Martin Pietzsch

Nach Schulbesuch und einer Zimmermannslehre besuchte P. in Buxtehude bei Hamburg das Technikum, das er mit einem Abschluss als Baumeister beendete. Anschließend absolvierte er mehrere Praktika in Baubüros in Mainz und Dresden sowie ab 1886 Vorkurse an der Dresdner Kunstakademie (u.a. bei Friedrich Preller d.J.). 1888 bis 1891 studierte P. dort als Meisterschüler bei Konstantin Lipsius. Das Architekturstudium schloss er preisgekrönt ab. Danach war er bei verschiedenen Architekturbüros in München tätig, u.a. bei Bernhard Max Littmann (ab 1892 Heilmann & Littmann), ehe er nach Budapest ging und 1892 bis 1894 für das Büro des deutschstämmigen Arthur Meinig arbeitete. Im Anschluss daran unternahm P. eine halbjährige Italienreise, die ihn nach Venedig, Rom, Capri, Siena und Florenz führte. Diese zum großen Teil zu Fuß absolvierte Tour prägte ihn tief, insbesondere die Architektur Venetiens. – Nach seiner Rückkehr nach Dresden heiratete P. und gründete 1895 ein Büro für Architektur und Bauausführung in Blasewitz. Neben einigen Villenbauten in Blasewitz, die noch ein Suchen nach einem eigenen Stil verbunden mit gotisierenden Elementen zeigen, konnte er mit dem Künstlerhaus in Loschwitz (Baubeginn 1897) einen bedeutenden Bau verwirklichen, der sowohl eine typologische Neuheit in Sachsen (Ateliers und Wohnungen für insgesamt 18 Künstler waren in einem Haus vereinigt), als auch durch seine teils funktionale, teils monumental-malerische Gestaltung stilistisch ein bedeutendes Bauwerk der Reformarchitektur war. In den Villen- und Wohnhausbauten in Loschwitz und der Albertstadt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verfolgte P. eine moderne stilistische Richtung, z.B. eine eigenständige, zurückhaltende Dekoration der Baukörper wie auch der Innenraumgestaltung, die weder am Jugendstil der Jahrhundertwende noch am Späthistorismus des späten 19. Jahrhunderts angelehnt war. Beispiele für diesen Reformstil sind die Villa Grumbt (1906/07) sowie die landhausartige Villa Ehlert (1908/09), beide im Dresdner Waldschlößchenviertel gelegen. Mit diesen und ähnlichen Bauten schuf P. Werke, die sich stilistisch mit denen bekannter Dresdner Architekten wie Schilling & Graebner, Lossow & Kühne sowie Fritz Schumacher vergleichen lassen. Auch in technisch-funktionaler Hinsicht waren die Bauten P.s modern, sie besaßen Etagenheizung, elektrisches Licht und WCs. – P. baute zwischen 1895 und 1936, fast ausschließlich in Dresden-Loschwitz, Dresden-Blasewitz und Dresden-Neustadt, insgesamt 26 Wohnhäuser und Villen. Hinzu kamen Gaststätten wie die Anfang der 1970er-Jahre abgerissene „Loschwitzhöhe“ (1902) und mehrere Innenraumgestaltungen im öffentlichen Bereich (Ausstellungsarchitektur, Varietés) sowie das Elektrizitätswerk der Loschwitzer Standseilbahn (1909). Auch an Wettbewerben nahm P. teil. Er entwarf u.a. das Körner-Schiller-Denkmal in Loschwitz (1912) und gestaltete Grabanlagen, so z.B. für die Bankiersfamilie Arnhold auf dem Jüdischen Friedhof in Dresden. – Bedeutung erlangte P. aber auch als Kinoarchitekt. 1913 eröffnete in Dresden das von ihm entworfene Union-Theater („U.T.-Lichtspiele“), ein Kinopalast mit 1.000 Plätzen, einem Orchestergraben für 25 Musiker und einer innovativen Beleuchtung des hufeisenförmigen Zuschauersaals sowie einem gestuften Proszeniumsbereich. Nach dem Ersten Weltkrieg baute P. dann in Dresden fünf weitere Kinos, wobei es sich z.T. um Umbauten handelte. Auch außerhalb Dresdens war er auf diesem Gebiet gefragt, was mehrere Um- und Neubauten in Görlitz, Zittau sowie Bad Liebenwerda belegen. – Sein bedeutendstes Projekt war das Kino Capitol (1925), gleichzeitig Dresdens größtes Kino mit 2.250 Sitzplätzen. Hier wie auch an der 1927 eröffneten „Schauburg“ verwendete P. expressionistische Stilelemente (v.a. in den Stuckapplikationen und der Orgelverkleidung) und indirekte Beleuchtung. P.s große Dresdner Kinos wurden im Februar 1945 zerstört. Die „Schauburg“, deren massiger, fensterloser Baukörper eine wichtige Rolle im Straßenbild spielt, blieb unversehrt, wurde nach dem Krieg umgestaltet und blieb bis zur Eröffnung des Filmtheaters Prager Straße („Rundkino“) wichtigstes und größtes Premierenkino der Stadt. – P. kann als Vertreter der Reformarchitektur angesehen werden, der anfangs teilweise schwankend zwischen Jugendstilelementen, Monumentalformen, Sezessionstil, Landhausstil, puristischen Zügen und selbst klassizistischen Motiven seinen Weg suchte. Seine Bedeutung liegt v.a. in seinen großen Kinobauten, die eigenständig und modern konzipiert waren. – P. war Mitglied der Dresdner Kunstgenossenschaft und des Bunds Deutscher Architekten, für den er in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren auch Funktionen übernahm (Mitglied im Landesvorstand, Ortsgruppenvorsitz Dresden). Außerdem war er im Loschwitzer Gemeinderat und im Loschwitzer Heimatverein tätig. In den späten 1930er-Jahren bildete sich um P. ein privater Kollegenkreis befreundeter Architekten, der auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortbestand. Mitglieder im „Martin-Pietzsch-Kreis“ waren u.a. Emil Högg und Fritz Steudtner.

Quellen Stadtarchiv Dresden, Bau- und Grundstücksakten der Gemeinde Loschwitz, Baupolizeiakten Stadt Dresden, Bau- und Grundstücksakten der Stadt Dresden, Bauakten der Königlichen Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt (ab November 1918: Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt); Privatarchiv Familie Steude, Nachlass P.

Werke Künstlerhaus Loschwitz, 1897/98, 1904/05; Villa Barthel, Dresden-Blasewitz, 1904; Villa Grumbt, Dresden-Neustadt, 1906/07; Villa Oskar Ehlert, Dresden-Neustadt, 1908/09; Einfamilienhaus Dr. Eckarti, Dresden, 1927; Union-Theater Dresden (U.T.-Lichtspiele), 1912/13 (1945 ausgebrannt, Ruine 1961 abgerissen); Capitol Dresden, 1925 (1945 zerstört); Gloria-Palast Dresden, 1926 (1945 zerstört); Theater am Bischofsplatz (T.B.-Lichtspiele), 1926 (verfallen); Schauburg Dresden, 1927; Kronenlichtspiele Zittau, Neugestaltung, 1928 (außer Betrieb); Faunpalast Dresden, Umbau, 1929 (2005 abgerissen); Schauburg Görlitz (heute UFA-Palasttheater), Umgestaltung, um 1930 (die von P. geschaffene Innengestaltung ist z.T. erhalten); Capitol Bad Liebenwerda, 1937 (Saal 2004 abgerissen, Fassade erhalten).

Literatur Architektonische Studien, ausgewählt von P. Wallot, Dresden 1898; Architektenmappe, Dresden 1901; Ausgeführte Bauten und Entwürfe, Raumkunst und Kunstgewerbe von Architekt B.D.A. Martin P. Dresden-Loschwitz, Künstlerhaus, Berlin [1921]; Martin P., Berlin; P. Zucker, Theater und Lichtspielhäuser, Berlin 1926; H. Fiedler, Vom „Kintopp“ zum modernen Lichtspielhaus, in: Dresdner Geschichtsbuch, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Bd. 1, Altenburg 1995, S. 151-169; W. Steude, Der Erbauer des Loschwitzer Künstlerhauses, in: 100 Jahre Künstlerhaus Dresden-Loschwitz 1898-1998, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Dresden 1998, S. 7-24; G. Klatte, Der Dresdner Architekt Martin P., Magisterarbeit TU Dresden 2002. – DBA II; Thieme/Becker, Bd. 27, Leipzig 1999, S. 30; Vollmer, Bd. 6, Leipzig 1999, S. 347.

Porträt Martin P. in seinem Arbeitszimmer, 1957, Fotografie, Familienarchiv Clauß-Pietzsch-Steude (Bildquelle).

Gernot Klatte
12.11.2013


Empfohlene Zitierweise:
Gernot Klatte, Artikel: Martin Pietzsch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24320 [Zugriff 29.3.2024].

Martin Pietzsch



Quellen Stadtarchiv Dresden, Bau- und Grundstücksakten der Gemeinde Loschwitz, Baupolizeiakten Stadt Dresden, Bau- und Grundstücksakten der Stadt Dresden, Bauakten der Königlichen Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt (ab November 1918: Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt); Privatarchiv Familie Steude, Nachlass P.

Werke Künstlerhaus Loschwitz, 1897/98, 1904/05; Villa Barthel, Dresden-Blasewitz, 1904; Villa Grumbt, Dresden-Neustadt, 1906/07; Villa Oskar Ehlert, Dresden-Neustadt, 1908/09; Einfamilienhaus Dr. Eckarti, Dresden, 1927; Union-Theater Dresden (U.T.-Lichtspiele), 1912/13 (1945 ausgebrannt, Ruine 1961 abgerissen); Capitol Dresden, 1925 (1945 zerstört); Gloria-Palast Dresden, 1926 (1945 zerstört); Theater am Bischofsplatz (T.B.-Lichtspiele), 1926 (verfallen); Schauburg Dresden, 1927; Kronenlichtspiele Zittau, Neugestaltung, 1928 (außer Betrieb); Faunpalast Dresden, Umbau, 1929 (2005 abgerissen); Schauburg Görlitz (heute UFA-Palasttheater), Umgestaltung, um 1930 (die von P. geschaffene Innengestaltung ist z.T. erhalten); Capitol Bad Liebenwerda, 1937 (Saal 2004 abgerissen, Fassade erhalten).

Literatur Architektonische Studien, ausgewählt von P. Wallot, Dresden 1898; Architektenmappe, Dresden 1901; Ausgeführte Bauten und Entwürfe, Raumkunst und Kunstgewerbe von Architekt B.D.A. Martin P. Dresden-Loschwitz, Künstlerhaus, Berlin [1921]; Martin P., Berlin; P. Zucker, Theater und Lichtspielhäuser, Berlin 1926; H. Fiedler, Vom „Kintopp“ zum modernen Lichtspielhaus, in: Dresdner Geschichtsbuch, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Bd. 1, Altenburg 1995, S. 151-169; W. Steude, Der Erbauer des Loschwitzer Künstlerhauses, in: 100 Jahre Künstlerhaus Dresden-Loschwitz 1898-1998, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Dresden 1998, S. 7-24; G. Klatte, Der Dresdner Architekt Martin P., Magisterarbeit TU Dresden 2002. – DBA II; Thieme/Becker, Bd. 27, Leipzig 1999, S. 30; Vollmer, Bd. 6, Leipzig 1999, S. 347.

Porträt Martin P. in seinem Arbeitszimmer, 1957, Fotografie, Familienarchiv Clauß-Pietzsch-Steude (Bildquelle).

Gernot Klatte
12.11.2013


Empfohlene Zitierweise:
Gernot Klatte, Artikel: Martin Pietzsch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24320 [Zugriff 29.3.2024].