Karl Schäfer

Der als Hochschullehrer und Architekt tätige S. galt im ausgehenden 19. Jahrhundert als der beste Kenner mittelalterlicher Baukunst in Deutschland. Er plädierte für die Gotik als neuen Baustil der Gegenwart, während eine Mehrheit die „deutsche Renaissance“ als nationalen Baustil bevorzugte. S. schuf mit der Westturmanlage des Doms zu Meißen ein großartiges Monument, das in seiner künstlerischen Kraft den Turmbauten des hohen und späten Mittelalters ebenbürtig ist. – S. absolvierte 1860 bis 1862 eine Ausbildung als Architekt bei Georg Gottlob Ungewitter in Kassel. Schon früh beschäftigte er sich mit der Erforschung gotischer Architektur und des mittelalterlichen Kunsthandwerks. Als Hochschullehrer gab er in unterschiedlichen Stellungen sein umfangreiches Wissen über mittelalterliche Bauweisen und Konstruktionen weiter. Beispielsweise war er Lehrer an der Herzoglich Braunschweigischen Baugewerkeschule in Holzminden (1862-1864), Lehrer an der Höheren Gewerbeschule in Kassel (1868-1870), Universitätsbaumeister in Marburg (1871-1877), zugleich Stadtbaumeister in Marburg (1871-1873) und technischer Hilfsarbeiter im Ministerium der öffentlichen Arbeiten in Berlin (1878-1884). An der Bauakademie in Berlin habilitierte er sich 1878 und hielt seit dem folgenden Jahr Vorlesungen an der Technischen Hochschule in Berlin. 1884 wurde ihm der Professorentitel verliehen. In Berlin unterhielt S. gemeinsam mit seinem Schüler Hugo Hartung ein Architekturbüro (1887-1894). Er folgte 1894 einem Ruf an die Technische Hochschule Karlsruhe, an der er bis 1904 lehrte. – S., der die mittelalterliche Architektur durch eigene Forschungen gründlich studiert hatte, wirkte nicht nur durch seine Lehrtätigkeit, die mehrere Architektengenerationen beeinflusste, sondern auch durch seine kunsthistorischen Schriften und Bücher, die sich mit Baukunst, Kunsthandwerk und Malerei auseinandersetzten. Er vertrat die damals umstrittene Ansicht, dass die mittelalterlichen Bauten innen wie außen farbig gefasst gewesen seien. Diese Erkenntnisse setzte er in seiner praktischen Tätigkeit als Architekt um. S. war in Hessen, Brandenburg, Sachsen, Westfalen, Ostpreußen, Schlesien und Baden tätig. Er baute und restaurierte Kirchen und entwarf Villen und Wohnhäuser, Schulgebäude, Gaststätten und Offizierskasinos, wobei er für die Wiederbelebung des gotischen Baustils eintrat. In seinen Bauten zeigt sich eine Vorliebe für kompakte Mauermassen, steile Dächer und Giebelspitzen. Eigenhändig führte S. Wandmalereien und Entwürfe für Glasmalereien aus. Zu seinen wichtigsten Bauten gehören das Hauptgebäude der Universität Marburg (1874-1879), das Domgymnasium in Magdeburg (1879-1881) sowie Torhaus und Aulagebäude der Landesschule in Schulpforte (1879/80). In Freiburg/Breisgau errichtete S. die Universitätsbibliothek (1896-1903), in Straßburg (frz. Strasbourg) restaurierte er die Kirche Jung St. Peter (1897-1902), und nach seinen Plänen wurde der Friedrichsbau des 1689 zerstörten Heidelberger Schlosses wiederaufgebaut (1897-1902). S.s Entwurf für die Wiederherstellung des Ottheinrichbaus des Heidelberger Schlosses löste einen Streit um das Selbstverständnis der modernen Denkmalpflege aus, in dem Georg Dehio, Cornelius Gurlitt und andere die Rekonstruktion zerstörter Gebäude ablehnten. – Aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse gotischer Architektur wurde S. 1899 vom Dombauverein in Meißen eingeladen, Pläne für die Meißner Domtürme zu erstellen. S. konnte sich mit dem Entwurf einer Zweiturmanlage gegen andere Lösungen durchsetzen. Er hatte es verstanden, die Absicht des Dombauvereins, ein Symbol christlichen Glaubens in Sachsen und ein Sinnbild für die Wiederbesinnung auf höhere Werte zu schaffen, in eine überzeugende Architektur umzusetzen. Der Plan wurde 1901 fast einstimmig angenommen und S. zwei Jahre später zum Dombaumeister ernannt. Die Türme sind organisch aus spätgotischen Bauteilen entwickelt, sie lassen bis zu den Spitzen eine innere Spannung verspüren, die deutlich macht, dass S. den Geist mittelalterlicher Baukunst erfasst hat. Die Domtürme in Meißen sind das letzte Ergebnis des „Vollendungsdrangs“ des 19. Jahrhunderts, doch konnte er deren Fertigstellung im Oktober 1908 nicht mehr erleben. 1903/04 an einem schweren Nervenleiden erkrankt, verstarb er Anfang 1908 in der Heilanstalt Karlsfeld bei Brehna. – S. hatte durch seine Lehrtätigkeit in Berlin und Karlsruhe einen weiten Schülerkreis, zu dem Hans Poelzig, Fritz Schumacher und Hermann Muthesius gehörten. Hartung, einer seiner engsten Mitarbeiter, setzte die begonnenen Domarbeiten in Meißen fort und übernahm 1912 S.s früheren Lehrstuhl in Berlin. S.s Eintreten für ein historisch geprägtes Bauen wurde durch die beginnende Moderne überholt, die sich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg durchsetzte. Die Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Dresden wurde S. 1905 verliehen.

Werke Universität Marburg, Hauptgebäude, 1874-1879; Domgymnasium Magdeburg, 1879-1881; Landesschule Schulpforte, Torhaus und Aula, 1879/80; Universitätsbibliothek Freiburg/Breisgau, 1896-1903; Kirche Jung St. Peter Straßburg, 1897-1902; Schloss Heidelberg, Friedrichsbau, 1897-1902; Meißner Dom, Westturmanlage.

Literatur L. Dihm, Karl S., in: Zentralblatt der Bauverwaltung 28/1908, S. 265-270; J. Schuchard, Carl S. 1844-1908, München 1979; M. Donath, Der Ausbau der Westtürme und die Restaurierung 1902 bis 1912, in: G. Donath (Hg.), Die Restaurierung des Doms zu Meißen 1990 bis 2002, Stuttgart 2003, S. 37-43. – DBA I, II, III; DBE 8, S. 548; Thieme/Becker, Bd. 29, Leipzig 1999, S. 550f.

Porträt Meißen, Dom, Gedenktafel für Karl S. im Südwestturm, 1908; Generallandesarchiv Karlsruhe, Signatur J-Ac S Nr. 159 (Bildquelle).

Matthias Donath
12.6.2012


Empfohlene Zitierweise:
Matthias Donath, Artikel: Karl Schäfer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3449 [Zugriff 21.11.2024].

Karl Schäfer



Werke Universität Marburg, Hauptgebäude, 1874-1879; Domgymnasium Magdeburg, 1879-1881; Landesschule Schulpforte, Torhaus und Aula, 1879/80; Universitätsbibliothek Freiburg/Breisgau, 1896-1903; Kirche Jung St. Peter Straßburg, 1897-1902; Schloss Heidelberg, Friedrichsbau, 1897-1902; Meißner Dom, Westturmanlage.

Literatur L. Dihm, Karl S., in: Zentralblatt der Bauverwaltung 28/1908, S. 265-270; J. Schuchard, Carl S. 1844-1908, München 1979; M. Donath, Der Ausbau der Westtürme und die Restaurierung 1902 bis 1912, in: G. Donath (Hg.), Die Restaurierung des Doms zu Meißen 1990 bis 2002, Stuttgart 2003, S. 37-43. – DBA I, II, III; DBE 8, S. 548; Thieme/Becker, Bd. 29, Leipzig 1999, S. 550f.

Porträt Meißen, Dom, Gedenktafel für Karl S. im Südwestturm, 1908; Generallandesarchiv Karlsruhe, Signatur J-Ac S Nr. 159 (Bildquelle).

Matthias Donath
12.6.2012


Empfohlene Zitierweise:
Matthias Donath, Artikel: Karl Schäfer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3449 [Zugriff 21.11.2024].