Otto Glauning
Die Universitätsbibliothek Leipzig wurde unter der Federführung G.s maßgeblich reorganisiert und modernisiert. Sie stieg dank der umfassenden Reformmaßnahmen zu einer der führenden Universitätsbibliotheken Deutschlands auf und wurde von G. durch die Zeit der Wirtschaftskrisen und die ersten Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft geführt. – G. studierte in
Erlangen,
München und
Berlin Neuere Philologie und Germanistik und wurde 1902 über die Gedichte des englischen Hofdichters John Lydgate promoviert. Bereits 1899 war er als Volontär in den bibliothekarischen Dienst der Hof- und Staatsbibliothek München eingetreten und setzte dort seine Laufbahn fort. Ab 1901 war er Assistent, drei Jahre später Sekretär. 1909 wurde er zum Kustos und 1911 zum Staatsoberbibliothekar ernannt. Während seiner Zeit in München war G. Leiter der Handschriftenabteilung und widmete sich der mittelalterlichen Paläografie. Er bearbeitete verschiedene Bibliotheken bayerischer Klöster für die „Mittelalterlichen Bibliothekskataloge“ und beteiligte sich an der Faksimile-Reihe „Seltenheiten aus süddeutschen Bibliotheken“. Während des Ersten Weltkriegs sammelte er kleinere Drucksachen aus dem Krieg für die „Kriegssammlung“. Seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt legte G. auf die Einbandsammlung, die er in München aufbaute und die ihn sein gesamtes wissenschaftliches Leben begleiten sollte. – 1921 wurde G. zum Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig berufen und zum Honorarprofessor für Buchwissenschaften an der Universität Leipzig ernannt. Darüber hinaus übernahm er den Vorsitz des Prüfungsamts für das Bibliothekswesen in Sachsen. Die Universitätsbibliothek selbst hatte zu G.s Amtsantritt großen Reformbedarf und war den Anforderungen der Zeit nicht mehr gewachsen. G. widmete sich verstärkt der Reorganisation und Modernisierung des gesamten Bibliotheksbetriebs, wobei er großen Wert auf die Ausbildung der Bibliothekare im mittleren und höheren Dienst legte. Unter seiner Ägide wurde der Lesesaal umgestaltet, die Verwaltung der Zeitschriften neu aufgebaut und ein neuer Zeitschriftenlesesaal geschaffen. Auch die Ausleihe wurde erneuert und der Büchertransport zur Lesehalle motorisiert. Die Modernisierung umfasste zudem den Katalog. 1930 wurde ein Nominalkatalog eingeführt, ab 1935 begann G. mit der Implementierung des bibliothekarischen Regelwerks nach den Preußischen Instruktionen. Trotz der finanziellen Schwierigkeiten durch die Hyperinflation am Beginn seiner Amtszeit und der Weltwirtschaftskrise ab 1929 gelang es G., die Bestände der Bibliothek stetig zu vergrößern. Dazu gehörten verschiedene, zum Teil umfassende historische Sammlungen, wie die Ibsen-Sammlung von Henry Lewis Mencken, die 1928 erworben werden konnte, sowie 30 beträchtliche Nachlässe bedeutender Gelehrter aus Leipzig, darunter jene des Geografen Hans Meyer und des Nationalökonomen und Leipziger Universitätsrektors Karl Bücher. 1930 wurden die bedeutenden Bibliotheken der Leipziger Stadtkirchen St. Thomas und St. Nikolai der Universitätsbibliothek als Dauerleihgabe übergeben. Nach 1933 profitierte die Bibliothek zudem vermehrt von enteigneten Beständen. G. beschwerte sich gar beim sächsischen Ministerium für Volksbildung, dass die Universitätsbibliothek bei der Verteilung von Büchern stärker berücksichtigt werden müsse. Anders als sein Nachfolger Fritz Prinzhorn, der ein überzeugter Nationalsozialist war, stand der deutschnational-konservative G. dem NS-Regime jedoch insgesamt verhalten gegenüber. Er war im Frühjahr 1933 nicht in die NSDAP eingetreten, suchte aber in der Folgezeit, nicht zuletzt aus Karrieregründen, den Kontakt zu anderen NS-Organisationen. Als Beamter musste G. den Eid auf Adolf Hitler ablegen, der Hitlergruß wurde obligatorisch und wichtige politische Reden, etwa zum 1. Mai, wurden vom Bibliothekspersonal gemeinsam gehört. G.s Distanz zum Nationalsozialismus trat selten offen zutage. 1940, drei Jahre nach seinem Ausscheiden, positionierte er sich klar gegen Versuche, Frauen aus dem mittleren Bibliotheksdienst zu drängen. Die zunehmende Einengung seines Handlungsspielraums führte dazu, dass sich G. in den vermeintlich unpolitischen Bereich der wissenschaftlichen Arbeit zurückzuziehen versuchte. Er beantragte eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand, die 1937 gewährt wurde, und begründete diesen unerwarteten Schritt mit dem schlechten Gesundheitszustand seiner Frau. Er zog nach München, blieb aber mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Universitätsbibliothek Leipzig weiterhin in Kontakt. G. widmete sich zuletzt der Edition von Handschriftenfragmenten. Er starb 1941 kurz nach seinem 67. Geburtstag.
Werke (Hg.), Lydgateʼs Minor Poems. The Two Nightingale Poems (A. D. 1446). Edited from the Manuscripts with Introduction, Notes, and Glossary, London 1900 (ND Millwood/New York 1987); Deutsche Schrifttafeln des 9. bis 16. Jahrhunderts aus Handschriften der Königlichen Hof- und Staatsbibliothek München, 5 Bde., München 1910-1930; Die gegenwärtige Lage der deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken, München 1926.
Literatur Heinrich Schreiber (Hg.), Otto G. zum 60. Geburtstag. Festgabe aus Wissenschaft und Bibliothek, 2 Bde., Leipzig 1936/1938; ders., Otto G. 1876-1941, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 60/1943, H. 5, S. 193-214; Friedhilde Krause (Hg.), Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Bd. 18: Sachsen, Hildesheim/Zürich/New York 1997; Konrad von Rabenau, Bibliotheksleitung und persönliche Orientierung. Anmerkungen zu Otto G. (Leipzig), Theodor Lockemann (Jena) und Hermann Blumenthal (Weimar), in: Michael Knoche/Wolfgang Schmitz (Hg.), Wissenschaftliche Bibliothekare im Nationalsozialismus. Handlungsspielräume, Kontinuitäten, Deutungsmuster, Wiesbaden 2011, S. 113-141 (P). – DBA II, III; DBE II 3, S. 850; NDB 6, S. 439; Alexandra Habermann/Rainer Klemmt/Frauke Siefkes (Hg.), Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985, S. 93f.
Porträt Otto G., undatierte Fotografie, Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Inventar-Nr. N00732-1, via Professorenkatalog der Universität Leipzig (Bildquelle).
Friedrich Quaasdorf
30.8.2022
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Quaasdorf, Artikel: Otto Glauning,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25012 [Zugriff 22.11.2024].
Otto Glauning
Werke (Hg.), Lydgateʼs Minor Poems. The Two Nightingale Poems (A. D. 1446). Edited from the Manuscripts with Introduction, Notes, and Glossary, London 1900 (ND Millwood/New York 1987); Deutsche Schrifttafeln des 9. bis 16. Jahrhunderts aus Handschriften der Königlichen Hof- und Staatsbibliothek München, 5 Bde., München 1910-1930; Die gegenwärtige Lage der deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken, München 1926.
Literatur Heinrich Schreiber (Hg.), Otto G. zum 60. Geburtstag. Festgabe aus Wissenschaft und Bibliothek, 2 Bde., Leipzig 1936/1938; ders., Otto G. 1876-1941, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 60/1943, H. 5, S. 193-214; Friedhilde Krause (Hg.), Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Bd. 18: Sachsen, Hildesheim/Zürich/New York 1997; Konrad von Rabenau, Bibliotheksleitung und persönliche Orientierung. Anmerkungen zu Otto G. (Leipzig), Theodor Lockemann (Jena) und Hermann Blumenthal (Weimar), in: Michael Knoche/Wolfgang Schmitz (Hg.), Wissenschaftliche Bibliothekare im Nationalsozialismus. Handlungsspielräume, Kontinuitäten, Deutungsmuster, Wiesbaden 2011, S. 113-141 (P). – DBA II, III; DBE II 3, S. 850; NDB 6, S. 439; Alexandra Habermann/Rainer Klemmt/Frauke Siefkes (Hg.), Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985, S. 93f.
Porträt Otto G., undatierte Fotografie, Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Inventar-Nr. N00732-1, via Professorenkatalog der Universität Leipzig (Bildquelle).
Friedrich Quaasdorf
30.8.2022
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Quaasdorf, Artikel: Otto Glauning,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25012 [Zugriff 22.11.2024].