Carl Rudolph

R. erwarb sich bleibende Verdienste um die Reformpädagogik. Sowohl in der NS-Zeit als auch unter dem DDR-Regime war er Verfolgungen ausgesetzt. – R. wurde nach Absolvierung des Lehrerseminars in Dresden-Plauen 1912 Volksschullehrer in Glösa bei Chemnitz und avancierte dort 1922 zum Schulleiter. Seit Mitte der 1920er-Jahre war er am gleichen Ort ehrenamtlich als Ortsvorsitzender und Gemeindeverordneter tätig und trat 1921 sowohl der SPD als auch dem Sächsischen Lehrerverein bei. Besonders nach dem Verbot der SPD 1933 traf R. die volle Härte nationalsozialistischer Maßregelungspraktiken. Vom Oktober 1935 bis Februar 1936 kam er in das KZ Sachsenburg und vom April 1941 bis Juni 1942 wurde er im Gestapogefängnis in Chemnitz inhaftiert, bevor er vom August bis Dezember 1944 Zwangsarbeit im Osten leisten musste. Da R. nach Paragraf 4 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem Schuldienst entlassen worden war, sicherte er den Lebensunterhalt seiner Familie während der Zeit von 1933 bis 1945 durch kaufmännische Anstellungen. Daneben engagierte er sich aktiv in der illegalen Arbeit gegen das NS-Regime. So beteiligte er sich z.B. seit 1943 auf Initiative Alfred Langguths, einem von den Nationalsozialisten entlassenen Polizeibeamten, an der Wiedererrichtung von illegalen sozialdemokratischen Strukturen in Chemnitz und Umgebung. Im Mai 1945 wurde R. Mitglied des „Sozialistischen Verhandlungsausschusses Chemnitz“ und kurzzeitig Rektor der Volksschule Glösa, bis er schließlich durch seinen Freund und sozialdemokratischen Weggefährten Moritz Nestler zum Kreisschulrat für Chemnitz-Land berufen wurde. Als Schulrat legte R. besonderes Augenmerk auf die Überwindung der Unterschiede zwischen Stadt- und Landschulen sowie auf die Profilierung des sog. Kern-Kurs-Unterrichtssystems, das noch im Bildungsgesetz von 1946 festgeschrieben war, aber vor dem Hintergrund der administrativen Reformpädagogik-Ausgrenzung seit 1948 abgebaut wurde. R. selbst widmete sich der Organisation sowohl der Begabtenschulungen als auch der Nachhilfeförderung durch das Kursklassensystem, geriet als überzeugter Demokrat jedoch bald in Konflikt mit dem sozialistischen Regime. Im Zuge der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED 1946 musste sich R. - wie schon während der Zeit des Nationalsozialismus - mit gleichgesinnten Demokraten illegal treffen. Daraufhin wurden mit Ausnahme von R. alle anderen Teilnehmer des Chemnitzer Gesprächskreises ehemaliger SPD-Mitglieder, darunter neben Langguth und Nestler auch Karl Eger, Gerhard Kaderschafka, Kurt König und Fritz Uhlmann, im Frühjahr 1948 aus ihren Berufsfeldern entfernt und schließlich in der Nacht vom 18. zum 19.2.1949 auf Betreiben der SED-Spitzenfunktionäre in Chemnitz verhaftet und an den sowjetischen Geheimdienst ausgeliefert. Die Zugehörigkeit R.s zu dieser Gruppe konnte erst im Zuge brutaler Verhörmethoden festgestellt werden, sodass auch er am 21.4.1949 festgenommen wurde. Schließlich verurteilte das sowjetische Militärtribunal am 22./23.6.1949 in Dresden alle Angeklagten zu 25 Jahren Zuchthaus. Ihnen wurden v.a. Kontakte zum Ostbüro der SPD als Spionagetätigkeit angelastet. R., der noch zusätzlich mit der Beschlagnahme seines Eigentums bestraft wurde, saß bis zum 13.12.1954 im berüchtigten nationalsozialistischen Strafgefängnis Bautzen, im sog. Gelben Elend, ein, bis er in das Zuchthaus Brandenburg verlegt wurde, wo er - nach zwischenzeitlichem Klinikaufenthalt im Dezember 1954 und Januar 1955 im Haftkrankenhaus Leipzig - an einem Krebsleiden verstarb. Die Urne mit seinen sterblichen Überresten wurde nicht einmal bestattet. Am 17.3.1965 wurde sie laut Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR „entsorgt“.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, 11401 Ministerium für Volksbildung, Nr. 406, 449, 516, 518; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, 30404 Kreistag/Kreisrat Chemnitz 1945-52, Nr. 1546 bis 1552, 1554, 1556, 1558, 1561, 1592; Stadtarchiv Chemnitz, Gemeinde Glösa, Nr. 412, 430; Bundesarchiv-Bestand DR 2/705 Ministerium für Volksbildung, DO 1 Ministerium des Innern: SMT-Karteiakte-R (Bildquelle).

Literatur B. Bouvier, Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945-1953, Bonn 1996; M. Schmeitzner, Genossen vor Gericht. Die sowjetische Strafverfolgung von Mitgliedern der SED und ihrer Vorläuferparteien 1945-54, in: A. Hilger (Hg.), Sowjetische Militärtribunale, Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955, Köln u.a. 2003, S. 265-344; A. Pehnke, „Vollkommen zu isolieren!“ Der Chemnitzer Schulreformer Moritz Nestler (1886-1976), Beucha 2006 (P); ders., Carl R. (1891-1955) - aufrechter Chemnitzer Schulreformer und Sozialdemokrat, in: Mittelungen des Chemnitzer Geschichtsvereins 78/2011, S. 143-156. – DBA III.

Andreas Pehnke
19.1.2017


Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Carl Rudolph,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24323 [Zugriff 2.11.2024].

Carl Rudolph



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Landesregierung Sachsen, 11401 Ministerium für Volksbildung, Nr. 406, 449, 516, 518; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, 30404 Kreistag/Kreisrat Chemnitz 1945-52, Nr. 1546 bis 1552, 1554, 1556, 1558, 1561, 1592; Stadtarchiv Chemnitz, Gemeinde Glösa, Nr. 412, 430; Bundesarchiv-Bestand DR 2/705 Ministerium für Volksbildung, DO 1 Ministerium des Innern: SMT-Karteiakte-R (Bildquelle).

Literatur B. Bouvier, Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945-1953, Bonn 1996; M. Schmeitzner, Genossen vor Gericht. Die sowjetische Strafverfolgung von Mitgliedern der SED und ihrer Vorläuferparteien 1945-54, in: A. Hilger (Hg.), Sowjetische Militärtribunale, Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945-1955, Köln u.a. 2003, S. 265-344; A. Pehnke, „Vollkommen zu isolieren!“ Der Chemnitzer Schulreformer Moritz Nestler (1886-1976), Beucha 2006 (P); ders., Carl R. (1891-1955) - aufrechter Chemnitzer Schulreformer und Sozialdemokrat, in: Mittelungen des Chemnitzer Geschichtsvereins 78/2011, S. 143-156. – DBA III.

Andreas Pehnke
19.1.2017


Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Carl Rudolph,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24323 [Zugriff 2.11.2024].