Kurt Schumann
S. zählte zu den bedeutendsten Vertretern der sächsischen Schulreformbestrebungen. – 1892 bis 1896 besuchte S. die 18. Bezirksschule seiner Geburtsstadt Dresden und anschließend die Ehrlichsche Gestiftschule, bevor er 1901 bis 1907 das Freiherrlich von Fletchersche Lehrerseminar absolvierte. Erste pädagogische Praxiserfahrungen sammelte er bis 1910 in Freiberg und trat danach für drei Jahre in den Dresdner Schuldienst ein. Der an Sprachen interessierte S. unternahm seit 1908 mehrere Auslandsreisen, u.a. wiederholt nach Frankreich und Großbritannien, in die Schweiz und nach Algerien. Nachdem er im Februar 1913 die Reifeprüfung in Zittau extern abgelegt hatte, begann er im Sommersemester das Lehrerstudium für die Fächer Deutsch, Erdkunde, Französisch, Englisch und Pädagogik an der Universität Leipzig. Nach seinem Staatsexamen (1916) schloss er im darauffolgenden Jahr die Promotion ab mit einer Arbeit über die pädagogischen Auffassungen des englischen Grafen
Chesterfield. – Seit 1916 lehrte S. am König-Georg-Gymnasium in Dresden-Johannstadt und wechselte 1918 an das Wettiner Gymnasium, einem Reformrealgymnasium. Als bildungspolitischer Experte der SPD in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer und Lehrerinnen sowie auch als engagiertes Mitglied im Landesverband Sachsen des „Bundes Entschiedener Schulreformer“ unterstützte S. in der Anfangsphase der Weimarer Republik (bis Ende 1923) die bemerkenswerten sächsischen Schulreformbestrebungen. Zugleich avancierte er ab 1919 zum Mitbegründer der Volkshochschule Dresden und ab 1921 der Dürerversuchsschule, die schließlich 1922 als einzige höhere Versuchsschule in Sachsen ihre reformpädagogische Arbeit aufnahm und an die S. 1925 als Versuchsschullehrer wechselte. In enger Kooperation mit der Hamburger Lichtwarkschule wurde die Dürerversuchsschule v.a. durch ihr nationales (seit 1923) und internationales (seit 1929) Schüleraustauschprogramm überregional geachtet. Die zwiespältige Einstellung der SPD zur Militärpolitik 1928/29 führte für den bekennenden Pazifisten S. zu einer Suche nach einer alternativen politischen Heimat, die er national in der Deutschen Friedensgesellschaft und international in der „League of Nations Union“, der „World Brotherhood Federation“ sowie der „Holiday Fellowship“ fand. Folgerichtig stieß S. auch zum 1921 begründeten Weltbund für Erneuerung der Erziehung („New Education Fellowship“). Auf der Weltbundkonferenz 1929 im dänischen Helsingør zählte er zu einem Ausschuss, der die formelle Gründung einer deutschen Sektion betrieb. Im Zusammenhang mit dem internationalen Klassenaustauschprogramm der Dürerschule im Allgemeinen und dem dabei auch öffentlich sichtbar werdenden friedenspädagogischen Engagement ihres Schulleiters S. im Besonderen entfachten deutschnationale und christliche Kreise seit 1930 eine massive Hetzkampagne gegen diese Schule und verlangten - bis in den Sächsischen Landtag hinein - die sofortige Entfernung S.s aus dem Lehramt. Schließlich ließ der Beauftragte des Reichskommissars für das Volksbildungsministerium Wilhelm Hartnacke S. 1933 aus dem Schuldienst zunächst entfernen und ordnete 1934 eine Zwangsversetzung nach Zschopau an. Zugleich verlor die Dürerversuchsschule ihren Versuchsschulstatus und wurde im März 1935 geschlossen. S.s Lehrertätigkeit 1934 bis 1945 an der Oberschule Zschopau belegt, dass ein Festhalten an humanistischen Elementen der Reformpädagogik auch unter der NS-Herrschaft begrenzt möglich war. – Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde S. zum Dezernenten für städtische Schulangelegenheiten bei der Kommandantur Zschopau und als Oberstudiendirektor zum Leiter der Oberschule Zschopau ernannt. Als Wegbereiter für eine demokratische Schule engagierte er sich für den Status seiner Einrichtung als Versuchsschule nach dem Vorbild der einstigen Dresdner Dürerschule. Diese zunächst erfolgsversprechenden Initiativen sollten jedoch, nach nur kurzer Renaissance reformpädagogischen Gedankenguts, im Zuge der staatlich verordneten Abkehr von der Reformpädagogik seit 1948 zugunsten stalinistisch geprägter didaktischer Prinzipien nach sowjetischem Vorbild scheitern. Hingegen setzte sich S. stets für fachliche und pädagogische Kompetenz ein; ideologische Propaganda, zumal in parteipolitischer Verengung, lehnte er ab und zog damit nicht selten die Kritik und Ablehnung der Funktionäre auf sich. Folgerichtig schied er vor dem Hintergrund der zunehmenden parteipolitischen Ausrichtung der ostdeutschen Schullandschaft 1950 aus dem Direktorenamt aus und wurde schließlich 1954 gänzlich aus dem Schuldienst entfernt. – Darüber hinaus erwarb sich S. weiterhin Verdienste als Heimatforscher und Geograf. So erlebte sein Wanderheft „Rund um die Augustusburg“ seit 1952 drei Auflagen und auch sein Aufsatz über das mittlere Erzgebirge in den Sächsischen Heimatblättern fand 1961 in Expertenkreisen beachtliche Resonanz. Die für die geografische Forschung wichtigste Arbeit S.s, die Erläuterungen zum Messtischblatt Zschopau und Umgebung von 1956, erschien erst 1977 im Standardwerk „Das Mittlere Zschopaugebiet“. – 1968 siedelte S. zu seinem Sohn nach Hessen über, wo er zwei Jahre später verstarb.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium für Volksbildung; Stadtarchiv Dresden, Schulamt, Dürerschule; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chem-nitz, Kreistag & Kreisrat Flöha; Kreisarchiv Marienberg, Personalakte Kurt S.; Privatarchiv A. Pehnke, Historische Dokumente zur sächsischen Reformpädagogik (P).
Werke Die pädagogischen Ansichten des Grafen Chesterfield, Langensalza 1917; (Mitarbeit), Sächsische Wanderbücher, Bd. 2, Dresden 1922, Bd. 5, Dresden 1923, Bd. 6, Dresden 1935; Rund um die Augustusburg, Dresden 1952, Leipzig ²1954; Das mittlere Erzgebirge - ein vergessenes Wandergebiet, in: Sächsische Heimatblätter 7/1961, H. 5, S. 263-270; Das Mittlere Zschopaugebiet, Berlin 1977.
Literatur Die Dürerschule, staatliche höhere Versuchsschule Dresden, hrsg. von der Lehrerschaft, Bericht 1926, Dresden 1926, Bericht 1929, Dresden 1929; Auch in der Fremde daheim. Ein Buch vom Austausch der Dürerschule zu Dresden, hrsg. von der Lehrerschaft, Leipzig 1927; B. Poste, Schulreform in Sachsen 1918-1923, Frankfurt/Main u.a. 1993; A. Pehnke, „Ich gehöre auf die Zonengrenze!“. Der sächsische Reformpädagoge und Heimatforscher Kurt S., Beucha 2004 (P).
Andreas Pehnke
14.9.2016
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Kurt Schumann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23860 [Zugriff 23.12.2024].
Kurt Schumann
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium für Volksbildung; Stadtarchiv Dresden, Schulamt, Dürerschule; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chem-nitz, Kreistag & Kreisrat Flöha; Kreisarchiv Marienberg, Personalakte Kurt S.; Privatarchiv A. Pehnke, Historische Dokumente zur sächsischen Reformpädagogik (P).
Werke Die pädagogischen Ansichten des Grafen Chesterfield, Langensalza 1917; (Mitarbeit), Sächsische Wanderbücher, Bd. 2, Dresden 1922, Bd. 5, Dresden 1923, Bd. 6, Dresden 1935; Rund um die Augustusburg, Dresden 1952, Leipzig ²1954; Das mittlere Erzgebirge - ein vergessenes Wandergebiet, in: Sächsische Heimatblätter 7/1961, H. 5, S. 263-270; Das Mittlere Zschopaugebiet, Berlin 1977.
Literatur Die Dürerschule, staatliche höhere Versuchsschule Dresden, hrsg. von der Lehrerschaft, Bericht 1926, Dresden 1926, Bericht 1929, Dresden 1929; Auch in der Fremde daheim. Ein Buch vom Austausch der Dürerschule zu Dresden, hrsg. von der Lehrerschaft, Leipzig 1927; B. Poste, Schulreform in Sachsen 1918-1923, Frankfurt/Main u.a. 1993; A. Pehnke, „Ich gehöre auf die Zonengrenze!“. Der sächsische Reformpädagoge und Heimatforscher Kurt S., Beucha 2004 (P).
Andreas Pehnke
14.9.2016
Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Kurt Schumann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23860 [Zugriff 23.12.2024].