Traugott Bienert

B. war einer der bedeutendsten Dresdner Industriellen des 19. Jahrhunderts. Er entwickelte die traditionelle Getreidemüllerei und Brotbäckerei zum industriellen Großbetrieb. Sein öffentliches und soziales Engagement kam v.a. dem Dresdner Vorort Plauen zugute. – B.s Eltern besaßen eine Getreidemühle in Eschdorf nahe Pillnitz. Nach dem frühen Tod des Vaters ging die Mühle in den Besitz und die Leitung der Mutter über. B. erlernte ab dem 14. Lebensjahr die Müllerei und begann schon früh, die elterliche Mühle technisch zu verbessern und den Betrieb zu erweitern. 1837 übernahm er zusammen mit seinem jüngeren Bruder die Eschdorfer Mühle auf eigene Rechnung und stieg in den Mehlhandel ein. Zudem führten die Brüder eine Bäckerei, die auch die wohlhabenden Dresdner in ihren Sommerwohnungen am Elbhang mit Brot belieferte. 1843 heiratete B. Christiane Wilhelmine Leuthold, die Tochter eines Gutsbesitzers und Landrichters aus Schullwitz. Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor. B. überließ nach seiner Heirat dem Bruder den Eschdorfer Mühlen- und Bäckereibetrieb. Er selbst erwarb eine Backkonzession für die Stadt Dresden, baute in der Neustadt eine Bäckerei und pachtete eine Getreidemühle im Liebethaler Grund nahe Pirna. Einige Jahre später kaufte B. mit Hilfe eines Onkels als Teilhaber eine weitere Mühle in Radeburg, einem der wichtigsten Getreidemärkte in Sachsen. – Die Probleme, die ein Betrieb mit sich brachte, der auf drei weit auseinander liegende Standorte verteilt war, veranlassten B. bald zu einer umfassenden Neustrukturierung seines Unternehmens. 1852 pachtete er die große staatliche Hofmühle im Dresdner Vorort Plauen. Dort konzentrierte er nun seinen Mühlen- und Bäckereibetrieb, modernisierte die heruntergekommenen Anlagen und baute zudem eine Ölmühle. B. vollzog den Schritt vom traditionellen Handwerksbetrieb zur Mehl- und Brotfabrik. Er erkannte frühzeitig, dass die Industrialisierung der Getreidemüllerei und der Bäckerei gerade im Dresdner Raum große unternehmerische Wachstumschancen barg. Die technologischen Fortschritte und der Eisenbahnbau ermöglichten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts den rentablen Einsatz dampfbetriebener Maschinen. Der „Mühlenbann“, der „Mahlzwang“ und andere Beschränkungen bei der Herstellung und dem Handel mit Mehl wurden bis 1861 sukzessive aufgehoben. Die sächsische Hauptstadt bot zudem günstige Standortbedingungen für die Produktion im Großbetrieb, denn die schnell wachsende urbane Bevölkerung musste mit dem Grundnahrungsmittel Brot versorgt werden. 1859 stellte B. in Plauen eine Dampfmaschine auf, um von den Unregelmäßigkeiten des Wasserradantriebs unabhängig zu werden. 1863 erhielt die Hofmühle einen Gleisanschluss an die Eisenbahn. Kohlen und Getreide konnten nun zu geringen Transportkosten in großen Mengen herangeschafft werden. B. unternahm in diesen Jahren mehrere Reisen ins Ausland, um neue Technologien und Herstellungsverfahren in Augenschein zu nehmen. In Paris sah er moderne Backöfen und Teigknetmaschinen und schaffte sie für seine Plauener Brotfabrik an. B. setzte zudem früh Thermometer zur Kontrolle der Teigwärme beim Backen ein. In Wien studierte er das Verfahren, Getreide in mehreren Mahlgängen zu verarbeiten und damit besonders feine Mehlsorten zu erhalten. Auch dieses System führte er in Plauen ein. 1872 ging die Hofmühle in B.s Besitz über. Nun war der Weg frei für umfangreiche betriebsorganisatorische und technische Verbesserungen und Erweiterungen. B. baute ein neues, fünfstöckiges Mühlengebäude und stellte dort moderne Walzenmahlstühle auf. Das Unternehmen war mit seinen mehr als 250 Beschäftigten der größte Mühlenbetrieb Sachsens. Dresden wurde im späten 19. Jahrhundert zu einem der wichtigsten deutschen Getreideumschlagplätze. B. hatte an dieser Entwicklung wesentlichen Anteil. – 1885 nahm B. seine Söhne Theodor und Erwin als Teilhaber auf und zog sich aus dem Tagesgeschäft zurück. Er galt nun als einer der reichsten Männer Sachsens. – B.s öffentliches Wirken konzentrierte sich v.a. auf die Gemeinde Plauen. Der Ausbau seines Unternehmens war eng mit der Entwicklung des 600-Seelen-Dorfs zu einer Industriegemeinde von rund 10.000 Einwohnern verbunden. Die Gaswerke, die B. in den 1870er-Jahren für seine Fabrik errichtete, ermöglichten es der Gemeinde Plauen, als erstes Dorf in Sachsen Straßenlaternen aufzustellen. Das 1879 gebaute Wasserwerk der Hofmühle versorgte auch die Plauener Privathaushalte mit Leitungswasser. B. stiftete die Grundstücke zum Bau einer Volksschule und des Plauener Rathauses. 1877 spendete er eine größere Geldsumme für die neue Orgel der Auferstehungskirche. Die Arbeiter und Angestellten der Mühlenwerke kamen in den Genuss einer Pensions-, Witwen- und Unterstützungskasse. Ihre Kinder wurden während der Arbeitszeit in einem fabrikeigenen Kindergarten betreut. B. rief eine mit 1,5 Millionen Mark dotierte Stiftung ins Leben, deren Erträge zur Hälfte verschiedenen Wohltätigkeitsvereinen, zur Hälfte bedürftigen Waisenkindern zugute kamen. 1882 verlieh ihm der sächsische König in Anerkennung seiner unternehmerischen Leistungen und seines gemeinnützigen Engagements den Titel eines Kommerzienrats. Die Gemeinde Plauen machte B. zu ihrem Ehrenbürger.

Werke Erinnerungen aus meinem Leben, Leipzig 1888.

Literatur T. Bienert, Dampfmühle und Ölfabrik. Hofmühle Dresden-Plauen, Dresden 1897; P. Schulze, Gottlieb Traugott B., ein Mann aus eigener Kraft, in: Bunte Bilder aus dem Sachsenlande für Jugend und Volk, Bd. 3, Leipzig 1900, S. 101-112 (P); U. Sieberth, Gottlieb Traugott B. 21.7.1913-22.10.1894, in: Sächsische Heimatblätter 37/1991, H. 1, S. 14-17 (P); R. Forberger, Die Industrielle Revolution in Sachsen 1800-1861, Bd. 2/1, Stuttgart 1999, S. 514, Bd. 2/2, Stuttgart 2003, S. 842f.; O. Schubert, Der Lebensweg des Mühlenindustriellen Gottlieb Traugott B. und sein soziales Engagement für die Gemeinde Plauen bei Dresden, Diplomarbeit TU Dresden 2000; C. Müller, Gottlieb Traugott B. Vom Dorfmüller zum Großindustriellen, in: Elbhangkurier 5/2002, S.12-15. – DBA II, III; DBE 1, S. 522; NDB 2, S. 229; Sächsische Lebensbilder, Bd. 3, Leipzig 1941, S. 57-73 (P).

Porträt Kommerzienrat Traugott Bienert, Teich-Hanfstaengel, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek; Denkmal mit Büste neben dem Plauener Rathaus; Gemälde eines unbekannten Meisters, Öl auf Leinwand, Privatbesitz, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Michael Schäfer
17.7.2008


Empfohlene Zitierweise:
Michael Schäfer, Artikel: Traugott Bienert,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/557 [Zugriff 4.11.2024].

Traugott Bienert



Werke Erinnerungen aus meinem Leben, Leipzig 1888.

Literatur T. Bienert, Dampfmühle und Ölfabrik. Hofmühle Dresden-Plauen, Dresden 1897; P. Schulze, Gottlieb Traugott B., ein Mann aus eigener Kraft, in: Bunte Bilder aus dem Sachsenlande für Jugend und Volk, Bd. 3, Leipzig 1900, S. 101-112 (P); U. Sieberth, Gottlieb Traugott B. 21.7.1913-22.10.1894, in: Sächsische Heimatblätter 37/1991, H. 1, S. 14-17 (P); R. Forberger, Die Industrielle Revolution in Sachsen 1800-1861, Bd. 2/1, Stuttgart 1999, S. 514, Bd. 2/2, Stuttgart 2003, S. 842f.; O. Schubert, Der Lebensweg des Mühlenindustriellen Gottlieb Traugott B. und sein soziales Engagement für die Gemeinde Plauen bei Dresden, Diplomarbeit TU Dresden 2000; C. Müller, Gottlieb Traugott B. Vom Dorfmüller zum Großindustriellen, in: Elbhangkurier 5/2002, S.12-15. – DBA II, III; DBE 1, S. 522; NDB 2, S. 229; Sächsische Lebensbilder, Bd. 3, Leipzig 1941, S. 57-73 (P).

Porträt Kommerzienrat Traugott Bienert, Teich-Hanfstaengel, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek; Denkmal mit Büste neben dem Plauener Rathaus; Gemälde eines unbekannten Meisters, Öl auf Leinwand, Privatbesitz, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Michael Schäfer
17.7.2008


Empfohlene Zitierweise:
Michael Schäfer, Artikel: Traugott Bienert,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/557 [Zugriff 4.11.2024].