Ernst Giese
Nach dem Schulbesuch in Bautzen studierte G. in Dresden am Königlich Sächsischen Polytechnikum und an der Akademie der Bildenden Künste, wo er ein Schüler Hermann Nicolais war. 1855 erhielt er den großen Preis der Kunstakademie, der ein zweijähriges Reisestipendium für Italien beinhaltete. G.s Italienreise von April 1855 bis Dezember 1857 umfasste Aufenthalte in
Venedig,
Verona,
Florenz,
Rom und
Pompeji. Von der Vielzahl an Architekturzeichnungen, die G. von den italienischen Baudenkmälern anfertigte, hat sich u.a. eine Zeichnung des Hofs des Palazzo Vecchio im Dresdner Kupferstichkabinett erhalten. – Nach seiner Rückkehr nach Dresden war G. zunächst mit Bernhard Schreiber - ebenfalls ein Schüler Nicolais - assoziiert. Sein erstes großes Werk war die Festhalle des 1. Deutschen Sängerbundfests in Dresden von 1865, ein temporärer Bau mit malerisch-fantastischem Aussehen. – 1866 bis 1872 wirkte G. in
Düsseldorf an der Kunstakademie als Lehrer für Baukunst. Hiernach kehrte er nach Dresden zurück und gründete 1874 mit Paul Weidner ein Architekturbüro, das in Dresden im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine führende Rolle spielen sollte. Auch Weidner, wie G. später zum königlich sächsischen Baurat ernannt, hatte in Dresden studiert und 1870 eine Studienreise nach Rom gemacht. Für Düsseldorf entstanden in den Anfangsjahren dieser Zusammenarbeit die Entwürfe für das Neue Theater (Stadttheater, 1875 eröffnet) und die Kunsthalle (1881), die beide im Zuge der Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg beschädigt und später umgebaut bzw. abgerissen wurden. Am Entwurf für das Stadttheater war zudem der junge Cornelius Gurlitt beteiligt, der einen Teil seiner Architektenausbildung bei G. und Weidner absolvierte. – G.s bedeutendste Dresdner Bauwerke stammen allesamt aus der Verbindung mit Weidner, so die Martin-Luther-Kirche (1883-1887) in der Antonstadt (Äußere Neustadt), die romanische und gotische Formen verbindet und die nach dem Wettbewerbsentwurf von 1882 entstand. Die Kirche mit dem schlanken, gotisierenden Turm ist eine Pseudobasilika mit Querhaus. Sie war nach der Dreikönigskirche (18. Jahrhundert) erst der zweite Kirchenbau in der Neustadt. G. und Weidner schufen auch die städtebauliche Planung für den die Kirche umschließenden Martin-Luther-Platz. Neben Wohnhausbauten in Dresden und Umgebung beteiligten sich beide auch an nationalen Bauwettbewerben, so für das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig (1885, 3. Preis) und den Frankfurter Hauptbahnhof (1881). Aus dem Wettbewerb für den neuen Dresdner Hauptbahnhof (1892) gingen G. und Weidner gleichzeitig mit dem Baurat Arwed Rossbach als Sieger hervor. Der kombinierte Kopf- und Durchgangsbahnhof, der den Böhmischen Bahnhof ersetzte, wurde 1893 bis 1898 von der Firma „Giese & Weidner“ ausgeführt, wobei auch Ideen Rossbachs Aufnahme fanden. Der Bau des Hauptbahnhofs stand im Zusammenhang mit den Neubauten der innerstädtischen Bahnanlagen 1890 bis 1901. Das dreischiffige, funktionale System der Bahnsteighallen wird nach Osten von einem repräsentativen Empfangsgebäude (Mittelrisalit, Kuppelbau über Thermenfenster etc.) abgeschlossen, das die kräftigen Formen der späten Dresdner Neorenaissance, gemischt mit barocken Elementen, zeigt, bei dem aber auch Anlehnungen an den Frankfurter Hauptbahnhof zu beobachten sind. Es ist das Hauptwerk von „Giese & Weidner“. – 1901 übersiedelte G. nach
Charlottenburg, nachdem Weidner das Bauatelier schon vor seinem Tod 1899 verlassen und G. die Firma seinem Sohn
Karl Friedrich Giese übergeben hatte (Fa. Giese & Sohn). – G. war ein typischer Historist und mit seinen repräsentativen Profanbauten ein später Vertreter der Semper-Nicolai-Schule, der auch Constantin Lipsius angehörte und die in Dresden bis in die 1890er-Jahre mit an der italienischen Renaissance orientierten Formen das offizielle Baugeschehen bestimmte. Ein Beispiel für diese noble Dresdner Neorenaissance ist die erhaltene, von G. geplante Villa Wolf (1883/1884) in der Dresdner Südvorstadt. Allerdings ist bei G. auch ein Hang zu monumentaleren, barockisierenden Formen und zur deutschen Renaissance (z.B. bei der Dresdner Villa Jacoby, 1893/1894, 1945 zerstört) festzustellen. Im (evangelischen) Kirchenbau folgte er den Richtlinien des Eisenacher Regulativs von 1861. – Einflussreich war G. durch seine Lehrtätigkeit 1878 bis 1901 als Professor und Leiter des Ateliers für Baukunst an der TH Dresden. – Schon 1864 wurde G. Ehrenmitglied der Dresdner Akademie der Bildenden Künste, 1892 wurde er Mitglied der Königlich Preußischen Akademie für Bauwesen. G. war zudem Mitglied der Akademie der bildenden Künste in
Wien.
Werke Bauwerke: mit Bernhard Schreiber, Umbau des Schlosses Gauernitz, 1862/1870; Festhalle zum 1. Deutschen Sängerbundfest Dresden, 1865 (temporärer Bau, zerstört); König-Albert-Bad Löbau, 1875/1876; Kapelle auf dem Neuen Jüdischen Friedhof Dresden, 1875 (zerstört); mit Paul Weidner, Neues Theater (Stadttheater) Düsseldorf, 1875 eröffnet, 1891 erweitert (1943 weitgehend zerstört); mit Paul Weidner, Geschäftshaus Kaskel Dresden, Wilsdruffer Straße 44, 1876/1877 (Umbau, zerstört); mit Paul Weidner, städtebauliche Planung Martin-Luther-Platz Dresden, 1879; mit Paul Weidner, Kunsthalle Düsseldorf, 1881 (im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört, 1959/1968 abgerissen); mit Paul Weidner, Neubau des Gewandhauses Bautzen, 1882/1883; mit Paul Weidner, Villa Wolf Dresden, 1883/1884; mit Paul Weidner, Martin-Luther-Kirche Dresden, 1883-1887; mit Arwed Rosbach und Paul Weidner, Hauptbahnhof Dresden, 1892-1898; mit Paul Weidner, Villa Julius Jacoby Dresden, 1893/1894 (1945 zerstört); Römisch-katholische Rosenkranzkirche Radibor, 1895/1896; Evangelische Pfarrkirche Zum Guten Hirten Quatitz, 1898; mit Friedrich Giese, Lukaskirche Chemnitz, 1899-1901 (zerstört). – Grafische Werke: Hof des Palazzo Vecchio in Florenz, 1857, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 1876-40(48); Die Festhalle zum Sängerbundfest 1865 in Dresden, Tusche, aquarelliert, 1865.
Literatur Gerhard Schmidt, Dresden und seine Kirchen. Eine Dokumentation, Berlin 1976; Manfred Berger, Historische Bahnhofsbauten Sachsens, Preußens, Mecklenburgs und Thüringens, Berlin 1980; Von der Königlichen Kunstakademie zur Hochschule für Bildende Künste (1764-1989), hrsg. von der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Dresden 1990; Volker Helas, Architektur in Dresden 1800-1900, Dresden 1991; Fritz Löffler, Das alte Dresden, Leipzig 1992; Heinz Quinger, Dresden und Umgebung. Geschichte und Kunst der sächsischen Hauptstadt, Köln 1993; Günther Landgraf (Hg.), Geschichte der Technischen Universität Dresden in Dokumenten und Bildern, Bd. 2: Wissenschaft in Dresden vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis 1945, Dresden 1994; Gilbert Lupfer/Bernhard Sterra/Martin Wörner (Hg.), Architekturführer Dresden, Berlin 1997; Folke Stimmel u.a., Stadtlexikon Dresden A-Z, Dresden 21998; Volker Helas, Villenarchitektur in Dresden, Köln 1999; E. Mateev, Dokumentation Dresdner Architekten, Typoskript im Amt für Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden, 1999; Jürgen Paul, Cornelius Gurlitt. Ein Leben für Architektur, Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Städtebau, Dresden 2003. – DBA I, II, III; DBE; Thieme/Becker, Bd. 14, Leipzig 1999, S. 5; Uwe Fiedler, Lebensbilder aus der Oberlausitz. 60 Biografien aus Bautzen, Bischofswerda und Umgebung, Bischofswerda/Norderstedt 2014, S. 67.
Porträt Architekt Ernst G. in Dresden, 1865, Druck nach Holzstich, Repro aus : Illustrirte Zeitung 1865, Nr. 1151, S. 69, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek, Inventar-Nr. Eph.lit.0027, Foto: Regine Richter, 2005 (Bildquelle) [CC BY-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution 4.0 Unported License].
Gernot Klatte
1.10.2021
Empfohlene Zitierweise:
Gernot Klatte, Artikel: Ernst Giese,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1703 [Zugriff 22.11.2024].
Ernst Giese
Werke Bauwerke: mit Bernhard Schreiber, Umbau des Schlosses Gauernitz, 1862/1870; Festhalle zum 1. Deutschen Sängerbundfest Dresden, 1865 (temporärer Bau, zerstört); König-Albert-Bad Löbau, 1875/1876; Kapelle auf dem Neuen Jüdischen Friedhof Dresden, 1875 (zerstört); mit Paul Weidner, Neues Theater (Stadttheater) Düsseldorf, 1875 eröffnet, 1891 erweitert (1943 weitgehend zerstört); mit Paul Weidner, Geschäftshaus Kaskel Dresden, Wilsdruffer Straße 44, 1876/1877 (Umbau, zerstört); mit Paul Weidner, städtebauliche Planung Martin-Luther-Platz Dresden, 1879; mit Paul Weidner, Kunsthalle Düsseldorf, 1881 (im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört, 1959/1968 abgerissen); mit Paul Weidner, Neubau des Gewandhauses Bautzen, 1882/1883; mit Paul Weidner, Villa Wolf Dresden, 1883/1884; mit Paul Weidner, Martin-Luther-Kirche Dresden, 1883-1887; mit Arwed Rosbach und Paul Weidner, Hauptbahnhof Dresden, 1892-1898; mit Paul Weidner, Villa Julius Jacoby Dresden, 1893/1894 (1945 zerstört); Römisch-katholische Rosenkranzkirche Radibor, 1895/1896; Evangelische Pfarrkirche Zum Guten Hirten Quatitz, 1898; mit Friedrich Giese, Lukaskirche Chemnitz, 1899-1901 (zerstört). – Grafische Werke: Hof des Palazzo Vecchio in Florenz, 1857, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 1876-40(48); Die Festhalle zum Sängerbundfest 1865 in Dresden, Tusche, aquarelliert, 1865.
Literatur Gerhard Schmidt, Dresden und seine Kirchen. Eine Dokumentation, Berlin 1976; Manfred Berger, Historische Bahnhofsbauten Sachsens, Preußens, Mecklenburgs und Thüringens, Berlin 1980; Von der Königlichen Kunstakademie zur Hochschule für Bildende Künste (1764-1989), hrsg. von der Hochschule für Bildende Künste Dresden, Dresden 1990; Volker Helas, Architektur in Dresden 1800-1900, Dresden 1991; Fritz Löffler, Das alte Dresden, Leipzig 1992; Heinz Quinger, Dresden und Umgebung. Geschichte und Kunst der sächsischen Hauptstadt, Köln 1993; Günther Landgraf (Hg.), Geschichte der Technischen Universität Dresden in Dokumenten und Bildern, Bd. 2: Wissenschaft in Dresden vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts bis 1945, Dresden 1994; Gilbert Lupfer/Bernhard Sterra/Martin Wörner (Hg.), Architekturführer Dresden, Berlin 1997; Folke Stimmel u.a., Stadtlexikon Dresden A-Z, Dresden 21998; Volker Helas, Villenarchitektur in Dresden, Köln 1999; E. Mateev, Dokumentation Dresdner Architekten, Typoskript im Amt für Denkmalschutz der Landeshauptstadt Dresden, 1999; Jürgen Paul, Cornelius Gurlitt. Ein Leben für Architektur, Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Städtebau, Dresden 2003. – DBA I, II, III; DBE; Thieme/Becker, Bd. 14, Leipzig 1999, S. 5; Uwe Fiedler, Lebensbilder aus der Oberlausitz. 60 Biografien aus Bautzen, Bischofswerda und Umgebung, Bischofswerda/Norderstedt 2014, S. 67.
Porträt Architekt Ernst G. in Dresden, 1865, Druck nach Holzstich, Repro aus : Illustrirte Zeitung 1865, Nr. 1151, S. 69, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek, Inventar-Nr. Eph.lit.0027, Foto: Regine Richter, 2005 (Bildquelle) [CC BY-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution 4.0 Unported License].
Gernot Klatte
1.10.2021
Empfohlene Zitierweise:
Gernot Klatte, Artikel: Ernst Giese,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1703 [Zugriff 22.11.2024].