Nikolaus Storch

S.s Lebensdaten, die familiären Beziehungen und seine Tätigkeit in und außerhalb Zwickaus sind nur bruchstückhaft überliefert. Ungeklärt bleibt das Verhältnis zu Trägern des gleichen Namens in seiner Heimatstadt und seine berufliche Stellung entweder als Meister oder als Geselle (Knappe). Äußerungen von Zeitgenossen schufen Legenden um sein Wirken. – S. hatte sich eine elementare Bildung erworben. Als Tuchmacher gehörte er der Fronleichnamsbruderschaft an, einer Berufsgenossenschaft um einen 1475 in der Zwickauer Katharinenkirche gestifteten Altar. Vor 1520 sonderte sich aus der Bruderschaft ein Konventikel um S. ab. Seine Mitglieder folgten Eingebungen und Erleuchtungen als wesentlicher Glaubensquelle und vermittelten die biblische Botschaft durch Laien. Ein Einfluss ähnlicher Gruppen auf die „Storchianer“, etwa aus dem benachbarten Böhmen, ist möglich, aber nicht belegbar. – Bald nachdem Thomas Müntzer am 1.10.1520 Prediger an der Katharinenkirche geworden war, entstand ein enges Verhältnis zwischen ihm und den „Storchianern“. Müntzer pries S., beeindruckt von dessen suggestiven Fähigkeiten, als Vorbild für Priester. Als Müntzer Mitte 1521 vom Rat wegen zunehmender Konflikte in der Stadt entlassen wurde, wollten ihn bewaffnete Anhänger S.s schützen. Auf Druck Herzog Johanns verhörten die Zwickauer Stadtväter im Dezember 1521 Mitglieder des Konventikels. S. floh und wandte sich mit zwei Anhängern nach Wittenberg. Dort waren Philipp Melanchthon und andere Reformatoren durch die Visionen der „Zwickauer Propheten“ und deren Argumente gegen eine Taufe von kleinen Kindern verunsichert. Melanchthons Wunsch, sofort Martin Luther von der Wartburg kommen zu lassen, lehnte der Kurfürst ab. S. blieb noch einige Zeit in der Stadt und sammelte Anhänger um sich. Danach soll er längere Zeit in Westthüringen gewesen sein und dort gepredigt haben. Vom 14.3.1524 ist eine Äußerung Luthers überliefert, wonach der Geist S.s in Orlamünde herrsche, in der Umgebung Karlstadts (Andreas von Bodenstein). Eine Beziehung S.s zu diesem ist aber ebensowenig gesichert wie ein Aufenthalt in Straßburg, vor dem am 2.12.1524 der Nürnberger Prediger Dominicus Sleupner den Rat der elsässischen Metropole warnte. – Dem Chronisten Enoch Widmann zufolge lebte S. Ende 1524 in Hof und arbeitete in seinem Beruf als Tuchmacher. Er gewann erneut Anhänger, entwich aber nach einiger Zeit aus der Stadt. Ende Januar 1525 fragte er beim Zwickauer Bürgermeister wegen einer Rückkehr in seine Heimatstadt an, was der Rat jedoch ablehnte. Eine Nachricht von S.s Tod Ende 1525 in München ist unzutreffend, denn er wird später noch erwähnt. – Um S. ranken sich verschiedene Legenden. Widmann, der an der Universität Wittenberg studiert hatte, unterstellt in seiner Chronik S. auch die „Neu-Taufe“ (Erwachsenentaufe) seiner Anhänger in Hof. Ausgangspunkt für eine angebliche revolutionäre Führerschaft S.s wurde aber der Brief Melanchthons vom 17.4.1525 an Joachim Camerarius, hier noch als Frage formuliert. Später, in der Vita Melanchthons von Camerarius (1566) ist die These voll ausgeformt. Der „einfeltige Bericht“ von Marcus Wagner macht S. nicht nur zum Anführer des Thüringischen Bauernkriegs, er schreibt ihm auch ein gesellschaftliches Alternativprogramm in acht Artikeln zu. – Der reale S. taucht nochmals 1536 in den Zwickauer Ratsprotokollen auf. Er soll sich zu dieser Zeit in der Nähe der Stadt befunden haben. Danach verlieren sich seine Spuren. Durch Quellen gesichert sind seine Tätigkeit als einflussreicher Laienprediger zu Beginn der Reformation, die zeitweilige Nähe zu Müntzer und ein unstetes Leben unter dem Druck der Obrigkeit.

Quellen J. Camerarius, De Philippi Melanchthonis ortu, totius vitae curriculo et morte ... narratio, Leipzig 1566; M. Wagner, Einfeltiger Bericht, wie durch Nicolaum Storchen die auffruhr in Thuringen ... angefangen, o.O. 1596; E. Widmann, Chronik von Hof, hrsg. von C. Meyer, T. 1, o.O. 1894; N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522, Leipzig 21911; P. Wappler, Thomas Müntzer in Zwickau und die Zwickauer Propheten, Zwickau 1908 (ND Gütersloh 1966); P. Wappler (Hg.), Die Täuferbewegung in Thüringen 1526-1584, Jena 1913; M. Krebs/H.-G. Rott (Hg.), Quellen zur Geschichte der Täufer, Bd. 7, Elsaß, T. 1, Gütersloh 1959.

Literatur R. Bachmann, Niclas S., der Anfänger der Zwickauer Wiedertäufer, Zwickau 1880; S. Hoyer, Die Zwickauer Storchianer - Vorläufer der Täufer?, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 13/1984, S. 60-78. – ADB 36, S. 442-445; DBA I, II, III; DBE 9, S. 558.

Siegfried Hoyer
26.8.2005


Empfohlene Zitierweise:
Siegfried Hoyer, Artikel: Nikolaus Storch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3814 [Zugriff 22.11.2024].

Nikolaus Storch



Quellen J. Camerarius, De Philippi Melanchthonis ortu, totius vitae curriculo et morte ... narratio, Leipzig 1566; M. Wagner, Einfeltiger Bericht, wie durch Nicolaum Storchen die auffruhr in Thuringen ... angefangen, o.O. 1596; E. Widmann, Chronik von Hof, hrsg. von C. Meyer, T. 1, o.O. 1894; N. Müller, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522, Leipzig 21911; P. Wappler, Thomas Müntzer in Zwickau und die Zwickauer Propheten, Zwickau 1908 (ND Gütersloh 1966); P. Wappler (Hg.), Die Täuferbewegung in Thüringen 1526-1584, Jena 1913; M. Krebs/H.-G. Rott (Hg.), Quellen zur Geschichte der Täufer, Bd. 7, Elsaß, T. 1, Gütersloh 1959.

Literatur R. Bachmann, Niclas S., der Anfänger der Zwickauer Wiedertäufer, Zwickau 1880; S. Hoyer, Die Zwickauer Storchianer - Vorläufer der Täufer?, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 13/1984, S. 60-78. – ADB 36, S. 442-445; DBA I, II, III; DBE 9, S. 558.

Siegfried Hoyer
26.8.2005


Empfohlene Zitierweise:
Siegfried Hoyer, Artikel: Nikolaus Storch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3814 [Zugriff 22.11.2024].