Paul Kirn

Nach der Berufung des Vaters an die Universität Leipzig wuchs K. in Sachsen auf. Er besuchte die Leipziger Thomasschule und studierte 1911 bis 1914 in Tübingen und Leipzig Geschichte, Klassische Philologie und Germanistik. Das Interesse an Fragen der Urkundenlehre und Kanzleigeschichte sowie an Problemen der frühmittelalterlichen Rechts- und Verfassungsgeschichte war durch seinen akademischen Lehrer, den Leipziger Mittelalterhistoriker Gerhard Seeliger, bestimmt. Im Ersten Weltkrieg wurde K. an der Westfront verwundet und geriet in französische Kriegsgefangenschaft. Erst 1920 konnte er deshalb seine vor dem Krieg begonnene Dissertation über das Urkundenwesen und die Kanzlei der Mainzer Erzbischöfe im 15. Jahrhundert abschließen. Nach der Promotion wirkte K. zunächst einige Jahre im Schuldienst, um dann aber als Assistent an die Universität Leipzig zurückzukehren und sich 1926 mit einer Untersuchung über „Friedrich den Weisen und die Kirche“ zu habilitieren. Diese bis heute grundlegende Arbeit berührt zentrale Fragen der spätmittelalterlichen kirchlichen Verhältnisse sowie der Frühreformation. Auf das Thema hatte ihn sein väterlicher Freund, der Leipziger Kirchenhistoriker Heinrich Boehmer, aufmerksam gemacht. Nach dem Tod Boehmers 1927 vollendete K. dessen Ausgabe der Briefe Thomas Müntzers. Sowohl diese Quellenausgabe als auch Dissertation und Habilitationsschrift beruhen auf ausgedehnten Archivstudien und zeigen, dass K. die hilfswissenschaftlichen Methoden sicher beherrschte. Darüber hinaus besaß er aber auch die Fähigkeit zur großen Synthese, die er erstmals in einem umfangreichen Beitrag über das Frühmittelalter in der von Walter Goetz herausgegebenen (ersten) „Propyläen Weltgeschichte“ (1932) unter Beweis stellte. Seine „Politische Geschichte der deutschen Grenzen“ (1934) hat als Standardwerk vor und nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Auflagen erlebt. – In Leipzig hat K. zunächst als Privatdozent, seit 1932 als außerplanmäßiger Professor gelehrt. 1935 folgte er dem Ruf auf den Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt/Main, wo auch die Historischen Hilfswissenschaften zu seinem Aufgabengebiet gehörten. Bis zu seiner Emeritierung 1959 hat K. in Frankfurt gelehrt. In diesen Jahren entstanden mehrere Publikationen, die K.s gründliche Kenntnis der mittelalterlichen Geschichtsschreibung belegen, u.a. die Monografien „Aus der Frühzeit des Nationalgefühls“ (1943) und „Das Bild des Menschen in der Geschichtsschreibung von Polybios bis Ranke“ (1955). – In der Weimarer Republik hatte sich K. als „Vernunftrepublikaner“ der Deutschen Volkspartei Gustav Stresemanns angeschlossen. Dem Nationalsozialismus gegenüber hat K. nicht zuletzt aufgrund seiner christlichen Grundhaltung keinerlei Konzessionen gemacht. Nach dem Zeiten Weltkrieg gehörte K. folglich zu den ersten Professoren der Universität Frankfurt, die ihre Lehrtätigkeit wieder aufnehmen konnten. Gemeinsam mit Otto Vossler bestimmte er die liberale Atmosphäre des Frankfurter Historischen Seminars in den 1950er-Jahren, sein bedeutendster Schüler ist der Mittelalterhistoriker Werner Goez. – K. war ein umfassend gebildeter, breit interessierter Gelehrter und zudem ein hervorragender akademischer Lehrer, wovon seine mehrfach aufgelegte „Einführung in das Studium der Geschichte“ Zeugnis ablegt. Seine Bücher und Aufsätze sind geprägt von einem vornehmen Stil und zeigen, dass er „in der großen deutschen Bildungstradition“ lebte und sich „bemühte ..., sie weiterzugeben“ (W. Goez). K. führte eine elegante, aber schwere Feder, weshalb sein Œuvre schmal, aber gewichtig geblieben ist. Seit den 1950er-Jahren hat K. kaum noch publiziert. Nach längerer Krankheit verstarb er 1965 in Frankfurt. K. war u.a. seit 1953 korrespondierendes Mitglied der Monumenta Germaniae Historica in München und seit 1956 Mitglied der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang von Goethe-Universität Frankfurt.

Werke Das Urkundenwesen und die Kanzlei der Mainzer Erzbischöfe im fünfzehnten Jahrhundert, Diss. Heidelberg 1929; Friedrich der Weise und die Kirche, Habilitation Leipzig 1926 (ND Hildesheim 1972); Politische Geschichte der deutschen Grenzen, Leipzig 1934; Einführung in die Geschichtswissenschaft, Berlin 1947; Das Bild des Menschen in der Geschichtsschreibung von Polybios bis Ranke, Göttingen 1955.

Literatur E. Kaufmann (Hg.), Festgabe für Paul K. zum 70. Geburtstag, Berlin 1961, S. 255f. (WV, Bildquelle); W. Goez, Paul K. † (Nachruf), in: Historische Zeitschrift 202/1966, S. 517f.; ders., Paul K., in: Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Jahrbuch 1965, Frankfurt/Main 1966, S. 167f.; N. Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. 1, Neuwied/Frankfurt/Main 1989. – DBA II, III; NDB 11, S. 669f.; W. Weber, Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Frankfurt/Main u.a. 21987, S. 302f.

Enno Bünz
21.12.2004


Empfohlene Zitierweise:
Enno Bünz, Artikel: Paul Kirn,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/19439 [Zugriff 22.11.2024].

Paul Kirn



Werke Das Urkundenwesen und die Kanzlei der Mainzer Erzbischöfe im fünfzehnten Jahrhundert, Diss. Heidelberg 1929; Friedrich der Weise und die Kirche, Habilitation Leipzig 1926 (ND Hildesheim 1972); Politische Geschichte der deutschen Grenzen, Leipzig 1934; Einführung in die Geschichtswissenschaft, Berlin 1947; Das Bild des Menschen in der Geschichtsschreibung von Polybios bis Ranke, Göttingen 1955.

Literatur E. Kaufmann (Hg.), Festgabe für Paul K. zum 70. Geburtstag, Berlin 1961, S. 255f. (WV, Bildquelle); W. Goez, Paul K. † (Nachruf), in: Historische Zeitschrift 202/1966, S. 517f.; ders., Paul K., in: Die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Jahrbuch 1965, Frankfurt/Main 1966, S. 167f.; N. Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. 1, Neuwied/Frankfurt/Main 1989. – DBA II, III; NDB 11, S. 669f.; W. Weber, Biographisches Lexikon zur Geschichtswissenschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz, Frankfurt/Main u.a. 21987, S. 302f.

Enno Bünz
21.12.2004


Empfohlene Zitierweise:
Enno Bünz, Artikel: Paul Kirn,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/19439 [Zugriff 22.11.2024].