Margarete Bothe
Im Verlauf ihres Studiums an der Universität Leipzig distanzierte sich B. zunehmend vom Nationalsozialismus. Aufgrund ihrer Kontakte zu regimekritischen Kreisen wurde sie noch wenige Tage vor dem Einmarsch US-amerikanischer Truppen in Leipzig von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) ermordet. – Nach dem Abitur 1936 am Seydlitz-Oberlyzeum in Halle/Saale leistete B. für ein halbes Jahr Reichsarbeitsdienst. Anschließend ließ sie sich in Braunschweig zur Volksschullehrerin ausbilden und begann 1938 ein Studium der Germanistik, Geschichte und Geografie in Heidelberg. 1939 setzte sie ihr Studium in Leipzig fort und studierte hier u.a. bei
Otto Vossler, Hans-Georg Gadamer und Hermann August Korff. An der Universität fand B. Zugang zu einem Kreis befreundeter regimekritischer Kommilitoninnen und Kommilitonen, zu denen u.a.
Marianne Goerdeler,
Käte Lekebusch (spätere Ehefrau Gadamers),
Karl-Erich Born,
Renate Drucker,
Rosemarie Herrmann und
Elisabeth Grosch gehörten. 1944 promovierte sie bei Vossler über „Das Verhältnis von Moral und Politik bei Kant, Herder, Fichte und Hegel“ - eine ideengeschichtliche Dissertation ohne direkten Zeitbezug, aber mit erstaunlich unheroischen, unzeitgemäßen, dem Geist des Regimes geradezu widersprechenden Zitaten
Kants und
Herders zum Thema Krieg. Im November 1944 schloss sie ihr Studium mit dem Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab. – Am 1.12.1944 wurde B. unter dem Vorwurf verhaftet, im Wohnzimmer ihrer ehemaligen Vermieter - des NS-Gegners
Alfred Menzel und dessen Frau - ausländische Rundfunksender gehört zu haben. Vermutlich war sie durch eine Kommilitonin denunziert wurden, die zu ihrem regimekritischen Studentenkreis Kontakt hatte, obwohl sie als glühende Hitlerverehrerin bekannt war. B.s Prozess vor dem Leipziger Sondergericht I fand im Februar 1945 statt und endete am 8.2. mit einem Freispruch. Diesen respektierte die Gestapo jedoch nicht, sondern beantragte „Rückführung“. Somit kam es zur umgehenden Überstellung B.s aus der Untersuchungshaft in Gestapo-Haft im Polizeigefängnis Wächterstraße. Wie bereits in der Hauptverhandlung deutlich wurde, ging es der Gestapo nicht nur um das Abhören ausländischer Sender, sondern auch um B.s Freundschaft mit Käte Lekebusch und die Besuche im Hause Goerdeler. Besonders aber wurde hervorgehoben, dass sie ihre Vermieter, deren Gefährlichkeit sie doch gekannt habe, nicht angezeigt hatte. Während ihrer Haftzeit wurde B. von ihrer Freundin Elisabeth Grosch versorgt, die auch den Kontakt zu den Eltern in Hannover aufrecht erhielt, solange es möglich war, und die versuchte, mit der Gestapo zu verhandeln. In ihrem letzten Brief an ihre Eltern signalisierte B., dass sie nicht verzweifeln würde und sich, ohne zu wanken, ihrem Schicksal stelle. Eine besondere Stütze war ihr in dieser Zeit
Hertha Goldmann, die Ehefrau des Verlegers
Wilhelm Goldmann, die - ebenfalls in Gestapo-Haft - einen Monat lang mit B. eine Zelle teilte. Am 12.4.1945 befahl der Kommandant der Sicherheitspolizei Leipzig, alle Gestapo-Häftlinge, die eine Gefahr für den Staat darstellten, zu liquidieren. Da die Anzahl der Gestapo-Beamten nicht ausreichte, wurden von ursprünglich 130 vorgesehenen Gefangenen schließlich „nur“ 52 zum Exerzierplatz Lindenthal zu einem frischen Bombentrichter gefahren, wo sie mit Genickschüssen getötet, in den Trichter gestoßen und verscharrt wurden. Unter diesen Gefangenen befand sich auch B. Alle übrigen Leipziger Gestapo-Häftlinge wurden noch am selben Tag freigelassen. Wenige Tage später rückten US-amerikanische Truppen in Leipzig ein. Bei der Exhumierung am 2.5.1945 identifizierte Grosch die Leiche ihrer Freundin B. und sorgte für deren Einäscherung sowie die Überführung der Urne nach Merseburg. Diese wurde auf dem Stadtfriedhof, zwischen den Gräbern der Großeltern
Bithorn, beigesetzt. – Die Universität Leipzig ehrt B. mit einem Eintrag in das Ehrenbuch und auf einer Gedenktafel in der Universitätsbibliothek. Der Stadtteil Leipzig-Gohlis hat eine Straße nach ihr benannt.
Quellen Universitätsarchiv Leipzig, Promotionsakte B.; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, Landgericht Leipzig; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, NS-Archiv des MfS.
Werke Das Verhältnis von Moral und Politik bei Kant, Herder, Fichte und Hegel, Diss. Weida 1944.
Literatur H.-D. Schmid, Gestapo Leipzig, Beucha 1997; W. Bothe, „Verzweifeln tue ich nicht!“, in: Universität Leipzig. Journal 2005, H. 2, S. 42f. (P); ders., Margarete B. (1914-1945), in: Leipziger Almanach 2013/14, S. 319-386. – Sächsische Lebensbilder, Bd. 6/1, Stuttgart 2009, S. 45-95 (P).
Porträt Fotografie, 1939, Familienbesitz Bothe (Bildquelle).
Wulf Bothe
11.10.2016
Empfohlene Zitierweise:
Wulf Bothe, Artikel: Margarete Bothe,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24110 [Zugriff 22.12.2024].
Margarete Bothe
Quellen Universitätsarchiv Leipzig, Promotionsakte B.; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, Landgericht Leipzig; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, NS-Archiv des MfS.
Werke Das Verhältnis von Moral und Politik bei Kant, Herder, Fichte und Hegel, Diss. Weida 1944.
Literatur H.-D. Schmid, Gestapo Leipzig, Beucha 1997; W. Bothe, „Verzweifeln tue ich nicht!“, in: Universität Leipzig. Journal 2005, H. 2, S. 42f. (P); ders., Margarete B. (1914-1945), in: Leipziger Almanach 2013/14, S. 319-386. – Sächsische Lebensbilder, Bd. 6/1, Stuttgart 2009, S. 45-95 (P).
Porträt Fotografie, 1939, Familienbesitz Bothe (Bildquelle).
Wulf Bothe
11.10.2016
Empfohlene Zitierweise:
Wulf Bothe, Artikel: Margarete Bothe,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24110 [Zugriff 22.12.2024].