst
7.9.2022


Empfohlene Zitierweise:
Henning Ohst, Artikel: August Weichert,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/4078 [Zugriff 22.12.2024].