Bertha Beer
Als Tochter eines Geld- und Wechselhändlers sowie Vorstehers der jüdischen Armen- und Freischule gehörten B. wie auch ihr Cousin zweiten Grades und Ehemann Bernhard Beer innerhalb der Dresdner jüdischen Gemeinde zum einflussreichen Verwandtschaftsnetz der Familie Bondi. – Über B.s Erziehung ist wenig bekannt, doch verfügte sie über sehr gute Kenntnisse des Deutschen und beherrschte auch Fremdsprachen, wie ihre zahlreichen Briefe und die darin erwähnten Lektüren u.a. von Romanen Berthold Auerbachs, aber auch internationalen Bestsellern wie „Jane Eyre“ und „Uncle Tom’s Cabin“ belegen. – Nach außen hin trat B. v.a. als Privatgelehrtengattin und Persönlichkeit des gehobenen Dresdner Bildungsbürgertums in Erscheinung. Sie war in die weitläufigen Korrespondenznetze ihres Ehemanns eingebunden und hielt so mit namhaften Vertretern der Wissenschaft des Judentums, darunter etwa Leopold Zunz in
Berlin und Gotthold Salomon in
Hamburg sowie deren Ehefrauen Kontakt. Zu den Dresdner Persönlichkeiten, die in den 1840er- und 1850er-Jahren häufiger bei dem Ehepaar verkehrten, zählten der Dramaturg Karl Gutzkow, der Schriftsteller Auerbach und der Redakteur Julius Hammer. Auswärtige jüdische Gelehrte, die nach Dresden kamen, äußerten sich anerkennend über B.s Auftreten und offenes Haus. Kontakte knüpfte sie auch während ihrer regelmäßigen Kur- und Bildungsreisen, die sie in zahlreiche europäische Städte und Kurorte führten, darunter auch in westliche Metropolen wie
Brüssel,
Paris und
London. – Politisch vertrat B. weitestgehend die Positionen ihres Ehemanns. Angesichts der revolutionären Ereignisse von 1848/1849 betonte sie die Aufklärungs-Ideale von Gleichheit und Freiheit, deren zeitweilige Umsetzung auch die Gleichstellung der sächsischen Juden nach sich zog. Gewalt und Anarchie lehnte sie allerdings ab. – In der Israelitischen Religionsgemeinde übernahm B. 1852 nach dem Tod ihrer Stiefschwester
Nanette Schie den Vorsitz des Israelitischen Frauenvereins, der sich u.a. um erkrankte Jüdinnen kümmerte. In den 1860er-Jahren gehörte sie zu den Unterstützerinnen des reformorientierten Instituts zur Förderung der israelitischen Literatur, das auch Schriften ihres Manns verlegt hatte. – Insgesamt blieb B. einem konservativen Selbstverständnis verpflichtet, führte einen koscheren Haushalt, hielt den Sabbat und die jüdischen Feiertage sowie die Ritualbestimmungen ein. Dies hinderte sie jedoch nicht daran, zusammen mit ihrem Mann, Verwandten und Freunden Theateraufführungen und gesellschaftliche Veranstaltungen - so 1856 einen Ball im geselligen Verein „Harmonie“ - zu besuchen, solange diese damit in Einklang zu bringen waren. Mitte der 1850er-Jahre nahm B. an einem Kränzchen teil, in dem mit verteilten Rollen Theaterstücke und selbst verfasste Aufsätze gelesen wurden. 1861 gehörte sie zu den Aktienzeichnern des Sächsischen Kunstvereins in Dresden. Gleichwohl dürfen ihre Beziehungsnetze und ihr bürgerliches Engagement nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich B. nicht selten hinter die Interessen ihres Ehemanns zurückstellte, diesen mehrfach in Phasen schwerer Krankheit pflegte und in ihren Briefen immer wieder Lebensumstände sowie Langeweile beklagte. Nach Bernhards Tod, der sie sehr belastete, zog sich B. mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben zurück. Aufgrund des ihr durch den Todesfall zugefallenen Grundbesitzes erlangte sie im September 1862 das Dresdner Bürgerrecht. – Eigene Kinder hatte das Ehepaar nicht, übernahm aber in den 1840er-Jahren die Pflegschaft für
Franziska Mankiewicz. 1864 übernahm es zudem die Erziehung von
Bernhard Wolf, einen Sohn der nach Wien mit dem Historiker Gerson Wolf verheirateten Pflegetochter. – B. wirkte auch als Stifterin. Sie überließ die umfangreiche Privatbibliothek ihres verstorbenen Manns jeweils zu Teilen dem Jüdisch-Theologischen Seminar in
Breslau (poln. Wrocław) und der Leipziger Universitätsbibliothek. Sie hinterlegte bei der Stadtkasse zum Andenken an Bernhard Beer ein Legat von 5.000 Talern, dessen Zinsen der jüdischen Gemeinde zugingen. Die gleiche Summe vermachte sie 1874 letztwillig zu einer Bertha-Beer-Stiftung, deren Gelder für wohltätige Zwecke in der Gemeinde genutzt wurden. Weitere von ihr hinterlassene Bücher bildeten den Grundstock zu einer Bibliothek der Dresdner jüdischen Gemeinde.
Quellen Leo Baeck Institute New York, AR 2370, Zunz Archives Jerusalem Collection; The National Library of Israel, Jerusalem, Department of Archives: Zunz, Leopold, ARC. 4° 792 (L), G.6 (Nr. 12): Briefe Bertha B.s an Adelheid Zunz, 1848/1856; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium für Volksbildung, Nr. 19451: Die letztwillige Bücherschenkung des Dr. Bernhard Beer in Dresden an die Universitätsbibliothek zu Leipzig, 1861-1929; Stadtarchiv Dresden, 2.1. Ratsarchiv, Nr. C.XLII.172: Des Juden Bernhard Beer Gesuch um Concession zur Anstellung eigener Oeconomie und Verehelichung mit Bertha Bondi betreffend, 1833-1834, 2.3.9 Gewerbeamt A, Bürger- und Gewerbeakten, Nr. B.1819: B., Bertha, 1862.
Literatur [Nekrolog Bertha B. geb. Bondi], in: Allgemeine Zeitung des Judentums 20.10.1874, S. 720; Jahres-Rechnung der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden auf das Jahr 1875 und Verwaltungsbericht für dieselbe auf die Jahre 1874 und 1875, Dresden 1876, S. 7-11; Zacharias Frankel, Dr. Bernhard Beer. Ein Lebens- und Zeitbild, Breslau 1863, S. 58f.; Gerson Wolf, Dr. Bernhard Beer. Eine biographische Skizze, in: Catalog der Bibliothek des sel. Herrn Dr. Beer in Dresden, Berlin 1863, S. XXVII; Rosenstein, Neil, The Unbroken Chain. Biographical Sketches and the Genealogy of Illustrious Jewish Families from the 15th-20th Century, Bd. 1, New York 1990, S. 330.
Daniel Ristau
20.05.2020
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Ristau, Artikel: Bertha Beer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27855 [Zugriff 2.11.2024].
Bertha Beer
Quellen Leo Baeck Institute New York, AR 2370, Zunz Archives Jerusalem Collection; The National Library of Israel, Jerusalem, Department of Archives: Zunz, Leopold, ARC. 4° 792 (L), G.6 (Nr. 12): Briefe Bertha B.s an Adelheid Zunz, 1848/1856; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11125 Ministerium für Volksbildung, Nr. 19451: Die letztwillige Bücherschenkung des Dr. Bernhard Beer in Dresden an die Universitätsbibliothek zu Leipzig, 1861-1929; Stadtarchiv Dresden, 2.1. Ratsarchiv, Nr. C.XLII.172: Des Juden Bernhard Beer Gesuch um Concession zur Anstellung eigener Oeconomie und Verehelichung mit Bertha Bondi betreffend, 1833-1834, 2.3.9 Gewerbeamt A, Bürger- und Gewerbeakten, Nr. B.1819: B., Bertha, 1862.
Literatur [Nekrolog Bertha B. geb. Bondi], in: Allgemeine Zeitung des Judentums 20.10.1874, S. 720; Jahres-Rechnung der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden auf das Jahr 1875 und Verwaltungsbericht für dieselbe auf die Jahre 1874 und 1875, Dresden 1876, S. 7-11; Zacharias Frankel, Dr. Bernhard Beer. Ein Lebens- und Zeitbild, Breslau 1863, S. 58f.; Gerson Wolf, Dr. Bernhard Beer. Eine biographische Skizze, in: Catalog der Bibliothek des sel. Herrn Dr. Beer in Dresden, Berlin 1863, S. XXVII; Rosenstein, Neil, The Unbroken Chain. Biographical Sketches and the Genealogy of Illustrious Jewish Families from the 15th-20th Century, Bd. 1, New York 1990, S. 330.
Daniel Ristau
20.05.2020
Empfohlene Zitierweise:
Daniel Ristau, Artikel: Bertha Beer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27855 [Zugriff 2.11.2024].