Kurt Hassert
H. besuchte das Domgymnasium seiner Geburtsstadt und studierte anschließend Geografie und Naturwissenschaften in Leipzig und Berlin. Besonders starken Einfluss übte auf ihn Friedrich Ratzel aus, der ihn bereits im zweiten Semester zu seinem Famulus wählte und ihn 1890 promovierte. Im darauf folgenden Jahr hielt sich H. ein halbes Jahr in Wien auf, um die topografische Geländeaufnahme im k. u. k. Militärgeographischen Institut zu lernen. Für seine Habilitation wählte er sich das damals noch weitgehend unerforschte Montenegro aus, das er während einer fünfmonatigen Fußwanderung intensiv kennenlernte und später noch mehrfach besuchte. Aus dieser Forschungstätigkeit gingen neben der Habilitationsschrift (1895) verschiedene Publikationen hervor. Seine Antrittsvorlesung in Leipzig hielt er zum Thema „Die Völkerwanderung der Eskimos“. – Nachdem sich H. bereits als Schüler für den Kolonialgedanken begeistert und 1885 seine ersten kleinen Veröffentlichungen über Afrika und den deutschen Kolonialerwerb verfasst hatte, stand die Kolonialgeografie im Mittelpunkt seiner Vorlesungen. In der umfangreichen, 1899 erschienenen Landeskunde über die deutschen Kolonien zeigt sich, wie später immer wieder, dass es H. verstand, in allgemein verständlicher Weise zu schreiben und mit seinen fachgeografischen Büchern ein breites Publikum zu erreichen. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität las er auch als erster Dozent der Geografie an der 1898 gegründeten Handelshochschule. 1899 folgte er einem Ruf nach Tübingen, wo er den Lehrstuhl von Alfred Hettner übernahm. Das Thema seiner dortigen Antrittsvorlesung „Die anthropogeographische und politischgeographische Bedeutung der Flüsse“ macht den Einfluss Ratzels deutlich, dem er später mehrere Aufsätze widmete. 1903 wechselte H. an die neu gegründete Handelshochschule in Köln, wo er als Professor für Geografie bis 1914 lehrte. In seiner Kölner Zeit unternahm H. mehrere große Reisen, u.a. nach Siebenbürgen (1902/03), Italien (1903), Nordamerika (1904, 1910) und auf die Britischen Inseln (1912/13). H.s Schwerpunkte in der Forschung und Lehre lagen v.a. in der Wirtschaftsgeografie und weiterhin in der Kolonialgeografie. Auf zwei eigenen Reisen lernte er Afrika kennen: 1905 nahm er am italienischen Kolonialkongress in Asmara teil und erforschte im Anschluss Eritrea. Im Auftrag des Reichskolonialamts folgte 1907/08, gemeinsam mit
Franz Thorbecke, dem späteren Nachfolger H.s in Köln, eine Expedition durch das Innere Kameruns und die Kartierung des Kamerungebirges. – Seine vielseitigen Interessen fanden ihren Ausdruck in seinen zahlreichen Publikationen. Dazu gehören die früheste Gesamtdarstellung zur Stadtgeografie (1907) sowie ein umfangreiches Lehrbuch zur Verkehrsgeografie (1913). 1915 erhielt er den Ruf an die Technische Hochschule Dresden, wo der geografische Lehrstuhl seit dem Tod Sophus Ruges 1903 vakant geblieben und durch den Hydrologen Harry Gravelius vertreten worden war. Während der folgenden zwei Jahrzehnte (1917-1936) gelang es ihm, die Geografie aus kleinsten Anfängen mit zunächst acht Studierenden zu einem Vollinstitut auszubauen und einen großen Schülerkreis (Sommersemester 1928: 462 Studenten) auszubilden. 1927 bezog das Institut das ehemalige Gebäude des Anorganisch-chemischen Laboratoriums, das während der Bombennacht vom 13./14.2.1945 völlig zerstört wurde. Obwohl bereits seit 1936 im Ruhestand, nahm er während des Zweiten Weltkriegs seine Lehrtätigkeit in Dresden für den zum Wehrdienst einberufenen Nikolaus Creutzburg wieder auf. Als der Leipziger Lehrstuhl durch die Internierung Heinrich Schmitthenners und Karl Heinrich Dietzels 1945 unbesetzt blieb, brachte sich H. trotz seines hohen Alters selbst ins Spiel. In einem Schreiben vom 13.11.1946 an die Universität Leipzig verwies er auf seine „noch ungebrochene körperliche und geistige Rüstigkeit“ und bot an, den Lehrstuhl kommissarisch zu übernehmen, bis ein Jüngerer gefunden sei. Zum Sommersemester erfolgte seine Bestallung zum Ordinarius in Leipzig, wo seine akademische Laufbahn begonnen hatte. Anfang des Wintersemesters 1947/48 musste H. jedoch krankheitsbedingt seine Vorlesungen an seine Assistentin
Erna Reimann abtreten, versuchte aber bis zu seinem Tod, die Aufgaben des Institutsdirektors vom Krankenbett aus zu erfüllen. – H. wird als zurückhaltender, bescheidener Mensch geschildert, der öffentliche Ämter mied. Seinen Schülern ließ er große Freiheiten bei der Wahl ihrer Themen, eine eigene akademische Schule bildete H. nicht aus. Von enormem Fleiß und Belesenheit sowie einer besonderen Fähigkeit zur Kompilation und allgemein verständlichen Ausdrucksweise zeugen seine zahlreichen Publikationen. H. gehörte der Generation von Geografen an, für die es selbstverständlich war, die Disziplin sowohl in physisch-, als auch in anthropogeografischer Hinsicht zu beherrschen und sie in Form länderkundlicher Darstellungen zu präsentieren.
Quellen Technischen Universität Dresden, Universitätsarchiv, Personalakte H.; Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Personalakte H., Promotionsakte Phil. Fak.; Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium für Volksbildung, Personalakte H.; Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig, Archiv für Geographie, Nachlass H.
Werke Die Polargrenze der bewohnten und bewohnbaren Erde, Diss. Leipzig 1890; Reise durch Montenegro und Bemerkungen über Land und Leute, Wien 1893; Beiträge zur physischen Geographie von Montenegro mit besonderer Berücksichtigung des Karstes, Habilitation Gotha 1895; Deutschlands Kolonien, Leipzig 1899, 21910; Geographische Lage und Entwickelung Leipzigs, in: Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig 1898 (1899), S. 17-53; mit A. Kirchhoff (Hg.), Bericht über die neuere Litteratur zur deutschen Landeskunde, Berlin 1901; Die neuen deutschen Erwerbungen in der Südsee, Leipzig 1903; Landeskunde des Königreichs Württemberg, Leipzig 1903, Berlin 21913; Landeskunde und Wirtschaftsgeographie des Festlandes Australien, Leipzig 1907, Gotha 21924; Die Polarforschung. Leipzig 1907, 31914 (ND Berlin 1923 [russ.]); Die Städte geographisch betrachtet, Leipzig 1907; Allgemeine Verkehrsgeographie, Berlin 1913, 21931 [2 Bde.]; Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, Bd. 1, Berlin 1917; Das Türkische Reich, Tübingen 1918; Wesen und Bildungswert der Wirtschaftsgeographie, Berlin 1919; Die Vereinigten Staaten von Amerika als politische und wirtschaftliche Weltmacht geographisch betrachtet, Tübingen 1922; Das Wirtschaftsleben Deutschlands und seine geographischen Grundlagen, Leipzig 1923, Dresden 21934; Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, Bd. 1, Berlin 1917; Der neue Weltverkehr, Berlin 1928; Einführung in die geographische Literatur, Dresden 1931, 21934; Die Erforschung Afrikas, Leipzig 1941, 21943 (ND Prag 1943 [tschech.], Amsterdam 1944 [niederl.]).
Literatur J. Siegel, Kurt H. zum sechzigsten Geburtstage, in: Geographischer Anzeiger 29/1928, H. 3, S. 76-79 (P); Zwei Beiträge zur Analyse alpiner Formen. Unserem verehrten Lehrer Herrn Prof. Dr. Kurt H. zum 65. Geburtstag von seinen jetzigen und ehemaligen Dresdner Schülern gewidmet, Dresden 1933; E. Grunicke, Kurt H.s Verdienste um die deutschen Kolonien, in: Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Dresden NF 1936/38, S. 1-8 (P, WV); K. Wiedemann, Prof. Dr. phil. Kurt H. 75 Jahre alt, in: Raumforschung und Raumordnung 7/1943, H. 1/2, S. 60; L. Mecking, Kurt H. †, in: Forschungen und Fortschritte 24/1948, Nr. 13/14, S. 166; J. Siegel, [Nekrolog], in: Naturwissenschaftliche Rundschau 1949, S. 78f.; M. Reuther, Kurt H. Leben und Werk, in: Petermanns geographische Mitteilungen 94/1950, H. 2, S. 89-92; K. H. Schröder, Geographie an der Universität Tübingen 1512-1977, Tübingen 1977, S. 43f. (P); G. Pansa, Ernst Emil Kurt H., in: Geographers 10/1986, S. 69-76 (P, WV); G. Ziegler, Kurt H., in: B. Schemann/G. Voppel/G. Ziegler (Hg.), 100 Jahre Gesellschaft für Erdkunde zu Köln, Köln 1987, S. 24 (P); S. Conrad, Kurt H. Geograph (1868-1947), in: A. Jones, (Hg.), Afrika in Leipzig. Erforschung und Vermittlung eines Kontinents 1730-1950, Leipzig 1995, S. 20; M. Gebel u.a., Ausbildung und Forschung am Institut für Geographie der TU Dresden von den Anfängen bis zur Gegenwart. Zeitraum 1874 bis 1945, in: W. Kaulfuß/H. Kowalke (Hg.), Das Institut für Geographie an der Technischen Universität Dresden, Dresden 2003, S. 7-17 (P). – DBA I, II, III; DBE 4, S. 429; NDB 8, S. 48f.; E. Brunotte (Hg.), Lexikon der Geographie in vier Bänden, Bd. 2, Heidelberg 2002, S. 93; E. Banse, Lexikon der Geographie, Bd. 1, S. 569; B. Jahn (Hg.), Biographische Enzyklopädie deutschsprachiger Naturwissenschaftler, Bd. 1, München 2003, S. 350; J. C. Poggendorff, Biographisch-Literarisches Handwörterbuch der exakten Naturwissenschaften, Bd. IV, Berlin 1904, S. 594f., Bd. VIIa.2, Berlin 1958, S. 391f. (WV); D. Petschel (Bearb.), Die Professoren der TU Dresden 1828-2003, Köln 2003, S. 330; H. Schnee (Hg.), Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. 2, Leipzig 1920, S. 44; W. Tietze (Hg.), Westermann-Lexikon der Geographie, Bd. 2, Braunschweig 1969, S. 363.
Porträt Kurt H., um 1935, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Heinz Peter Brogiato
1.7.2009
Empfohlene Zitierweise:
Heinz Peter Brogiato, Artikel: Kurt Hassert,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1966 [Zugriff 22.12.2024].
Kurt Hassert
Quellen Technischen Universität Dresden, Universitätsarchiv, Personalakte H.; Universität Leipzig, Universitätsarchiv, Personalakte H., Promotionsakte Phil. Fak.; Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium für Volksbildung, Personalakte H.; Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig, Archiv für Geographie, Nachlass H.
Werke Die Polargrenze der bewohnten und bewohnbaren Erde, Diss. Leipzig 1890; Reise durch Montenegro und Bemerkungen über Land und Leute, Wien 1893; Beiträge zur physischen Geographie von Montenegro mit besonderer Berücksichtigung des Karstes, Habilitation Gotha 1895; Deutschlands Kolonien, Leipzig 1899, 21910; Geographische Lage und Entwickelung Leipzigs, in: Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig 1898 (1899), S. 17-53; mit A. Kirchhoff (Hg.), Bericht über die neuere Litteratur zur deutschen Landeskunde, Berlin 1901; Die neuen deutschen Erwerbungen in der Südsee, Leipzig 1903; Landeskunde des Königreichs Württemberg, Leipzig 1903, Berlin 21913; Landeskunde und Wirtschaftsgeographie des Festlandes Australien, Leipzig 1907, Gotha 21924; Die Polarforschung. Leipzig 1907, 31914 (ND Berlin 1923 [russ.]); Die Städte geographisch betrachtet, Leipzig 1907; Allgemeine Verkehrsgeographie, Berlin 1913, 21931 [2 Bde.]; Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, Bd. 1, Berlin 1917; Das Türkische Reich, Tübingen 1918; Wesen und Bildungswert der Wirtschaftsgeographie, Berlin 1919; Die Vereinigten Staaten von Amerika als politische und wirtschaftliche Weltmacht geographisch betrachtet, Tübingen 1922; Das Wirtschaftsleben Deutschlands und seine geographischen Grundlagen, Leipzig 1923, Dresden 21934; Beiträge zur Landeskunde der Grashochländer Nordwest-Kameruns, Bd. 1, Berlin 1917; Der neue Weltverkehr, Berlin 1928; Einführung in die geographische Literatur, Dresden 1931, 21934; Die Erforschung Afrikas, Leipzig 1941, 21943 (ND Prag 1943 [tschech.], Amsterdam 1944 [niederl.]).
Literatur J. Siegel, Kurt H. zum sechzigsten Geburtstage, in: Geographischer Anzeiger 29/1928, H. 3, S. 76-79 (P); Zwei Beiträge zur Analyse alpiner Formen. Unserem verehrten Lehrer Herrn Prof. Dr. Kurt H. zum 65. Geburtstag von seinen jetzigen und ehemaligen Dresdner Schülern gewidmet, Dresden 1933; E. Grunicke, Kurt H.s Verdienste um die deutschen Kolonien, in: Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Dresden NF 1936/38, S. 1-8 (P, WV); K. Wiedemann, Prof. Dr. phil. Kurt H. 75 Jahre alt, in: Raumforschung und Raumordnung 7/1943, H. 1/2, S. 60; L. Mecking, Kurt H. †, in: Forschungen und Fortschritte 24/1948, Nr. 13/14, S. 166; J. Siegel, [Nekrolog], in: Naturwissenschaftliche Rundschau 1949, S. 78f.; M. Reuther, Kurt H. Leben und Werk, in: Petermanns geographische Mitteilungen 94/1950, H. 2, S. 89-92; K. H. Schröder, Geographie an der Universität Tübingen 1512-1977, Tübingen 1977, S. 43f. (P); G. Pansa, Ernst Emil Kurt H., in: Geographers 10/1986, S. 69-76 (P, WV); G. Ziegler, Kurt H., in: B. Schemann/G. Voppel/G. Ziegler (Hg.), 100 Jahre Gesellschaft für Erdkunde zu Köln, Köln 1987, S. 24 (P); S. Conrad, Kurt H. Geograph (1868-1947), in: A. Jones, (Hg.), Afrika in Leipzig. Erforschung und Vermittlung eines Kontinents 1730-1950, Leipzig 1995, S. 20; M. Gebel u.a., Ausbildung und Forschung am Institut für Geographie der TU Dresden von den Anfängen bis zur Gegenwart. Zeitraum 1874 bis 1945, in: W. Kaulfuß/H. Kowalke (Hg.), Das Institut für Geographie an der Technischen Universität Dresden, Dresden 2003, S. 7-17 (P). – DBA I, II, III; DBE 4, S. 429; NDB 8, S. 48f.; E. Brunotte (Hg.), Lexikon der Geographie in vier Bänden, Bd. 2, Heidelberg 2002, S. 93; E. Banse, Lexikon der Geographie, Bd. 1, S. 569; B. Jahn (Hg.), Biographische Enzyklopädie deutschsprachiger Naturwissenschaftler, Bd. 1, München 2003, S. 350; J. C. Poggendorff, Biographisch-Literarisches Handwörterbuch der exakten Naturwissenschaften, Bd. IV, Berlin 1904, S. 594f., Bd. VIIa.2, Berlin 1958, S. 391f. (WV); D. Petschel (Bearb.), Die Professoren der TU Dresden 1828-2003, Köln 2003, S. 330; H. Schnee (Hg.), Deutsches Kolonial-Lexikon, Bd. 2, Leipzig 1920, S. 44; W. Tietze (Hg.), Westermann-Lexikon der Geographie, Bd. 2, Braunschweig 1969, S. 363.
Porträt Kurt H., um 1935, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Heinz Peter Brogiato
1.7.2009
Empfohlene Zitierweise:
Heinz Peter Brogiato, Artikel: Kurt Hassert,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1966 [Zugriff 22.12.2024].