Wilhelm Kirchner

1890 bis 1921 stand K. dem Landwirtschaftlichen Institut der Universität Leipzig vor. In diesen drei Jahrzehnten entwickelte sich die Einrichtung zu einer der führenden agrarwissenschaftlichen Lehr- und Forschungsstätten Deutschlands. Dabei gelang K. nicht nur die Zusammenführung der bestehenden landwirtschaftlichen Universitätseinrichtungen unter dem Dach eines repräsentativen Institutsneubaus und die Errichtung einer bis heute betriebenen Versuchswirtschaft auf dem Universitätsforstgut Oberholz, sondern auch die Etablierung einer Reihe neuer landwirtschaftlicher Fachdisziplinen in Leipzig. Darüber hinaus prägte K. als Pionier der Vorzugsmilcherzeugung die sächsische Milchwirtschaft nachhaltig. – Der Sohn eines Juristen erhielt seine Schulbildung auf dem Gymnasium in Göttingen und wandte sich anschließend der praktischen Landwirtschaft zu, wobei er seine Lehrzeit auf verschiedenen Gütern in Hannover, Mecklenburg und Braunschweig verbrachte. Nach der Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg entschloss er sich zum Studium der Landwirtschaft in Halle/Saale, wo seit 1862 das erste landwirtschaftliche Universitätsinstitut Deutschlands bestand. Als Schüler Julius Kühns promovierte K. 1874 mit einer Arbeit über Pflanzenschleim und blieb bis 1876 als Assistent am landwirtschaftlichen Institut der Universität Halle-Wittenberg tätig. Dann folgte er einem Ruf nach Kiel, wo er den Aufbau einer milchwirtschaftlichen Versuchsstation organisierte. Ihm erschloss sich damit ein wissenschaftliches Arbeitsfeld, dem er bis zu seinem Tod verbunden blieb. Im Frühjahr 1879 kehrte K. als Extraordinarius für Landwirtschaft an die Universität Halle-Wittenberg zurück. Hier entstand in den folgenden Jahren auch sein Hauptwerk, das „Handbuch der Milchwirtschaft auf wissenschaftlicher und praktischer Grundlage“. Nicht zuletzt aufgrund der langjährigen Zusammenarbeit mit Kühn und der intimen Kenntnis des Landwirtschaftlichen Instituts der Universität Halle-Wittenberg wurde K. 1889 als Nachfolger Gustav Drechslers an die Universität Göttingen berufen. Hier sollte er das Landwirtschaftliche Institut reorganisieren und nach dem halleschen Vorbild zu einer konkurrenzfähigen Einrichtung ausbauen. Schon im Frühjahr 1890 folgte er jedoch einem Ruf an die Universität Leipzig, wo ihn unter günstigeren Voraussetzungen die gleiche Aufgabe erwartete. Ausgehend von seinen Erfahrungen in Halle entwarf K. ein ambitioniertes Reorganisationsprogramm, dessen Kern die Zusammenführung der über das gesamte Stadtgebiet verstreuten und nur lose verbundenen landwirtschaftlichen Universitätseinrichtungen an einem Standort bildete. Dieser Prozess fand erst mit der Einweihung eines repräsentativen Institutsneubaus 1906 seinen Abschluss. Auch fachlich erfuhr das Landwirtschaftliche Institut unter K. eine Erneuerung. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs wurden Extraordinariate bzw. Lektorate für eine ganze Reihe landwirtschaftlicher Einzeldisziplinen errichtet, darunter die erste deutsche Professur für koloniale und tropische Landwirtschaft. Dass es K. gelang, die Landwirtschaftslehre als gleichberechtigte akademische Disziplin an der Universität Leipzig zu etablieren, unterstreicht nicht zuletzt seine Wahl zum Rektor 1899/1900. Er war damit zugleich der erste Landwirt, der dieses höchste Amt einer deutschen Universität bekleidete. – Während des Ersten Weltkriegs, der den Universitätsbetrieb weitgehend zum Erliegen brachte, entfaltete K. wie viele seiner Kollegen eine rege patriotische Vortragstätigkeit. Gesundheitlich bereits schwer gezeichnet, entwickelte er noch im letzten Kriegsjahr eine detaillierte Konzeption für die Neugestaltung des Landwirtschaftlichen Instituts, das in den Dienst des ernährungswirtschaftlichen Wiederaufbaus gestellt werden sollte. Die Umsetzung dieses Vorhabens blieb jedoch seinem Nachfolger Friedrich Falke vorbehalten. Im Frühjahr 1921 wurde K. emeritiert und verstarb kurz darauf.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium für Kultus und öffentlichen Unterricht, Nr. 10281/183; Universität Leipzig, Universitätsarchiv, PA 631.

Werke Beiträge zur Kenntniss der Kuhmilch und ihrer Bestandtheile nach dem gegenwärtigen Standpunkte wissenschaftlicher Forschung, Dresden 1877; (Hg.), Mitteilungen des landwirtschaftlichen Institutes der Universität Leipzig 1/1897-12/1914; Handbuch der Milchwirtschaft auf wissenschaftlicher und praktischer Grundlage, Berlin 1882, 71922.

Literatur H. Brandsch, Wilhelm K., Leben und Werk, Markkleeberg 1987 [MS]; E. Schulze, Agrarwissenschaften an der Universität Leipzig 1740-1945, Leipzig 2006. – DBA I, III; DBE 5, S. 553.

Porträt Fotografie, Universitätsarchiv Leipzig, FS N00361 (Bildquelle).

Christian Augustin
3.4.2013


Empfohlene Zitierweise:
Christian Augustin, Artikel: Wilhelm Kirchner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26410 [Zugriff 4.11.2024].

Wilhelm Kirchner



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium für Kultus und öffentlichen Unterricht, Nr. 10281/183; Universität Leipzig, Universitätsarchiv, PA 631.

Werke Beiträge zur Kenntniss der Kuhmilch und ihrer Bestandtheile nach dem gegenwärtigen Standpunkte wissenschaftlicher Forschung, Dresden 1877; (Hg.), Mitteilungen des landwirtschaftlichen Institutes der Universität Leipzig 1/1897-12/1914; Handbuch der Milchwirtschaft auf wissenschaftlicher und praktischer Grundlage, Berlin 1882, 71922.

Literatur H. Brandsch, Wilhelm K., Leben und Werk, Markkleeberg 1987 [MS]; E. Schulze, Agrarwissenschaften an der Universität Leipzig 1740-1945, Leipzig 2006. – DBA I, III; DBE 5, S. 553.

Porträt Fotografie, Universitätsarchiv Leipzig, FS N00361 (Bildquelle).

Christian Augustin
3.4.2013


Empfohlene Zitierweise:
Christian Augustin, Artikel: Wilhelm Kirchner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26410 [Zugriff 4.11.2024].