Oswald Hempel
Über H.s Jugend und Ausbildung ist kaum etwas bekannt. Bis 1910 besuchte er die Schule. Erste praktische Erfahrung im Puppenspiel gewann er während des Ersten Weltkriegs. Als freiwilliger Soldat in Frankreich spielte er 1914 bis 1918 in den Feuerpausen Kaspertheater für seine Kameraden. Die Puppenköpfe schnitzte er selbst. Die Kostüme nähte ihm seine Schwester und schickte sie an die Front. Nach dem Ersten Weltkrieg bereiste H. mit seiner selbst gebauten Bühne hauptsächlich Norddeutschland und organisierte dort Umzüge und Kinderfeste in sozialen Einrichtungen. Nachdem ihn der Dresdner Volkskundler Oskar Seyffert als „Repräsentant lebendiger Volkskultur“ entdeckte hatte und 1924 für den Landesverein Sächsischer Heimatschutz engagierte, spielte H. als „Heimatschutzkasper“ im Kurländer Palais in Dresden bis zu dessen Zerstörung bei der Bombardierung der Stadt 1945. – H. gab dem traditionellen Jahrmarktkasper sozusagen eine bürgerliche Existenz, indem er ihm die soziale Rolle des treuen Familienvaters zuwies, der zusammen mit seiner Frau Gretel und den Kindern Hänsel und Gretel die Guckkastenbühne mit „Schlafzimmer“ und „guter Stube“ bewohnte. Diese dem zeitgenössischen Lebensstil angepasste Kasperfamilie ersetzte die traditionelle Personnage des Kaspertheaters, die aus Figuren wie Tod, Teufel, Krokodil, Henker und Richter bestand. Kaspers Antagonisten bildeten bei H. der „Räuberkarl“ und die „Hexengroßmutter“. Diese waren zwar boshaft, zugleich aber auch lächerlich dargestellt. Zu H.s Repertoire zählten Sagen und regionale Begebenheiten, die er zu dramatischen Fassungen bearbeitete und mit Spielanleitung herausbrachte. Dazu gehörten „Das Brückenmännlein an der Augustbrücke“ und „Das Märchen vom Dresdner Pflaumentoffel“, aber auch H.s Version des „Dr. Faust“. H. spielte explizit für alle Altersstufen. Besonders beliebt bei Erwachsenen waren die sog. „Kasper-Holz-Opern“, in denen H. zeitgenössische Theater- und Opernstars in Puppengestalt parodierte und die Zuschauer als Opernchor einbezog. In seinen berühmt gewordenen improvisierten Vorspielen zu den Stücken gab er dem Publikum das Gefühl, sie könnten im Dialog mit dem Kasper das Geschehen auf der Bühne mitbestimmen. Die Fabel der Stücke war meist einfach, den Erfolg machte das komödiantische Spiel aus, das schon die Ankündigungen zu den Stücken versprachen, wie z.B. „Gustel von Blasewitz. Ein Alt-Dresdner Singspiel unter der persönlichen Mitwirkung des Herrn Friedrich von Schiller.“ – Aus Anlass seines 20-jährigen Bühnenjubiläums wurde H. zum Ehrenmitglied der Staatstheater Dresden ernannt. In der NS-Zeit war H.s Arbeit der Kritik ausgesetzt, besonders 1938 während der Überprüfung des Repertoires der Berufspuppenspieler in der „Reichsarbeitswoche“ auf der Jugendburg Hohnstein. Dass er weiter spielen durfte, lag vermutlich v.a. an der Protektion durch Seyffert und an der Tatsache, dass die Nationalsozialisten deutsches Brauchtum wie das Puppenspiel bewahren wollten. Während des Zweiten Weltkriegs spielte H. weiterhin Kasperstücke, jetzt aber z.T. mit nachdenklichem Hintergrund, wenn auch immer mit gutem Ausgang. Zu diesen „Volks- und Kleiderkartenstücken“ zählte etwa „Bohnenkaffee - die traurige Geschichte einer Frau, mit der schnöden Sucht nach der Kaffeebohne“. H. wurde in allen Kriegsjahren bei der Frontbetreuung eingesetzt. Seit der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 gilt er als verschollen. Seine Bühnenausstattung verbrannte im Kurländer Palais.
Quellen Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Archiv der Puppentheatersammlung, Spielerakte H.
Werke Räuberkarl und Räuberliese, [Dresden um 1925]; 10 Jahre Puppenspiel, Dresden [1934]; Das Märchen vom Hasen, der goldene Eier legte, [Dresden 1942]; Lügenhansel. Das Dresdner Kasperl, Leipzig o.J.
Literatur O. Link, Wiedergabe von Berichten und Urteilen über H., Dresden 1938 [MS, Puppentheatersammlung Dresden]; K. A. Findeisen (Hg.), Oskar Seyffert zum Gedächtnis, Dresden 1940; M. Scholze, Oswald H. - Dem Heimatschutzkasper zum Gedächtnis, Dresden 1992 [MS, Puppentheatersammlung Dresden]; J. Weber-Unger, Man muss die Menschen froh machen, in: Dresdner Neuste Nachrichten 12.2.2001.
Porträt Oswald H., 1934, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle); Oswald H., 1938, Fotografie, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Puppentheatersammlung, Fotoarchiv.
Dorothee Carls
26.6.2006
Empfohlene Zitierweise:
Dorothee Carls, Artikel: Oswald Hempel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10632 [Zugriff 4.11.2024].
Oswald Hempel
Quellen Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Archiv der Puppentheatersammlung, Spielerakte H.
Werke Räuberkarl und Räuberliese, [Dresden um 1925]; 10 Jahre Puppenspiel, Dresden [1934]; Das Märchen vom Hasen, der goldene Eier legte, [Dresden 1942]; Lügenhansel. Das Dresdner Kasperl, Leipzig o.J.
Literatur O. Link, Wiedergabe von Berichten und Urteilen über H., Dresden 1938 [MS, Puppentheatersammlung Dresden]; K. A. Findeisen (Hg.), Oskar Seyffert zum Gedächtnis, Dresden 1940; M. Scholze, Oswald H. - Dem Heimatschutzkasper zum Gedächtnis, Dresden 1992 [MS, Puppentheatersammlung Dresden]; J. Weber-Unger, Man muss die Menschen froh machen, in: Dresdner Neuste Nachrichten 12.2.2001.
Porträt Oswald H., 1934, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle); Oswald H., 1938, Fotografie, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Puppentheatersammlung, Fotoarchiv.
Dorothee Carls
26.6.2006
Empfohlene Zitierweise:
Dorothee Carls, Artikel: Oswald Hempel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10632 [Zugriff 4.11.2024].