Fritz Prinzhorn

P. gehörte zu den Begründern der wissenschaftlichen Dokumentation in Deutschland. Als bekennender Anhänger des NS-Regimes und Direktor der Leipziger Universitätsbibliothek avancierte er zu einem der bedeutendsten Vertreter des nationalsozialistischen Bibliothekswesens und war dennoch auch nach 1945 im bundesdeutschen Bibliotheksdienst tätig. – P. stammte aus einem Berliner Lehrerhaushalt und studierte Mathematik, Naturwissenschaften, Philosophie und Geschichte in Berlin und Jena, wo er 1918 mit der Arbeit „Die Haut und die Rückbildung der Haare beim Nackthunde“ promoviert wurde. Ein Jahr später wurde er Volontär an der Staatsbibliothek in Berlin. Nachdem er 1926 zum Bibliotheksrat ernannt worden war, übernahm er im folgenden Jahr die kommissarische Leitung der Bibliothek der Technischen Hochschule Berlin. Von 1929 an war P. Direktor der Bibliothek der Technischen Hochschule Danzig (poln. Gdańsk) und wurde 1937 zum außerplanmäßigen Professor für Buchwissenschaften ernannt. – Im Mai 1933 trat P. der NSDAP bei und profilierte sich bei der Umsetzung der NS-Ideologie im Bibliothekswesen. Er setzte erfolgreich gegen alle Widerstände durch, dass die 30. Jahresversammlung der Deutschen Bibliothekare in der Freien Stadt Danzig stattfand, die wohlgemerkt nicht zum Deutschen Reich gehörte. In seinem dort gehaltenen programmatischen Vortrag „Die Aufgaben der Bibliotheken im nationalsozialistischen Deutschland“ trat er vorbehaltlos für den Nationalsozialismus ein. 1939 wurde P. zum Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig ernannt. Frühzeitig hatte er durch die Arbeit an verschiedenen Bibliografien - mit dem Schwerpunkt Osteuropa - die Bedeutung der Dokumentation erkannt, hatte internationale Konferenzen besucht und über das Thema publiziert. 1941 war er Gründungsmitglied der „Deutschen Gesellschaft für Dokumentation“, deren erster Vorsitzender er wurde. Die vorrangige Aufgabe der Gesellschaft war die Sammlung von technologisch und militärisch relevanten Inhalten aus ausländischen Publikationen unter Aufsicht des Reichssicherheitshauptamts. Durch die Herausgeberschaft der mehrbändigen „Europa-Bibliographie“ im Auftrag des SS-Standartenführers Alfred Six unterhielt er zudem Kontakte in die höchsten Kreise des Sicherheitsdiensts der SS. Seine Beziehungen im NS-Machtapparat nutzte P., um die Bestände der Universitätsbibliothek Leipzig zu erweitern. 1941 setzte er sich für den Erwerb von 800 Bänden des serbischen Verlags Geca Kon aus Belgrad ein und ließ die Universitätsbibliothek auch anderweitig von NS-Raubgut profitieren. Bereits 1939 bis 1940 hatte er im direkten Kontakt mit einem Feldwebel der Wehrmacht im besetzten Polen gestanden und umging damit den vorgeschriebenen Behördengang über das Reichssicherheitshauptamt. Aus der Stadt Krośniewice (Polen) wurden auf diesem Weg neun Thorarollen direkt nach Leipzig gebracht, die P. angesichts der drohenden Niederlage 1945 als belastendes Material in einem Zwischengeschoss der Bibliothek verstecken ließ. Erst im Zuge des Wiederaufbaus des Bibliotheksgebäudes 1998 wurden sie wiederentdeckt und der jüdischen Gemeinde Leipzigs zur feierlichen Beisetzung übergeben. – Nicht nur seine Verstrickungen mit dem NS-Regime, sondern v.a. der bislang unbewiesene Vorwurf eines Mitarbeiters der Universitätsbibliothek, P. sei selbst SS-Mitglied gewesen, führten dazu, dass P. im Oktober 1945 von seinem Amt suspendiert wurde. Dennoch gelang es ihm, im bundesdeutschen Bibliothekswesen wieder Fuß zu fassen. Der anerkannte Bibliothekswissenschaftler Georg Leyh entlastete P. zwar nicht politisch und weigerte sich, ein von P. selbst verfasstes Zeugnis zu unterzeichnen, bescheinigte ihm jedoch dessen fachliche Kompetenzen. Nachdem er 1949 in leitender Funktion am Aufbau der Bibliothek des Auslandskundlichen Instituts in Bremen mitgewirkt hatte, wurde P. 1951 - trotz des Protests von NS-Opfern - Leiter der Bibliothek des Auswärtigen Amts in Bonn und vier Jahre später verbeamtet. Er veröffentliche weiterhin zur Dokumentation, nahm aber in keinen wissenschaftlichen Fachorganisationen zur Dokumentation oder zum Bibliothekswesen mehr Funktionen wahr. 1967 nahm sich P. das Leben.

Werke Die Haut und die Rückbildung der Haare beim Nackthunde, in: Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft 57 (1921), S. 143-198; Die Aufgaben der Bibliotheken im nationalsozialistischen Deutschland, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 51/1934, S. 465-471; (Hg.), Europa-Bibliographie, Leipzig 1940-1944; Die Dokumentation und ihre Probleme, Leipzig 1943.

Literatur Manfred Komorowski, Die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Erbe im wissenschaftlichen Bibliothekswesen nach 1945, in: ders./Peter Vodosek (Hg.), Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Bd. 2, Wiesbaden 1992, S. 273-295; Elke Behrends, Technisch-wissenschaftliche Dokumentation in Deutschland von 1900 bis 1945, unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Bibliothek und Dokumentation, Wiesbaden 1995; Peter König/Cordula Reuß, Die Thorarollen zu Leipzig. Eine bibliothekarische Spurensuche, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 9/2010, S. 85-95; Cordula Reuß, Die Universitätsbibliothek Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus, in: dies. (Hg.), NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Leipzig, Leipzig 2011, S. 6-19; Michael Knoche, „Es ist doch einfach grotesk, dass wir für die Katastrophe mitverantwortlich gemacht werden.“ Die Einstellung von deutschen wissenschaftlichen Bibliothekaren zu ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus, in: Klaus Kempf/Sven Kuttner (Hg.), Das deutsche und italienische Bibliothekswesen im Nationalsozialismus und Faschismus. Versuch einer vergleichenden Bilanz, Wiesbaden 2013, S. 203-220 (P). – DBA III; DBE 8, S. 85; Alexandra Habermann/Rainer Klemmt/Frauke Siefkes (Hg.), Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt 1985, S. 258f; Severin Corsten/Stephan Füssel/Günther Pflug (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 6, Stuttgart 22003, S. 106f.; Gerd Simon/Ulrich Schermaul, Chronologie Fritz Prinzhorn, 2005.

Friedrich Quaasdorf
27.7.2020


Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Quaasdorf, Artikel: Fritz Prinzhorn,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26030 [Zugriff 22.12.2024].

Fritz Prinzhorn



Werke Die Haut und die Rückbildung der Haare beim Nackthunde, in: Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft 57 (1921), S. 143-198; Die Aufgaben der Bibliotheken im nationalsozialistischen Deutschland, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 51/1934, S. 465-471; (Hg.), Europa-Bibliographie, Leipzig 1940-1944; Die Dokumentation und ihre Probleme, Leipzig 1943.

Literatur Manfred Komorowski, Die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Erbe im wissenschaftlichen Bibliothekswesen nach 1945, in: ders./Peter Vodosek (Hg.), Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Bd. 2, Wiesbaden 1992, S. 273-295; Elke Behrends, Technisch-wissenschaftliche Dokumentation in Deutschland von 1900 bis 1945, unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Bibliothek und Dokumentation, Wiesbaden 1995; Peter König/Cordula Reuß, Die Thorarollen zu Leipzig. Eine bibliothekarische Spurensuche, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 9/2010, S. 85-95; Cordula Reuß, Die Universitätsbibliothek Leipzig in der Zeit des Nationalsozialismus, in: dies. (Hg.), NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Leipzig, Leipzig 2011, S. 6-19; Michael Knoche, „Es ist doch einfach grotesk, dass wir für die Katastrophe mitverantwortlich gemacht werden.“ Die Einstellung von deutschen wissenschaftlichen Bibliothekaren zu ihrer Vergangenheit im Nationalsozialismus, in: Klaus Kempf/Sven Kuttner (Hg.), Das deutsche und italienische Bibliothekswesen im Nationalsozialismus und Faschismus. Versuch einer vergleichenden Bilanz, Wiesbaden 2013, S. 203-220 (P). – DBA III; DBE 8, S. 85; Alexandra Habermann/Rainer Klemmt/Frauke Siefkes (Hg.), Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt 1985, S. 258f; Severin Corsten/Stephan Füssel/Günther Pflug (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 6, Stuttgart 22003, S. 106f.; Gerd Simon/Ulrich Schermaul, Chronologie Fritz Prinzhorn, 2005.

Friedrich Quaasdorf
27.7.2020


Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Quaasdorf, Artikel: Fritz Prinzhorn,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26030 [Zugriff 22.12.2024].