Gotthilf Ludwig Möckel

M. war ein bedeutender Architekt des deutschen Historismus. Der als „Gotiker“ bekannt gewordene M., der 1866 bis 1875 in Zwickau tätig war, dann in Dresden lebte und 1885 ins mecklenburgische Doberan umzog, hat in Sachsen, Mecklenburg und Preußen ein umfangreiches künstlerisches Werk hinterlassen. 86 Kirchenneubauten und -restaurierungen gehen auf seine Pläne zurück. M. betrachtete die Gotik als Universalstil für alle Bauaufgaben und trat für eine unverputzte Backsteinarchitektur ein, die sich an die norddeutsche Backsteingotik anlehnt, aber die historischen Formen frei verarbeitet. Seinen Bauten versuchte er stets eine eigene Note zu geben. Mit seinen Entwürfen hatte er großen Einfluss auf den sächsischen Kirchenbau im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. – Der in Zwickau aufgewachsene M. war der Ausbildung nach ein einfacher Bauhandwerker. Obwohl er kein akademisches Studium vorweisen konnte, gelang es ihm, mit viel Fleiß und Einsatz den Zutritt zu anspruchsvollen Bauaufgaben zu erkämpfen und gesellschaftliches Ansehen zu erlangen. Nach dem Besuch der Bürgerschule seiner Heimatstadt und der Gewerbeschule in Chemnitz absolvierte er 1853 bis 1856 eine Maurerlehre, wobei er sich zugleich an der Baugewerkeschule Chemnitz fortbildete. 1858 wurde er als Zeichner in das Oberingenieurbüro der Obererzgebirgischen Staatsbahn in Zwickau aufgenommen, 1859 wechselte er in das Betriebsbüro der Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen in Chemnitz und 1859/60 war er bei der Zwickauer Baufirma Eduard Flechsig beschäftigt. 1860 reiste M. nach Hannover, um im Architekturbüro von Edwin Oppler zu arbeiten. In Hannover besuchte er 1861/62 als Gasthörer die Polytechnische Schule. Die von Conrad Wilhelm Hase und Wilhelm Lüer begründete hannoversche Architekturschule, die sich an der Backsteingotik orientierte, zugleich aber um schöpferische Originalität bemüht war, prägte ihn sehr. 1862 bis 1865 leitete M. als Assistent von Julius Rasch den Bau der Irrenanstalt in Göttingen. – M. kehrte 1866 in seine Heimatstadt Zwickau zurück, um als Architekt und Bauhandwerker tätig zu werden. Er hatte sofort großen Erfolg, was sich auch darin äußerte, dass er 1872 zum Stadtverordneten gewählt wurde. Mit seinen Villen und Mietshäusern - meist unverputzte neogotische Backsteinbauten mit klarer Gliederung, die sich durch gut durchdachte Grundrisslösungen auszeichnen - setzte er neue Akzente im Stadtbild. Durch den Bau der Lukaskirche in Planitz bei Zwickau (1873-1876) wurde M. auch überregional bekannt. Einfühlsam restaurierte und erneuerte er die Katharinenkirche in Buchholz (1874-1877) und die Bartholomäuskirche in Waldenburg (1874-1879). Nachdem er den Auftrag erhalten hatte, die Johanneskirche in der Pirnaischen Vorstadt in Dresden zu errichten, zog er 1875 in die Landeshauptstadt um. M. hatte sich mit seinem Entwurf gegen die in Dresden vorherrschende klassizistische Architekturschule durchgesetzt. Die in Sandstein erbaute Johanneskirche (1875-1878, 1945 zerstört), die erste neogotische Kirche in Dresden, beherrschte mit ihrem ausdrucksstarken Turm das Stadtviertel. Mit diesem Sakralbau, der vielfach nachgeahmt wurde, zeigte M., dass er sich stilsicher in die französische Gotik einfühlen konnte. Die Johanneskirche gilt als die bedeutendste Leistung in M.s Lebenswerk. Sein eigenes Wohnhaus, die Villa Leubnitzer Straße 28 (1877/78), erregte als erster unverputzter Backsteinbau in Dresden viel Aufsehen. In seinem Dresdner Architekturbüro entwarf M. die Erlöserkirche in Striesen (1878-1880, 1945 zerstört), die Lutherkirche in Döhlen bei Freital (1880-1882), die evangelische Kirche in Tetschen (tschech. Děčín) (1881-1884), die außerordentlich reich gegliederte Markuskirche in Reudnitz bei Leipzig (1882-1884, 1978 abgerissen) und die Kirche in Strahwalde (1883/84). Unter den vielen Stadt- und Dorfkirchen, die M. restaurierte, umbaute und mit einer neogotischen Ausstattung versah, ist v.a. die Kirche in Briesnitz bei Dresden (1881/82) zu erwähnen. Durch die Schlossumbauten 1880/81 in Wohla bei Löbau, Grätz (tschech. Hradec nad Moravicí) und Klemzig (poln. Klępsk) wurde der Architekt auch in Adelskreisen bekannt. Das Schloss in Schönfeld bei Großenhain (1880-1882) versah M. mit einer opulenten Neorenaissancearchitektur. – M. hatte schon frühzeitig Kontakte nach Mecklenburg. Er entwarf die katholische Herz-Jesu-Kapelle in Heiligendamm (1880-1888) und restaurierte das achteckige Beinhaus im Kloster Doberan. Nachdem er den Großherzog von Mecklenburg auf den Verfall des Doberaner Münsters aufmerksam gemacht und 1882 ein Gutachten vorgelegt hatte, wurde er mit der Restaurierung dieses bedeutenden gotischen Bauwerks beauftragt. Er gab seine Stellung in Dresden auf und zog 1885 nach Doberan. Das Dresdner Architekturbüro übernahm Christian Gottfried Schramm, der zuvor viele Bauten M.s ausgeführt hatte. M. errichtete bedeutende Bauten für die Großherzöge Friedrich Franz III. und Friedrich Franz IV. von Mecklenburg-Schwerin. Er entwarf das Jagdschloss Gelbensande (1885/86), das Friderico-Francisceum-Gymnasium in Doberan (1887-1889), das Ständehaus in Rostock (1888-1893), das mit seinem reichen gotischen Dekor die traditionellen Herrschaftsrechte der mecklenburgischen Ritter- und Landschaft versinnbildlicht, und die Friedrich-Franz-Schule in Rostock (1889). Die Restaurierung des Doberaner Münsters nahm fünfzehn Jahre in Anspruch und war erst 1900 abgeschlossen. 1886 wurde M. zum technischen Beirat im Finanzministerium für Angelegenheiten des Kirchenbaus ernannt. In diesem Amt hatte er die Aufgabe, neue Kirchenbauprojekte zu bewerten, Gutachten vorzulegen und Alternativentwürfe zu erstellen. Der selbstbewusste Architekt nutzte dieses Amt, indem er selbst zahlreiche Baupläne für mecklenburgische Dorfkirchen erstellte. – Da im dünn besiedelten Mecklenburg größere Kirchenbauvorhaben nicht zu erwarten waren, nahm M. auch Aufträge aus anderen deutschen Staaten an. M. baute ein Blindenheim in Königs Wusterhausen (1899-1901), das Schloss Preyl bei Königsberg (russ. Kaliningrad), die Lutherkirche in Danzig-Langfuhr (poln. Wrzeszcz) (1899) und die deutsche evangelische Johanniskirche im türkischen Izmir (1906, zerstört). Die Trinitatiskirche in der Stadt Hainichen (entworfen 1890, ausgeführt 1896-1899) veranschaulicht, dass M. über zentralisierte Kirchenräume nachdachte, wie sie von der Reformbewegung gefordert wurden. Schon bei seinem Entwurf für die Peterskirche in Leipzig (1877) hatte er einen Zentralbau vorgeschlagen. In Hainichen schuf M. einen geräumigen Predigtraum, der von weit gespannten Spitzbögen gebildet wird, die sich in den Ecken der Vierung überschneiden. In der Berliner Samariterkirche (1892-1894), der Berliner Versöhnungskirche (1892-1894, 1985 abgerissen) und der Potsdamer Erlöserkirche (1896-1898) wiederholte er dieses neuartige System. In Chemnitz setzte M. mit dem Turm der Schlosskirche (1895-1897) einen wichtigen städtebaulichen Akzent. Das letzte Bauvorhaben, das er ausführte, war die katholische Christuskirche in Rostock (1907-1909). – Der hoch geehrte und mit vielen Auszeichnungen dekorierte Architekt starb im Oktober 1915, wenige Tage, nachdem er auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt worden war. In M.s Doberaner Haus (1885-1888) ist seit 1983 das Stadtmuseum untergebracht.

Werke Lukaskirche Zwickau-Planitz, 1873-1876; St.-Katharinen-Kirche Annaberg-Buchholz, Restaurierung, 1874-1877; Pfarrkirche St. Bartholomäus Waldenburg, Restaurierung, 1874-1879; Johanneskirche Dresden, 1875-1878, 1945 zerstört; Kloster Bad Doberan, Beinhaus, Restauration, 1877; Villa Leubnitzer Straße 28 Dresden, 1877/78; Erlöserkirche Dresden-Striesen, 1878-1880, 1945 zerstört; Herz-Jesu-Kapelle Bad Doberan-Heiligendamm, 1880-1888; Schloss Wohla Löbau, Umbau, 1880/81; Schloss Grätz, Umbau, 1880/81; Schloss Klemzig, Umbau, 1880/81, 1945/46 zerstört; Schloss Schönfeld bei Großenhain, Umbau, 1880-1882; Lutherkirche Freital-Döhlen, 1880-1882; Kirche Dresden-Briesnitz, Umbau, 1881/82; Evangelische Kirche Tetschen, 1881-1884; Möckelhaus Bad Doberan, 1885-1888; Markuskirche Leipzig-Reudnitz, 1882-1884, 1978 abgerissen; Kloster Bad Doberan, Münster, Restauration, 1883-1900; Kirche Strahwalde, 1883/84; Jagdschloss Gelbensande, 1885/86; Friderico-Francisceum-Gymnasium Bad Doberan, 1887-1889; Ständehaus Rostock, 1888-1893; Friedrich-Franz-Schule Rostock, 1889, 1945 zerstört; Trinitatiskirche Hainichen, 1896-1899; Schloss Preyl bei Königsberg; Versöhnungskirche Berlin-Mitte, 1892-1894, 1985 abgerissen; Samariterkirche Berlin-Friedrichshain, 1892-1894; Schlosskirche Chemnitz, Ausbau des Westturms, Innenausstattung, 1895-1897; Erlöserkirche Potsdam, 1896-1898; Lutherkirche Danzig-Langfuhr, 1899; Blindenheim Königs Wusterhausen, 1899-1901; Johanniskirche Izmir, 1906, zerstört; Christuskirche Rostock, 1907-1909, 1944 zerstört.

Literatur C. Gurlitt, Jagdhaus Gelbensande, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 12/1892, S. 252-254; Gotthilf Ludwig M. †, in: Deutsche Bauzeitung 49/1915, S. 546f.; Pries, G. L. M. †, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 35/1915, S. 632; K. Schmaltz, Die Kirchenbauten Mecklenburgs, Schwerin 1927; P. Klopfer, Gotthilf Ludwig M. (1838-1915), der Baumeister der Zwickauer Neugotik, in: Zwickauer Pulsschlag 1957, H. 1, S. 11ff.; F. Löffler, Das alte Dresden, Leipzig 1981; V. Helas, Architektur in Dresden 1800-1900, Braunschweig/Wiesbaden 1985; H. Magirius, Geschichte der Denkmalpflege. Sachsen, Berlin 1989; A. Behr (Hg.), Große Baumeister, Berlin 1990; H. Mai, Kirchen in Sachsen. Vom Klassizismus bis zum Jugendstil, Berlin/Leipzig 1992; Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen. Stadt Leipzig. Die Sakralbauten, Bd. 1, hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, München/Berlin 1995; K.-H. Barth, Gotthilf Ludwig M. (1838-1915). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Architektur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 2001 (WV). – DBA II, III; DBE 7, S. 162; NDB 17, S. 608-619; Thieme/Becker, Bd. 24, Leipzig 1999, S. 608.

Porträt Gotthilf Ludwig M., um 1875, Fotografie, Ratsschulbibliothek Zwickau (Bildquelle).

Matthias Donath
1.12.2006


Empfohlene Zitierweise:
Matthias Donath, Artikel: Gotthilf Ludwig Möckel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2904 [Zugriff 27.12.2024].

Gotthilf Ludwig Möckel



Werke Lukaskirche Zwickau-Planitz, 1873-1876; St.-Katharinen-Kirche Annaberg-Buchholz, Restaurierung, 1874-1877; Pfarrkirche St. Bartholomäus Waldenburg, Restaurierung, 1874-1879; Johanneskirche Dresden, 1875-1878, 1945 zerstört; Kloster Bad Doberan, Beinhaus, Restauration, 1877; Villa Leubnitzer Straße 28 Dresden, 1877/78; Erlöserkirche Dresden-Striesen, 1878-1880, 1945 zerstört; Herz-Jesu-Kapelle Bad Doberan-Heiligendamm, 1880-1888; Schloss Wohla Löbau, Umbau, 1880/81; Schloss Grätz, Umbau, 1880/81; Schloss Klemzig, Umbau, 1880/81, 1945/46 zerstört; Schloss Schönfeld bei Großenhain, Umbau, 1880-1882; Lutherkirche Freital-Döhlen, 1880-1882; Kirche Dresden-Briesnitz, Umbau, 1881/82; Evangelische Kirche Tetschen, 1881-1884; Möckelhaus Bad Doberan, 1885-1888; Markuskirche Leipzig-Reudnitz, 1882-1884, 1978 abgerissen; Kloster Bad Doberan, Münster, Restauration, 1883-1900; Kirche Strahwalde, 1883/84; Jagdschloss Gelbensande, 1885/86; Friderico-Francisceum-Gymnasium Bad Doberan, 1887-1889; Ständehaus Rostock, 1888-1893; Friedrich-Franz-Schule Rostock, 1889, 1945 zerstört; Trinitatiskirche Hainichen, 1896-1899; Schloss Preyl bei Königsberg; Versöhnungskirche Berlin-Mitte, 1892-1894, 1985 abgerissen; Samariterkirche Berlin-Friedrichshain, 1892-1894; Schlosskirche Chemnitz, Ausbau des Westturms, Innenausstattung, 1895-1897; Erlöserkirche Potsdam, 1896-1898; Lutherkirche Danzig-Langfuhr, 1899; Blindenheim Königs Wusterhausen, 1899-1901; Johanniskirche Izmir, 1906, zerstört; Christuskirche Rostock, 1907-1909, 1944 zerstört.

Literatur C. Gurlitt, Jagdhaus Gelbensande, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 12/1892, S. 252-254; Gotthilf Ludwig M. †, in: Deutsche Bauzeitung 49/1915, S. 546f.; Pries, G. L. M. †, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 35/1915, S. 632; K. Schmaltz, Die Kirchenbauten Mecklenburgs, Schwerin 1927; P. Klopfer, Gotthilf Ludwig M. (1838-1915), der Baumeister der Zwickauer Neugotik, in: Zwickauer Pulsschlag 1957, H. 1, S. 11ff.; F. Löffler, Das alte Dresden, Leipzig 1981; V. Helas, Architektur in Dresden 1800-1900, Braunschweig/Wiesbaden 1985; H. Magirius, Geschichte der Denkmalpflege. Sachsen, Berlin 1989; A. Behr (Hg.), Große Baumeister, Berlin 1990; H. Mai, Kirchen in Sachsen. Vom Klassizismus bis zum Jugendstil, Berlin/Leipzig 1992; Die Bau- und Kunstdenkmäler von Sachsen. Stadt Leipzig. Die Sakralbauten, Bd. 1, hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, München/Berlin 1995; K.-H. Barth, Gotthilf Ludwig M. (1838-1915). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Architektur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 2001 (WV). – DBA II, III; DBE 7, S. 162; NDB 17, S. 608-619; Thieme/Becker, Bd. 24, Leipzig 1999, S. 608.

Porträt Gotthilf Ludwig M., um 1875, Fotografie, Ratsschulbibliothek Zwickau (Bildquelle).

Matthias Donath
1.12.2006


Empfohlene Zitierweise:
Matthias Donath, Artikel: Gotthilf Ludwig Möckel,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2904 [Zugriff 27.12.2024].