Kaskel Mendel

Die Biografie Kaskel Mendels steht geradezu exemplarisch für das sich im Lauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts emanzipierende jüdische Bürgertum, dem nicht nur der wirtschaftliche, sondern auch der soziale Aufstieg in der Dresdner Stadtgesellschaft gelang. – Über die Kindheit und Jugend Mendels ist kaum etwas bekannt. Bereits sein Vater Israel Mendel Raudnitz lebte in Dresden. Eine ursprüngliche Herkunft der Familie aus Böhmen wird aufgrund des Nachnamens vermutet, der auf die nordböhmische Stadt Raudnitz (tsch. Roudnice nad Labem) verweist. In einem Verzeichnis der jüdischen Gemeinde der Stadt Dresden von 1835 wird der Vater als „bemittelt“ bezeichnet, gehörte also zur vermögenderen Schicht der jüdischen Einwohner. Mendel besuchte wahrscheinlich eine jüdische Grundschule und könnte auch Schüler bei Marcus David Landau in dessen jüdischer Privatschule gewesen sein, zumindest legt dies die Lebensbeschreibung Bernhard Hirschels nahe, der ein Jugend- und Schulfreund Mendels war. – Eine erste gesicherte Nachricht über den weiteren Lebensweg von Mendel findet sich in seiner Eheurkunde vom September 1841. Darin wird berichtet, dass Mendel als Lotterieeinnehmer tätig war, er also mit Lotterielosen handelte. Zu jener Zeit lebte Mendel mit seiner Ehefrau Bertha Mendel auf der Schreibergasse 7, unweit des Dresdner Altmarkts. Als Inhaberin einer Putzhandlung ging Bertha Mendel einer selbstständigen Tätigkeit nach. Im Dezember 1843 stellte Mendel einen Antrag auf Erteilung des Bürgerrechts, da er gewillt war, ein Lohnkutschergewerbe anzumelden. Mendel erwies sich hierbei als offensiv agierender Geschäftsmann. Sein Antrag hing wahrscheinlich damit zusammen, dass die Stadt Dresden im Herbst 1843 die Gründung einer mit Konzessionen ausgestatteten Droschkenanstalt ausgerufen und hierfür um die Beteiligung lokaler Lohnkutscher geworben hatte. Mendel erklärte am 5.1.1844 - noch ohne im Besitz des Bürgerrechts zu sein, das er jedoch wenige Tage später erhielt - seine Teilnahme an diesem Vorhaben und meldete für die von der Stadt geplanten 50 Droschken 20 bis 25 eigene Fahrzeuge an, obwohl er zu diesem Zeitpunkt erst über eine Droschke verfügte. Von den ihm ursprünglich zugesprochenen bis zu 17 Droschken wurde Mendel letztlich nur eine einzige bewilligt, was nicht nur zu einem bis 1849 andauernden und mehrere Instanzen berührenden Rechtsstreit mit der Stadt Dresden führte, sondern auch mit antijüdischen Vorwürfen gegen den Fuhrunternehmer einherging. Hintergrund war, dass die städtischen Behörden - nicht zu Unrecht - ein Monopol Mendels fürchteten. Ihm wurde dabei vorgeworfen, Strohmann eines im Hintergrund agierenden jüdischen Droschkenvereins zu sein, dessen Mitglieder kein Bürgerrecht besäßen, was Mendel vehement abstritt. Wahrscheinlich blickten auch die Dresdner Lohnkutscher kritisch auf den neuen Kontrahenten, der mit Macht auf den Markt drängte: So berichtete Mendel etwa von Beschädigungen und Manipulationen an seinen Droschken sowie von einem Artikel im „Dresdner Anzeiger“, der vor Fahrten in den „jüdischen Droschken“ warnte. – Obgleich Mendel zu Beginn seiner Tätigkeit als Droschkenbesitzer Schwierigkeiten mit seinen Kollegen sowie den städtischen Behörden hatte, baute er sein Unternehmen erfolgreich aus, wobei sich auch sein Verhältnis zur städtischen Gemeinde verbesserte. Z.B. erhielt er vom Dresdner Stadtverordnetenkollegium 1853 als einer von drei Dresdner Lohnkutschern die Erlaubnis, einen Droschkennachtdienst anzubieten. Als sein Wohn- und Arbeitsort wird in dieser Zeit das Haus An der Frauenkirche 8 angegeben, in dessen Vorderhaus sich das Hôtel de Petersburg befand und in dessen Umfeld Mendel auch Stallungen besaß. 1854 stieg Mendel zum Vorsitzenden des Dresdner „Lohnkutscher-Vereins“ (auch Droschken- und Fiaker-Besitzer-Verein) auf. Seine Staatstreue zeigt er in dieser Zeit z.B. 1856 anlässlich einer Spendensammlung für ein Denkmal für den kurz zuvor verstorbenen König Friedrich August II., wo er sowohl als Spender als auch als Vertreter des Droschkenvereins auftrat. 1862, nach der Abschaffung der Vorrechte der Zünfte und Innungen durch die neue Sächsische Gewerbeordnung, erhielt Mendel neben dem Fuhrgewerbe noch die Konzession für ein Wagenbauunternehmen. Eine 1860 angestrebte Zusammenarbeit mit der Mineralwasserfabrik von Gustav Adolph Struve zum Verkauf von Sodawasser an öffentlichen Plätzen in Dresden scheiterte hingegen wahrscheinlich an der Nichterteilung der Konzession durch die Dresdner Stadtverordneten. – Eine bedeutende Erweiterung erfuhr Mendels Geschäftsbetrieb durch den Kontakt zu dem Apotheker und Chemiker Otto Rudolph Abendroth. Dieser hatte ein Verfahren entwickelt, um aus den Inhalten der städtischen Kloaken gewinnbringend Düngemittel für die Landwirtschaft herzustellen. Im Sommer 1858 erteilte die Stadtverordnetenversammlung Abendroth die Konzession für die linkselbische Seite zur alleinigen Verarbeitung und zum Export der städtischen Fäkalien, während Mendels Fuhrunternehmen für den Abtransport zuständig war. Zunächst erhielt Mendel hierfür eine Fläche am Böhmischen Bahnhof, von wo aus er den Dünger gewinnbringend an die Bauern des Dorfs Strehlen und anderer Dörfer im Süden Dresdens verkaufte. Gemeinsam mit Abendroth übernahm Mendel als Direktor die Leitung der sog. Städtischen Düngerexport-Anstalt (später Actienverein für Düngerexport), deren alleinige Leitung Mendel ab 1864 innehatte. Mit dem Ausstieg Abendroths übernahm er auch dessen Konzession zur fabrikmäßigen Verarbeitung des Düngers (sog. Poudrettenfabrik) und den Produktionsstandort am Tatzberg in der Nähe des Trinitatisfriedhofs am Rand des Blasewitzer Tännichts, den er von der Stadt pachtete. Noch heute befindet sich hier der Sitz der Dresdner Stadtreinigung. 1867 wurde die Konzession, die nur sein Unternehmen berechtigte, die städtischen Abprodukte zu sammeln und zu verarbeiten, erneuert. Der Düngerexport von Mendels Unternehmen erfolgt auch über die Grenzen Sachsens hinaus bis nach Schlesien. Die anhaltenden Diskussionen und Beschwerden über Mendels Düngerfabrikation am Tatzberg, die sich im Stadtarchiv Dresdens erhalten haben, bieten dabei einen spannenden Einblick in Umweltdebatten im 19. Jahrhundert. – Für Mendel waren sowohl sein Fuhrunternehmen als auch die Leitung der Düngerexport-Anstalt wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmungen, die ihm zudem den sozialen Aufstieg ermöglichten. Dies zeigt u.a. seine Mitgliedschaft in der Privilegierten Bogenschützengilde, der ältesten Schützengilde der Stadt, zu deren Mitgliedern hoch angesehene Bürger der Stadtgesellschaft und des Hofs bis hin zum sächsischen König zählten. Auch die Ehe seiner Tochter mit dem erfolgreichen Textilgroßhändler und Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Dresden Adolf Salzburg steht stellvertretend für die soziale Stellung Mendels. Schließlich lässt sich sein Aufstieg auch an seinen Wohnverhältnissen ablesen: Lebte er noch in den 1840er-Jahren am Rand der Altstadt, bewohnte er spätestens ab 1860 städtische Spitzenlagen, zunächst im Haus Altmarkt 11, wo Bertha Mendel auch ihr Putzgeschäft im Erdgeschoss betrieb, und ab 1867 im Barockbau An der Kreuzkirche 2. Neben Stallungen außerhalb der Stadt in der Pirnaischen Vorstadt (Neue Gasse 3) erwarb Mendel dort zudem 1861 drei zusammenhängende Wohngebäude auf der Großen bzw. auf der Kleinen Ziegelgasse, für die er auch ein Darlehen der eigentlich künstlerisch-kulturell ausgerichteten Tiedge-Stiftung erhielt, was wiederum auf seine Einbindung in städtische Netzwerke verweist. – In der jüdischen Gemeinde selbst nahm Mendel wohl keine leitende Funktion ein. Gleichwohl war er in interne Konflikte involviert. Auseinandersetzungen mit dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde Jonas Abraham Bondi führten um 1850 sogar zu Gerichtsprozessen. – Mendel starb am 6.7.1870 unerwartet an den Folgen einer Fußoperation. Er wurde zwei Tage später auf dem Neuen Jüdischen Friedhof bestattet.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10047 Amt Dresden, Nr. 130, 10736 Ministerium des Innern, Nr. 826c; Stadtarchiv Dresden, 2.1 Ratsarchiv, Judenregister, C.XVII.141m, 148b, C.XXI.20.77-151, 2.3.9 Gewerbeamt A, M.2516, 12.3-13 Tiedge-Stiftung. – Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner, 1797, S. 110; Dresdner Adressbücher 1841-1870; Grabinschrift Kaskel Mendel, epidat - epigraphische Datenbank.

Literatur Dresdner Anzeiger und Tageblatt 3.11.1853, S. 1, 19.9.1856, S. 1; Dresdner Journal 23.7.1858, S. 799; Bernhard Hirschel, Meine Lebensgeschichte, S. 8 [Ms., Leo Baeck Institute Archive, LBI Memoir Collection, ME 316a; Karl von Salviati/Oskar Roeder/Karl Hermann Eichhorn, Die Abfuhr und Verwertung der Dungstoffe in verschiedenen deutschen und ausserdeutschen Städten, Berlin 1865, S. 84-88; Sächsische Dorfzeitung 12.7.1870, S. 5; Friedrich Salzburg, Mein Leben in Dresden vor und nach dem 30. Januar 1933. Lebensbericht eines jüdischen Rechtsanwaltes aus dem amerikanischen Exil im Jahr 1940, bearb. von Sabine Wenzel, Dresden 2001; Sabine Wenzel, Drei Villen in Dresden. Die Geschichte einer Familie zwischen Kaiserreich und Zweitem Weltkrieg, Dresden 2019; Frank Männig, Dresdner Kanalisationsgeschichte, Teil 16: Kaskel Mendels Fäkalienabfuhrunternehmen und die spätere Dünger-Export-Gesellschaft; ders., Geschichte der Alten Dresdner Kanalisation, Teil 7: Fäkalienmanagment im 19. Jahrhundert, in: Rundbrief Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. 60/2022, S. 14-18; Daniel Ristau, Die Familie Bondi und das „Jüdische“. Beziehungsgeschichte unter dem bürgerlichen Wertehimmel, 1790-1870, Göttingen 2023.

Porträt Kaskel Mendel, Fotografie, vor 1870, Privatarchiv Allan Salisbury, London, in: Friedrich Salzburg, Mein Leben in Dresden vor und nach dem 30. Januar 1933. Lebensbericht eines jüdischen Rechtsanwaltes aus dem amerikanischen Exil im Jahr 1940 (Lebenszeugnisse - Leidenswege 13), bearb. und eingel. Von Sabine Wenzel, Dresden 2001, S. 20 (Bildquelle).

Henrik Schwanitz
19.8.2025


Empfohlene Zitierweise:
Henrik Schwanitz, Artikel: Kaskel Mendel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27892 [Zugriff 6.9.2025].

Kaskel Mendel



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10047 Amt Dresden, Nr. 130, 10736 Ministerium des Innern, Nr. 826c; Stadtarchiv Dresden, 2.1 Ratsarchiv, Judenregister, C.XVII.141m, 148b, C.XXI.20.77-151, 2.3.9 Gewerbeamt A, M.2516, 12.3-13 Tiedge-Stiftung. – Dresden zur zweckmäßigen Kenntniß seiner Häuser und deren Bewohner, 1797, S. 110; Dresdner Adressbücher 1841-1870; Grabinschrift Kaskel Mendel, epidat - epigraphische Datenbank.

Literatur Dresdner Anzeiger und Tageblatt 3.11.1853, S. 1, 19.9.1856, S. 1; Dresdner Journal 23.7.1858, S. 799; Bernhard Hirschel, Meine Lebensgeschichte, S. 8 [Ms., Leo Baeck Institute Archive, LBI Memoir Collection, ME 316a; Karl von Salviati/Oskar Roeder/Karl Hermann Eichhorn, Die Abfuhr und Verwertung der Dungstoffe in verschiedenen deutschen und ausserdeutschen Städten, Berlin 1865, S. 84-88; Sächsische Dorfzeitung 12.7.1870, S. 5; Friedrich Salzburg, Mein Leben in Dresden vor und nach dem 30. Januar 1933. Lebensbericht eines jüdischen Rechtsanwaltes aus dem amerikanischen Exil im Jahr 1940, bearb. von Sabine Wenzel, Dresden 2001; Sabine Wenzel, Drei Villen in Dresden. Die Geschichte einer Familie zwischen Kaiserreich und Zweitem Weltkrieg, Dresden 2019; Frank Männig, Dresdner Kanalisationsgeschichte, Teil 16: Kaskel Mendels Fäkalienabfuhrunternehmen und die spätere Dünger-Export-Gesellschaft; ders., Geschichte der Alten Dresdner Kanalisation, Teil 7: Fäkalienmanagment im 19. Jahrhundert, in: Rundbrief Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. 60/2022, S. 14-18; Daniel Ristau, Die Familie Bondi und das „Jüdische“. Beziehungsgeschichte unter dem bürgerlichen Wertehimmel, 1790-1870, Göttingen 2023.

Porträt Kaskel Mendel, Fotografie, vor 1870, Privatarchiv Allan Salisbury, London, in: Friedrich Salzburg, Mein Leben in Dresden vor und nach dem 30. Januar 1933. Lebensbericht eines jüdischen Rechtsanwaltes aus dem amerikanischen Exil im Jahr 1940 (Lebenszeugnisse - Leidenswege 13), bearb. und eingel. Von Sabine Wenzel, Dresden 2001, S. 20 (Bildquelle).

Henrik Schwanitz
19.8.2025


Empfohlene Zitierweise:
Henrik Schwanitz, Artikel: Kaskel Mendel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27892 [Zugriff 6.9.2025].