Heinz Muche
M. war als Wissenschaftler auf dem Gebiet der Insektenkunde ein unermüdlicher Reisender und Sammler auf allen fünf Kontinenten. Er war Autodidakt und hat sich umfassende entomologische und zoologische Kenntnisse im Selbststudium beigebracht. Aufgrund seines Fachwissens wurde M. zu einem international anerkannten Experten, dessen Rat und Hilfe nicht nur von europäischen Museen, sondern auch von Wissenschaftlern in Afrika, Indien und Australien in Anspruch genommen wurde, was ihm in der Zeit der DDR eine ungewöhnliche Reisefreiheit ermöglichte. – Das Interesse M.s an Naturkunde, speziell an Schmetterlingen und Kleinstlebewesen, war bereits seit frühester Kindheit und Jugend ausgeprägt. Bereits im Kindesalter betätigte er sich als Sammler von Schmetterlingen, erlernte durch Fachliteratur und den persönlichen Kontakt zu dem Radeberger Präparator und Kanada-Forscher Max Hinsche die Präparationstechnik und legte erste Schmetterlingskästen an. Nach Beendigung der Volksschule erlernte er den Beruf eines Gärtners in der Landwirtschaftlichen Schule Pulsnitz (sorb. Połčnica). In dieser Zeit kam er in Kontakt mit der Dresdner Firma für Insektensammler und -händler, Staudinger & Bang-Haas, in deren Auftrag Sammler weltweit beschäftigt waren. Zwischen dem Inhaber Otto Bang-Haas und M. bestand bald ein reger Erfahrungsaustausch und M. trat als jüngstes Mitglied der Dresdner Gruppe der entomologisch arbeitenden „Freunde der Insektenwelt“ bei. Bereits während seiner Lehrzeit plante und bereitete M. seine erste Sammlungsreise nach Montenegro und Mazedonien vor, die er acht Wochen nach seiner Abschlussprüfung als Gärtner Anfang Oktober 1931 entgegen dem Willen seiner Eltern antrat. Sieben Monate lang durchquerte M. die Gebirge Montenegros und erlernte bei Kontakten mit der Bevölkerung deren Sprache. Seine Erlebnisse in Montenegro schrieb er in einem Buch nieder, das er 1933 im Selbstverlag veröffentlichte. Im gleichen Jahr erfolgte seine zweite Reise nach Mazedonien. – Nach seiner Rückkehr arbeitete M. 1934 bis 1935 als Volontär bei Staudinger & Bang-Haas. 1936 wechselte er als Versuchshelfer an die Forstliche Hochschule Tharandt zu Heinrich Prell und nahm an wissenschaftlichen Untersuchungen zu Köderversuchen bei forstschädlichen Käfern teil. Nach einem achtwöchigen Militärdienst 1937 trat er eine Reise nach Libyen an. Nach seiner Eheschließung 1939 finanzierte M. den Lebensunterhalt für seine Familie vorübergehend mit der Herstellung von Schmetterlingskästen und Insektenbiologien, die in Schaukästen für den Schulbedarf und für Museen bereitgestellt wurden. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde er im Januar 1940 zum Militär eingezogen. Sein Einsatz fand in den Kriegsgebieten der Niederlande, Belgien und Frankreich statt, worauf eine Verlegung ins Baltikum folgte. Von dort kam er über
Namur (Belgien) und
Palermo (Italien) nach Tunesien, wo er desertierte. M. wurde jedoch gefasst und erhielt vor einem Kriegsgericht das Urteil „Bewährung an der Front“. 1942 kam er in der tunesischen Stadt
Sfax (Tunesien) zunächst in französische, später in
Casablanca (Marokko) in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde in ein Kriegsgefangenenlager im Bundesstaat Missouri überführt. Nach einer weiteren Verlagerung kam M. nach Fort Devens (USA). Da er als Lagerinsasse in seiner Freizeit wieder zu sammeln begann, setzte ihn die Lagerbehörde als Schädlingsbekämpfer ein und später auch als Biologielehrer. Als er im März 1946, aus der Kriegsgefangenschaft entlassen, wieder nach Radeberg zurückkehrte, ermöglichte ihm das amerikanische Sammelmaterial die Gründung einer neuen Existenz. Einen Teil des Sammelguts konnte er an Museen verkaufen. In seiner Heimatstadt gründete er ein naturwissenschaftliches Fachgeschäft als Entomologisches Institut, stellte mit mehreren Mitarbeitern Lehrmaterial für Schulen her - wie die nach dem Krieg aktuellen Kartoffelkäfer-Biologien - forschte als Schädlingsbekämpfer und trat dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig bei, um entomologische Fachliteratur zu verkaufen. Als am 30.9.1948 die Dresdner Firma Staudinger & Bang-Haas aufgelöst wurde, übernahm M. einen Großteil der wertvollen Bestände an Insekten aus der Firmensammlung, wobei M. wegen der hohen Kaufsumme einen Teil dieser Sammlungen von Käfern, Hautflüglern, Schnabelkerfen und Geradflüglern weiterverkaufen musste. Hauptsächlich diese Gattungen der Käfer und Insekten wurden Grundlage seiner weiteren intensiven Forschungen. M. gehörte 1949 zu den Mitbegründern der Fachgruppe Entomologie Dresden. Ab 1956 war M. bereits eine anerkannte wissenschaftliche Kapazität in der Fachwelt und durfte staatlicherseits verstärkt Sammelreisen - auch im Auftrag der Staatlichen Museen für Tierkunde Dresden, unternehmen - die einen Großteil seines Sammelguts erhielten. Mehrfach war er in Bulgarien und Griechenland, es folgten zudem nach 1960 drei Reisen in die Türkei und nach Syrien. Der Beginn seiner fachlichen Arbeit an Blattwespen datiert in diese Zeit. Dabei ist sein umfassendes veröffentlichtes Werk „Die Blattwespen Deutschlands“ durch ihn später auf europäische Arten erweitert worden und von außerordentlichem Wert, da es die Arbeitsgrundlage für alle Spezialisten darstellt. Sein Ruf als Experte und außergewöhnlicher Wissenschaftler auf diesem Gebiet ermöglichte ihm weitere Kontakte zu Wissenschaftlern und Universitäten, die ihm auch Einladungen für seine Forschungen in besonders schwer zugänglichen, unberührten Regionen ermöglichten. Es folgten Reisen nach Italien und Sizilien, Jugoslawien, die Mongolei, zwölf Reisen in den Kaukasus und Transkaukasus, 23 Reisen über zwei Jahre nach Mittelasien in die Tadschikische, Kasachische, Usbekische und Kirgisische SSR. Im August 1967 war er Teilnehmer am 13. Internationalen Kongress für Entomologie in
Moskau. Weitere Reisen folgten zu seinem Sohn Bodo Muche nach Botswana und zwei Reisen nach Australien, wo er durch seinen Sohn gute Arbeitskontakte fand und mit ansässigen Entomologen Sammelreisen unternahm. – Die zweite Spezialgruppe von M.s Sammlungen befasste sich mit der Käferfamilie der Alleculidae, die er für die Erfassung der Fauna der DDR erforschte, später auch für das Sammelwerk „Fauna of Saudi Arabia“ weiterführte. Aber auch im Bereich der Zoologie war er wissenschaftlich tätig, wobei seine Forschungen v.a. den Reptilien galten, die ein Bestandteil seiner Sammlungen und Forschungen waren. – Seine letzte Reise führte M. im Juni 1987 nach Mittelasien, jedoch musste er diese wegen bereits bestehender gesundheitlicher Probleme, die seinen Tod im September 1987 zur Folge hatten, abbrechen. – M. hat sein Forscherleben, seine Reiseerlebnisse, Sammelergebnisse und die wissenschaftliche Bearbeitung seiner Spezialgebiete in zahlreichen Beiträgen in Fachzeitschriften publiziert und sowohl nationale als auch internationale Anerkennung erfahren. Seine Bibliografie umfasst mehr als 150 Arbeiten, die Forschungsergebnisse der Insektenwelt weisen allein 25 neue Arten auf, die M. entdeckt und beschrieben hat und die ihm zu Ehren mit seinem lateinischen Namen „muchei“ versehen wurden. Seine hohe Wertschätzung in internationalen Fachkreisen zeigt insbesondere die ihm verliehene Widmung eines Holotypus, die als neue Art nach seinem Tod auf Taiwan entdeckt und ihm zu Ehren als „Paralinomorpha muchei“ mit seinem Namen benannt wurde. – M.s Sammlungen befinden sich bei Spezialisten und in zahlreichen Museen, einen großen Bestand seiner Sammlungen, darunter die Spezialsammlung der Pflanzenkäfer (Alleculidae), stiftete er dem Staatlichen Museum für Tierkunde Dresden, mit dem er eng zusammengearbeitet und das viele Publikationen M.s in den eigenen Schriftenreihen veröffentlicht hatte. Die Blattwespensammlung (Tenthredinidae) ging mit vielen Typen in Berliner Privathand.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 21765 Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, F 32088 (1947-1981).
Werke Als Käfersammler und Schlangenfänger durch Montenegros Berge, Radeberg 1933; Sammelreise nach Libyen, in: Entomologische Rundschau 56/1939, Nr. 16, S. 166-168; Tagebuchnotizen eines Entomologen im Kriegsgefangenenlager Fitchburg, in: ebd. 59/1949, Nr. 17, S. 133-136; Beobachtungen über den Parasitismus des Rattenflohs, Nosophyllus fasciatus BOSC, in: Anzeiger für Schädlingskunde 29/1956, H. 1, S. 12; Tracheterogomphus (Heterogomphus) bolivianus spec. nov., in: Entomologische Abhandlungen 26/1961, Nr. 1, S. 3-6; Beitrag zur Kenntnis der Blattwespen Bulgariens mit Beschreibung einer neuen Amasis-Art, in: Entomologische Zeitschrift 74/1964, Nr. 3, S. 17-24; Mongolische Blattwespen (Hymenoptera, Symphyta), Zweiter Beitrag, in: Reichenbachia 5/1965, Nr. 29, S. 239-249; Die Blattwespen Deutschlands, II. Selandriinae, in: Entomologische Abhandlungen 36/1969, Suppl. II, S. 62-96; Die Blattwespen Deutschlands, III. Blennocampinae, in: ebd., Suppl. III, S. 97-155; Die Blattwespen Mitteleuropas, Teil: Die Gattung Amauronematus KONOW (Nematinae, 3. Teil), in: ebd. 40/1975, Suppl. II, S. 1-53; Die Blattwespen Mitteleuropas, Teil: Die Gattungen Nematinus Rohw., Euura Newm. und Croesus Leach (Nematinae) sowie Heterarthrus Steph. (Heterarthrinae), Leipzig 1977; Beitrag zur Kenntnis der Insektenfauna Mittelasiens, in: Entomologische Abhandlungen 42/1978, Nr. 10, S. 355-361; Die Cephidae der Erde, in: Deutsche Entomologische Zeitschrift NF 28/1981, H. IV, S. 239-295; Beitrag zur Blattwespenfauna von Indien und Pakistan, mit Beschreibung einer neuen Art sowie Unterart, in: Reichenbachia 20/1982, Nr. 15, S. 113-117; Alleculidae und Blattwespen, in: Walter Wittmer (Hg.), Fauna of Saudi Arabia, Bd. 4, Basel 1982, S. 116-123; Beiträge zur Insektenfauna der DDR: Coleóptera Alleculidae, in: Faunistische Abhandlungen 12/1985, Nr. 16, S. 141-160; Beitrag zur Symphytenfauna von Queensland (Australien), in: Reichenbachia 23/1985/1986, Nr. 27, S. 151-154.
Literatur Rolf Hertel, W. Heinz M. - 75 Jahre, in: Entomologische Nachrichten und Berichte 30/1986, S. 130f.; ders., Zum 75. Geburtstag des Entomologen W. Heinz M., in: Entomologische Abhandlungen 49/1986, S. VII-XIV (WV); Frank Koch, Eine neue Allantinengattung und eine neu Art von Taiwan, in: Nachrichtenblatt der Bayerischen Entomologen 37/1988, S. 113-116; ders., In memoriam Werner Heinz M., in: Deutsche Entomologische Zeitschrift NF 35/1988, Nr. 4-5, S. 427f.
Porträt Werner Heinz M., undatierte Fotografie, Privatsammlung Christian Bodo Muche (Bildquelle).
Renate Schönfuß-Krause
12.12.2020
Empfohlene Zitierweise:
Renate Schönfuß-Krause, Artikel: Heinz Muche,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27818 [Zugriff 25.11.2024].
Heinz Muche
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 21765 Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig, F 32088 (1947-1981).
Werke Als Käfersammler und Schlangenfänger durch Montenegros Berge, Radeberg 1933; Sammelreise nach Libyen, in: Entomologische Rundschau 56/1939, Nr. 16, S. 166-168; Tagebuchnotizen eines Entomologen im Kriegsgefangenenlager Fitchburg, in: ebd. 59/1949, Nr. 17, S. 133-136; Beobachtungen über den Parasitismus des Rattenflohs, Nosophyllus fasciatus BOSC, in: Anzeiger für Schädlingskunde 29/1956, H. 1, S. 12; Tracheterogomphus (Heterogomphus) bolivianus spec. nov., in: Entomologische Abhandlungen 26/1961, Nr. 1, S. 3-6; Beitrag zur Kenntnis der Blattwespen Bulgariens mit Beschreibung einer neuen Amasis-Art, in: Entomologische Zeitschrift 74/1964, Nr. 3, S. 17-24; Mongolische Blattwespen (Hymenoptera, Symphyta), Zweiter Beitrag, in: Reichenbachia 5/1965, Nr. 29, S. 239-249; Die Blattwespen Deutschlands, II. Selandriinae, in: Entomologische Abhandlungen 36/1969, Suppl. II, S. 62-96; Die Blattwespen Deutschlands, III. Blennocampinae, in: ebd., Suppl. III, S. 97-155; Die Blattwespen Mitteleuropas, Teil: Die Gattung Amauronematus KONOW (Nematinae, 3. Teil), in: ebd. 40/1975, Suppl. II, S. 1-53; Die Blattwespen Mitteleuropas, Teil: Die Gattungen Nematinus Rohw., Euura Newm. und Croesus Leach (Nematinae) sowie Heterarthrus Steph. (Heterarthrinae), Leipzig 1977; Beitrag zur Kenntnis der Insektenfauna Mittelasiens, in: Entomologische Abhandlungen 42/1978, Nr. 10, S. 355-361; Die Cephidae der Erde, in: Deutsche Entomologische Zeitschrift NF 28/1981, H. IV, S. 239-295; Beitrag zur Blattwespenfauna von Indien und Pakistan, mit Beschreibung einer neuen Art sowie Unterart, in: Reichenbachia 20/1982, Nr. 15, S. 113-117; Alleculidae und Blattwespen, in: Walter Wittmer (Hg.), Fauna of Saudi Arabia, Bd. 4, Basel 1982, S. 116-123; Beiträge zur Insektenfauna der DDR: Coleóptera Alleculidae, in: Faunistische Abhandlungen 12/1985, Nr. 16, S. 141-160; Beitrag zur Symphytenfauna von Queensland (Australien), in: Reichenbachia 23/1985/1986, Nr. 27, S. 151-154.
Literatur Rolf Hertel, W. Heinz M. - 75 Jahre, in: Entomologische Nachrichten und Berichte 30/1986, S. 130f.; ders., Zum 75. Geburtstag des Entomologen W. Heinz M., in: Entomologische Abhandlungen 49/1986, S. VII-XIV (WV); Frank Koch, Eine neue Allantinengattung und eine neu Art von Taiwan, in: Nachrichtenblatt der Bayerischen Entomologen 37/1988, S. 113-116; ders., In memoriam Werner Heinz M., in: Deutsche Entomologische Zeitschrift NF 35/1988, Nr. 4-5, S. 427f.
Porträt Werner Heinz M., undatierte Fotografie, Privatsammlung Christian Bodo Muche (Bildquelle).
Renate Schönfuß-Krause
12.12.2020
Empfohlene Zitierweise:
Renate Schönfuß-Krause, Artikel: Heinz Muche,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27818 [Zugriff 25.11.2024].