Anna Fischer-Dückelmann

F. war eine herausragende weibliche Vertreterin der Naturheilbewegung und ist bis heute als solche international bekannt. Auch wenn die Schulmedizin für die universitär ausgebildete, promovierte Ärztin die wissenschaftliche Grundlage ihrer Tätigkeit bildete, beschritt F. einen eigenen Weg zwischen Naturheilkunde und Schulmedizin. Das gemeinsame Ziel der in der Popularisierung der Naturheilkunde und der Lebensreformbewegung tätigen Frauen war seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die (sexual-)medizinische Aufklärung eines explizit adressierten weiblichen Leserkreises. So vermittelte auch F. ihrer weiblichen Hauptzielgruppe das medizinische Wissen und damit das Selbstbewusstsein für eine aktive und selbständige Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse. Die Gleichberechtigung von Frauen forderte F. z.B. auch in der Sexualität. Sie begründete dies u.a. mit einem grundsätzlich identischen sexuellen Gefühlsleben bei Frauen und Männern. Die Behauptung eines weiblichen Orgasmus in diesem Zusammenhang war damals eine Ungeheuerlichkeit. Aufbauend auf diesen durch F. erstmals publizierten Erkenntnissen beabsichtigte sie auch die Rollen der Geschlechter neu zu definieren, bei Betonung der Unterschiede und gleichzeitiger Herausstellung ihrer Gleichwertigkeit in allen Lebensbereichen. – F. wurde 1856 im galizischen Wadowitz geboren. Sie entstammte einer Ärztedynastie. Nach ihrer Eheschließung mit Arnold Fischer ging das Ehepaar 1885 nach Frankfurt/Main, wo F. erste, aber erfolglose publizistische Erfahrungen sammelte. Im Alter von 34 Jahren und als Mutter von drei Kindern begann sie 1889 ein Medizinstudium in Zürich (Schweiz), die damals in Europa einzige Möglichkeit für Frauen zu studieren. 1896 wurde F. promoviert. Ihr ebenfalls in Zürich abgelegtes Staatsexamen wurde in Deutschland nie anerkannt, was F. dazu brachte, den Zusatz „in Zürich promoviert“ als Legitimation für die von ihr gewählte Bezeichnung „Naturärztin“ verwenden zu müssen. – Nach ihrem Studium ging F. nach Sachsen, damals ein Zentrum der entstehenden Naturheilkunde. Als Assistenzärztin war sie in der Oberlößnitzer Naturheilanstalt in Radebeul tätig, deren Gründer Friedrich Eduard Bilz ein weithin berühmter Naturheilkundler war und zum Vorbild für F. wurde. Daneben eröffnete sie im Oktober 1896 ihre eigene Praxis für Frauen- und Kinderheilkunde in Dresden. Seit 1902 praktizierte sie in Loschwitz, ab 1906 in der Villa Artushof, Malerstraße 18. Der benachbarte Dresdner Stadtteil Weißer Hirsch war durch den führenden Vertreter der Naturheilkunde, Heinrich Lahmann, und dessen dortiges Sanatorium weltberühmt. – Viele Künstler und Wissenschaftler verkehrten im Hause F.s, hörten das Klavierspiel der talentierten Pianistin und wurden mit ausschließlich vegetarischer und alkoholfreier Kost versorgt, nicht immer zum ungeteilten Wohlgefallen der anwesenden Gäste. – In ihrer Dresdner Zeit schuf F. das bedeutsamste „Volksaufklärungsbuch“ für Frauen in der Naturheilkunde, auf das sich u.a. ihre nachhaltige Berühmtheit gründet. Das 1901 erstmals erschienene Werk „Die Frau als Hausärztin“ wurde in mehr als 15 Sprachen übersetzt, erfuhr bis in die 1980er-Jahre immer wieder neue Überarbeitungen und ist noch heute weltweit verbreitet. – 1913 verließ F. Sachsen und ging auf den Monte Verità bei Ascona. Dort hatte sie die wirtschaftliche Leitung des von Ida Hofmann sowie Henri Oedenkoven gegründeten Sanatoriums inne. Ihren Lebensabend verbrachte F. in Kassel, überwiegend aber in Ascona, wo sie im Alter von 61 Jahren 1917 starb. 2004 wurde F. auf Initiative des Frauenstadtarchivs Dresden in einer Vorschlagsliste für Straßenbenennungen in Dresden und für Biogramme von Dresdner Frauen aufgeführt.

Quellen Familienarchiv Fischer, Geburts- und Taufschein, aus Geburts- und Taufbuch des Infanterie-Regimentes Nr. 56, tom.3, fol. 3, pro 1856.

Werke Über die Reform der weiblichen Kleidung, Berlin/Leipzig 1890; Die Geburtshilfe vom physiatrischen Standpunkt für Ärzte und Gebildete aller Stände, Berlin 1898; Die heutigen Behandlungsmethoden für Frauenkrankheiten für Ärzte und Gebildete aller Stände, Berlin 1898; Entstehung, Verhütung und Heilung der Frauenkrankheiten aller Altersstufen für Frauen und erwachsene Töchter, Berlin/Dresden 1898; Autobiografische Skizze, in: Jahresbericht des Vereins für erweiterte Frauenbildung Wien, Wien 1898, S. 51-53; Das Geschlechtsleben des Weibes. Eine physiologisch-soziale Studie mit ärztlichen Ratschlägen, Berlin 1900, 191919; Die Frau als Hausärztin. Ein ärztliches Nachschlagebuch der Gesundheitspflege und Heilkunde in der Familie mit besonderer Berücksichtigung der Frauen- und Kinderkrankheiten, Geburtshilfe und Kinderpflege, Stuttgart 1901 (ND Berlin/Darmstadt/Wien 1981); Der Geburtenrückgang. Ursachen und Bekämpfung vom Standpunkt des Weibes, Stuttgart 1914; Was lehrte uns der Krieg? Häusliche Krankenpflege in Kriegszeiten, Stuttgart/Wien 1916; Beiträge zur sexuellen Moral. Aus dem Sprechzimmer einer Ärztin, Leipzig 1917.

Literatur Johanna Bleker, Die ersten Ärztinnen und ihre Gesundheitsbücher für Frauen. Hope Bridges Adams-Lehmann (1855-1916), Anna F. (1856-1917) und Jenny Springer (1860-1917), in: Eva Brinkschulte (Hg.), Weibliche Ärzte. Die Durchsetzung des Berufsbildes in Deutschland, Berlin 1993, S. 65-83; dies./Sabine Schleiermacher, Ärztinnen aus dem Kaiserreich. Lebensläufe einer Generation, Weinheim 2000; Maria Lienert, Anna F. - die erste Naturärztin und ihr Bestseller, in: dies. (Hg.), Naturheilkundliches Dresden, Dresden 2002, S. 117-120; Caris-Petra Heidel, Zentrum der Naturheilkunde, Hygienebewegung und gesundheitlichen Volksaufklärung, in: Holger Starke (Hg.), Geschichte der Stadt Dresden, Bd. 3: Von der Reichsgründung bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006, S. 210-215; Ute Häse/Patrick Bochmann, F., Anna, in: Loschwitz. Illustrierte Ortsgeschichte 1315-2015, Dresden 2015, S. 216f.; Patrick Bochmann, Frauen in der Naturheilbewegung: Anna F. und Klara Muche. Ihre Lebenswege, medizinischen und insbesondere frauenheilkundlichen Auffassungen, Hamburg 2018; Annette Kerckhoff, Wichtige Frauen in der Naturheilkunde. Ihr Leben - Ihr Werk - Ihre Schriften, Berlin 2020. – DBA I, II, III; DBE II 3, S. 362.

Porträt Anna F., um 1910, Fotografie, Familienarchiv Fischer, Wien (Bildquelle).

Patrick Bochmann
9.1.2023


Empfohlene Zitierweise:
Patrick Bochmann, Artikel: Anna Fischer-Dückelmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9603 [Zugriff 22.11.2024].

Anna Fischer-Dückelmann



Quellen Familienarchiv Fischer, Geburts- und Taufschein, aus Geburts- und Taufbuch des Infanterie-Regimentes Nr. 56, tom.3, fol. 3, pro 1856.

Werke Über die Reform der weiblichen Kleidung, Berlin/Leipzig 1890; Die Geburtshilfe vom physiatrischen Standpunkt für Ärzte und Gebildete aller Stände, Berlin 1898; Die heutigen Behandlungsmethoden für Frauenkrankheiten für Ärzte und Gebildete aller Stände, Berlin 1898; Entstehung, Verhütung und Heilung der Frauenkrankheiten aller Altersstufen für Frauen und erwachsene Töchter, Berlin/Dresden 1898; Autobiografische Skizze, in: Jahresbericht des Vereins für erweiterte Frauenbildung Wien, Wien 1898, S. 51-53; Das Geschlechtsleben des Weibes. Eine physiologisch-soziale Studie mit ärztlichen Ratschlägen, Berlin 1900, 191919; Die Frau als Hausärztin. Ein ärztliches Nachschlagebuch der Gesundheitspflege und Heilkunde in der Familie mit besonderer Berücksichtigung der Frauen- und Kinderkrankheiten, Geburtshilfe und Kinderpflege, Stuttgart 1901 (ND Berlin/Darmstadt/Wien 1981); Der Geburtenrückgang. Ursachen und Bekämpfung vom Standpunkt des Weibes, Stuttgart 1914; Was lehrte uns der Krieg? Häusliche Krankenpflege in Kriegszeiten, Stuttgart/Wien 1916; Beiträge zur sexuellen Moral. Aus dem Sprechzimmer einer Ärztin, Leipzig 1917.

Literatur Johanna Bleker, Die ersten Ärztinnen und ihre Gesundheitsbücher für Frauen. Hope Bridges Adams-Lehmann (1855-1916), Anna F. (1856-1917) und Jenny Springer (1860-1917), in: Eva Brinkschulte (Hg.), Weibliche Ärzte. Die Durchsetzung des Berufsbildes in Deutschland, Berlin 1993, S. 65-83; dies./Sabine Schleiermacher, Ärztinnen aus dem Kaiserreich. Lebensläufe einer Generation, Weinheim 2000; Maria Lienert, Anna F. - die erste Naturärztin und ihr Bestseller, in: dies. (Hg.), Naturheilkundliches Dresden, Dresden 2002, S. 117-120; Caris-Petra Heidel, Zentrum der Naturheilkunde, Hygienebewegung und gesundheitlichen Volksaufklärung, in: Holger Starke (Hg.), Geschichte der Stadt Dresden, Bd. 3: Von der Reichsgründung bis zur Gegenwart, Stuttgart 2006, S. 210-215; Ute Häse/Patrick Bochmann, F., Anna, in: Loschwitz. Illustrierte Ortsgeschichte 1315-2015, Dresden 2015, S. 216f.; Patrick Bochmann, Frauen in der Naturheilbewegung: Anna F. und Klara Muche. Ihre Lebenswege, medizinischen und insbesondere frauenheilkundlichen Auffassungen, Hamburg 2018; Annette Kerckhoff, Wichtige Frauen in der Naturheilkunde. Ihr Leben - Ihr Werk - Ihre Schriften, Berlin 2020. – DBA I, II, III; DBE II 3, S. 362.

Porträt Anna F., um 1910, Fotografie, Familienarchiv Fischer, Wien (Bildquelle).

Patrick Bochmann
9.1.2023


Empfohlene Zitierweise:
Patrick Bochmann, Artikel: Anna Fischer-Dückelmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9603 [Zugriff 22.11.2024].